Ratgeber

Arbeitslos: Jobsuche mit beschränkter Wahlfreiheit

Martin Jakob

Wer Taggelder der Arbeitslosenkasse bezieht, muss jede zumutbare Arbeit annehmen. work erklärt, was unter Zumutbarkeit zu verstehen ist und wo ihre Grenzen erreicht sind.

GESTERN LADEN, HEUTE CALLCENTER: Wer im angestammten Beruf länger nichts findet, muss seine Stellensuche ausdehnen. (Foto: Getty)

Der Maurer ohne Stelle soll sich als Fassadenreiniger bewerben? Und die arbeitslose Detailhandelsfachfrau als Callcenter-Agentin? Das tönt nach üblen Eingriffen in die freie Berufswahl. Genau so könnte man aber Artikel 16, Absatz 1 im Arbeitslosenversicherungsgesetz verstehen: «Der Versicherte muss zur Schadensminderung grundsätzlich jede Arbeit unverzüglich annehmen.» So ging man einst mit Sklaven um: Baumwollernte fertig, jetzt Herrenvilla putzen!

Aber so heiss wird die Suppe dann doch nicht gegessen. Denn es gibt einen zweiten Absatz, und der relativiert den ersten. Er sagt nämlich aus, die Pflicht, jede Arbeit anzunehmen, gelte nicht, wenn diese unzumutbar wäre.

Zu Firmen, die den GAV nicht einhalten, darf man immer Nein sagen.

KLARE SACHE

Von den Gründen für eine Unzumutbarkeit sind einige klarer als andere. Weil sie objektiv feststellbar sind:

  • Berufs- und Ortsüblichkeit. Die arbeitsvertraglichen Bedingungen einer angebotenen Stelle müssen orts- und berufsüblich sein. Wo ein Gesamtarbeits- oder ein Normalarbeitsvertrag besteht, darf der Vertrag keine schlechteren Bedingungen enthalten.
  • Keine bestreikten Firmen. Arbeitslose dürfen Stellenangebote von Firmen ausschlagen, die ­Arbeitskräfte als Ersatz für streikende Angestellte suchen.
  • Keine Lohndumping-Firmen. Hat eine Firma Personal entlassen, um danach die Stellen zu wesentlich schlechteren Arbeitsbedingungen neu zu vergeben, darf dieses Angebot zurückgewiesen werden.
  • Ständige Abrufbereitschaft. Verlangt eine Firma ständige Abruf- und Einsatzbereitschaft über den Umfang der garantierten Beschäftigung hinaus, gilt die Stelle als unzumutbar.
  • Lohneinbusse über 30 Prozent. Bringt die neue Stelle nur 70 Prozent des bisher versicherten Verdiensts ein oder weniger, gilt sie im Prinzip als unzumutbar. Ausnahme: Wird der Job als Zwischenverdienst – also als befristete Tätigkeit – eingestuft, kann die Annahme dennoch zur Pflicht werden. Denn die Arbeitslosenkasse füllt in diesem Fall die Lücke zwischen effektivem Lohn und der Arbeitslosenentschädigung mindestens 12 Monate lang (je nach Rahmenfrist) mit Kompensationszahlungen auf. Die Summe aus Lohn und Kompensation fällt jeweils sogar etwas höher aus als die Arbeitslosenentschädigung.

Zwei Stunden Arbeitsweg sind nicht in jedem Fall zumutbar.

DIE GRAUZONEN

Die weiteren Bestimmungen drehen sich um die Frage, ob eine bestimmte Arbeit für eine bestimmte Person zumutbar sei. Sie verlangen deshalb eine individuelle Einschätzung durch die beratende Person beim RAV und durch die stellensuchende Person. Daraus ergeben sich naturgemäss eher Konflikte.

  • Rücksicht auf die bisherige Laufbahn. Eine Arbeit, die nicht «angemessen» auf die Fähigkeiten oder auf die bisherige Tätigkeit Rücksicht nimmt, gilt zunächst als unzumutbar. Wer seine Stellensuche frisch startet, darf also seine ­Bewerbungen anfänglich auf den bisherigen Berufszweig oder Tätigkeitsbereich konzentrieren – sofern dort überhaupt ein Stellenangebot besteht. Je länger die Suche jedoch erfolglos bleibt, umso eher wird das RAV auf Alternativen drängen und dann auch berufs- oder branchenfremde Bewerbungen zur Pflicht machen. Zudem gilt die Rücksichtnahme nicht für Stellensuchende unter 30 Jahren. Ihnen wird von Beginn an zugemutet, auch Jobs ausserhalb der bisherigen Tätigkeit zu suchen.
  • Persönlich unangemessen. Eine Stelle kann unzumutbar sein, weil sie dem Alter, den persönlichen Verhältnissen oder dem Gesundheitszustand nicht angemessen ist. Zum Beispiel darf jemand, der Kinder betreut, nicht zur Annahme eines Jobs verpflichtet werden, der längere Abwesenheiten von zu Hause (Wochenaufenthalt) nötig macht. Oder eine Muslimin muss eine Stelle nicht annehmen, wenn sie am Arbeitsplatz aus Sicherheitsgründen kein Kopftuch tragen darf.
  • Sehr langer Arbeitsweg. Die Regel ist hart: Erst bei einem Arbeitsweg von mehr als zwei Stunden (also total vier Stunden täglich für die Hin- und Rückfahrt von Tür zu Tür) gilt eine Arbeit als unzumutbar. Ausnahmen sind je nach ­privater Situation (zum Beispiel Betreuungspflichten) oder Beschäftigungsgrad (Halbtagsstelle) möglich. Das Gesetz sieht bei längeren Arbeitswegen zwar Beiträge an die Kosten des Pendelns oder des Wochenaufenthalts vor, dies aber maximal sechs Monate lang. Und auch dann geht mit der Reisezeit wertvolle Lebenszeit unproduktiv verloren. Wer innert nützlicher Frist keine Stelle in der Nähe findet, muss deshalb unter Umständen den Wohnort wechseln, um die Zeiten für Arbeitsweg plus Arbeit wieder auf ein erträgliches Mass zu kürzen.

EIGENINITIATIVE!

Die Pflicht, irgendeine Arbeit anzunehmen, gilt also nicht absolut: Sie muss zumutbar sein. Doch die Diskussionen mit dem RAV, was nun im Einzelfall zumutbar sei, können aufgrund der Gesetzeslage schwierig und frustrierend sein. Oder sogar zu Einstelltagen führen (siehe Text unten). Die beste Gegenstrategie liegt darin, die Stellensuche möglichst schnell zu starten und möglichst intensiv zu ­betreiben, um eine nach eigenem Empfinden zumutbare Stelle zu finden.

Ihre Fragen – unsere Antworten

Die Unia-Arbeitslosenkasse wickelt nicht nur Entschädigungszahlungen ab, sondern steht ­arbeitslosen Mitgliedern mit Rat und Tat zur Seite. Zum Beispiel ­finden Sie auf der Website unter der Rubrik «Häufig gestellte ­Fragen» viele Regeln der Arbeits­losenversicherung erklärt. www.unia.ch/de/arbeitslosenkasse


Die Macht des RAVTaggeld weg

Wer sich arbeitslos meldet, ist vom ersten Tag an verpflichtet, sich um Schadensminderung zu bemühen. Das heisst: eine neue Stelle zu suchen und mit dem Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) zusammenzuarbeiten. Unter anderem kann Ihnen das RAV Stellenangebote zur Bewerbung verbindlich zuweisen. Falls Sie bereits beim Jobbeschrieb ernsthafte Zweifel hegen, dass Ihnen die Stelle zumutbar sei, diskutieren Sie das sofort mit Ihrer Beraterin. Auf keinen Fall sollten Sie die Bewerbungsfrist untätig verstreichen lassen. Ebenfalls sollten Sie nicht sofort ab­sagen, falls Sie trotz erfolgreich verlaufenem Bewerbungsgespräch sicher sind, dass Ihnen diese Stelle nicht zumutbar sei. Bringen Sie beim RAV Ihre Argumente vor.

Beharrt das RAV auf dem Standpunkt, die Arbeit sei zumutbar, und Sie nehmen die Stelle trotzdem nicht an, wird dies als schuldhafte Verweigerung eingestuft. Die Arbeits­losenkasse büsst Sie deshalb mit Einstelltagen. Sie streicht Ihnen für 31 bis 45 Tage, im Wiederholungsfall sogar für bis zu 60 Tage die Arbeitslosenentschädigung wegen «schweren Verschuldens». Das gilt übrigens nicht nur für eine unbefristete Neuanstellung, sondern auch für einen Zwischenverdienst, den Ihnen das RAV zuweist.

EINSPRACHE. Gegen die Einstellungsverfügung können Sie innert 30 Tagen Einsprache erheben, danach bei ungünstigem Entscheid auch eine Beschwerde beim kantonalen ­Sozialversicherungsgericht ein­reichen. Diese ist in der Regel kostenlos. Dennoch ist es ratsam, die Chancen zunächst mit einer Fachperson zu klären – zum Beispiel mit Ihrer Zahl­stelle der Unia-Arbeitslosen­kasse.

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