Ratgeber

Whistleblowing: Ich gegen die Firma – das ist ein heisser Lauf

Martin Jakob

Wer für eine Firma arbeitet, muss ihre Geheimnisse wahren. Unter Umständen sogar, wenn sie finster sind. So können Sie Missstände melden, ohne gleich Kopf und Kragen zu riskieren.

EINE HEIKLE AKTION: «To blow the whistle» – die Pfeife blasen – braucht Mut und ein umsichtiges Vorgehen. (Foto: iStock)

Erinnern Sie sich an Christoph Meili? Der Wachmann liess 1997 auf einem Kontrollgang durch die Schweizerische Bankgesellschaft (heute UBS) alte Kontobücher mitgehen, informierte die Medien und übergab die Akten der Zürcher Polizei. Meili wurde zum internationalen Star, und sein Fund löste einen Rechtsstreit um nachrichtenlose Vermögen jüdischer Personen aus der Zeit des Holocausts aus, der mit einer Vergleichszahlung der Schweizer Banken in Milliardenhöhe endete. ­Gegen Meili wurde wegen Verletzung des Bankgeheimnisses ermittelt, er ­erhielt Asyl in den USA, lebte dort bis 2009 und kehrte dann in die Schweiz zurück. Noch immer verfolgt ihn die Affäre: «Ich werde heute noch als Landesver­räter ­bezeichnet», sagt er in der ­­Dokumentation seines Falls (siehe www.offenerechnungen.ch).

ACHTUNG, MEDIEN!

Whistleblowing-Affären wie diese enthalten alle Elemente eines Skandals und sind deshalb begehrte Medienstoffe. Das Heldenhafte: Eine Einzelperson stellt sich gegen eine machtvolle Institution. Das Kriminelle: Die Institution steht im Verdacht, gegen Gesetz oder gute Sitten verstossen zu haben. Das Tragische: Whistleblower riskieren den Verlust ihrer Stelle und eine Minderung ihrer beruf­lichen Chancen, zudem oft ihre Privatsphäre und ihren guten Ruf.

Die «allgemeine Treuepflicht» wird zum Maulkorb.

HEHRE ABSICHT

Heisst das: Finger weg vom Whis­tleblowing? Klären wir zunächst den Begriff: «Whistleblowing», übersetzen wir dafür nicht mit «Verpfeifen», sondern mit «einen Hinweis geben», und zwar auf einen Missstand innerhalb einer Organisation. Das kann Korruption sein, ein Vermögensdelikt, Steuerbetrug, aber auch Misshandlung anvertrauter Personen (zum Beispiel in einem Pflegeheim) oder eine Verletzung des Gleichstellungsgebots. Wenn Sie in Ihrer Firma von solchen Vorgängen erfahren, regt sich Ihr Rechtsempfinden. Sie finden: Es wäre im Interesse der ganzen Gesellschaft, dass das unrechte Handeln unterbunden würde. Sie finden: Es muss doch eine Meldestelle geben, die den Vorwurf prüft und Schritte einleitet, mich aber vor Rache und Verfolgung schützt.

TRAURIGE REALITÄT

Gut gedacht, aber zu optimistisch. Die Schweiz zumindest kennt bis heute kein Gesetz zum Whistle­blowing (siehe Text rechts). Als ­Behelf dienen unspezifische Bestimmungen. Vor allem Artikel 321 im Obligationenrecht. Er unterstellt Arbeitnehmende der allgemeinen Treuepflicht: Sie haben alles zu unterlassen, was die Firma schädigen könnte. Ihre Geheimhaltungspflicht geht so weit, dass sie auch Straftaten und Verstösse einschliesst, sofern an ihrer Offenlegung kein höherwertiges Interesse besteht.

Fällt der Missstand, den Sie melden wollen, nun unter ein «höherwertiges Interesse» oder nicht? Gültig beurteilen müssen das die Gerichte – bis zum Urteil bewegen Sie sich im rechtsunsicheren Raum. Und falls Ihnen wegen Whistleblowing gekündigt wird, ist dieser Rausschmiss unwiderruflich. Sie können höchstens auf missbräuchliche Kündigung klagen und erhalten im günstigen Fall bis zu sechs Monatslöhne zugesprochen.

Vermeiden Sie Alleingänge. Unterstützung und Beratung tun gut.

INSELLÖSUNGEN

Immerhin haben etliche Firmen wie auch der Bund und eine wachsende Zahl von Kantonen und Gemeinden begriffen, dass ein internes Meldesystem zu ihrem Vorteil ist: Es hilft, Vorgänge aufzudecken, die dem Unternehmen schaden, und es beugt der unkontrollierbaren Skandalisierung in der Öffentlichkeit vor. Der Bund hat bei der Eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK) eine Meldestelle für Bundesangestellte eingerichtet, die Hinweisen nachgeht. Wer einen Hinweis einreicht, bleibt als Person geschützt und muss keine Nachteile fürchten. Nach einer Studie der Hochschule für Technik und Wirtschaft Chur von 2019 ­haben mittlerweile auch rund 70 Prozent der grossen Firmen (über 250 Angestellte) und rund 50 Prozent der KMU (20 bis 250 Angestellte) eine interne Meldestelle geschaffen. Allerdings: Mangels gesetzlicher Vorgaben sind die Firmen frei, wie sie diese Meldestelle gestalten und wie gut sie meldende Mitarbeitende effektiv gegen Nachteile schützen.

WIE VORGEHEN?

Der Missstand in Ihrer Firma bedrückt Sie. Das Wichtigste: Spielen Sie nicht gleich Herr oder Frau Winkelried! Und wenden Sie sich nicht direkt an die Medien. Transparency International Schweiz hat einen Leitfaden zusammengestellt (Transparency.ch):

  • Selbstprüfung. Ist Ihnen die Sache wichtig genug, um Nachteile für sich selbst in Kauf zu nehmen?
  • Dokumentieren. Halten Sie Fakten schriftlich fest und protokollieren Sie von Anfang an, was Sie unternehmen.
  • Konsultieren. Besprechen Sie sich mit Personen Ihres Vertrauens. Unterbreiten Sie Ihr Anliegen allenfalls einer Person mit Rechtskenntnissen oder einer Ombudsstelle.
  • Melden. Hat Ihre Firma eine Meldestelle eingerichtet? Andernfalls müssen Sie den Dienstweg einhalten, es sei denn, Ihr Vorgesetzter sei selber in den Missstand verwickelt. Die interne Meldung muss stets Ihr erster Schritt sein – erst, wenn die Firma nicht innert nützlicher Frist reagiert, sollten Sie sich an die Behörden wenden.
  • Medien als letztes Mittel. Falls Sie mit dem Vorgehen der Behörden nicht einverstanden sind und Sie sich an die Öffentlichkeit wenden: Lassen Sie sich nur mit einem Medium ein, wenn es Ihnen, falls von Ihnen gewünscht, auch An­onymität zusichert. Wählen Sie hingegen bewusst die Offenheit und wollen namentlich für Ihr Anliegen einstehen, müssen Sie sich bewusst sein: Es gibt kein Zurück.

Ziehen Sie die Unia ins Vertrauen

Als Gewerkschaftsmitglied sind Sie es gewohnt, Ihre Firma loyal, aber mit kritischen Augen zu ­sehen. Verstösst sie gegen Regeln des Arbeitsrechts, schützt sie die Mitarbeitenden ungenügend gegen gesundheitliche Gefahren, Mobbing, sexuelle Belästigung? Besprechen Sie sich mit anderen Mitgliedern und nehmen Sie Beratung durch die Unia in Anspruch. Sie haben ein Recht darauf.


Rückständige SchweizPraktisch vogelfrei

Die Schweizer Gesetzgebung­ zum Schutz von Whistle­blowern kommt nicht vom Fleck. In diesem Frühjahr hat der Nationalrat bereits zum zweiten Mal eine Vor­lage des Bundesrats ab­gelehnt. Martin Hilti, Geschäftsführer Transparency International Schweiz: «Vor ein paar ­Jahren bewegte sich die Schweiz mit ihren recht­lichen Bestimmungen zum Whistleblowing im europä­ischen Vergleich noch im Mittelfeld, inzwischen ist sie deutlich zurückgefallen.»

EU BESSER. Mit ihrer «Richtlinie zum Schutz von Per­sonen, die Verstösse gegen das Unionsrecht melden», hat die EU einen grossen Schritt nach vorn getan. Die Mitgliedstaaten müssen ­­die Richtlinie per Ende 2021 umsetzen. Ab dann dürfen Personen, die Verstösse ­gegen das Recht in guten Treuen melden, keine ­Nachteile mehr entstehen. Rachekündigungen gegen Whistleblower sind zum ­Beispiel nichtig. Zudem müssen alle Firmen mit über 50 Angestellten Meldestellen einrichten.

MEHR SCHUTZ. Luca Cirigliano, Zentralsekretär des Gewerkschaftsbunds, ist über den Absturz der bundesrätlichen Vorlage nicht unglücklich. Sie habe ihre Ziele verfehlt. Aus Sicht der Gewerkschaften ist die Forderung klar: «Wichtig ist, dass der Whistleblowerschutz einhergeht mit ­einem effektiven Kündigungsschutz. Zentral dabei ist, dass solche Kündigungen nichtig sind. Der Schutz in der Schweiz bei missbräuchlichen Kündigungen, zum Beispiel gegen gewerkschaftlich aktive Mitarbeiter, muss allgemein verbessert werden.»

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