Exklusiv: work sprach mit der Frau, die James Schwarzenbachs Hausangestellte war

«Er zahlte schon ein bisserl wenig»

Jonas Komposch

Ausgerechnet Fremdenfeind James Schwarzenbach holte sein «Hausmädchen» aus dem Ausland. Jetzt spricht die Österreicherin Franziska «Fanny» Ziegerhofer (87) über ihren Ex-Patron. Und darüber, wie sie schliesslich des Landes verwiesen wurde.

«Hausmädchen»: Franziska Ziegerhofer hegt und pflegt ihre Rosen. (Foto: Thomas Fischer)

work: Frau Ziegerhofer, Sie waren 1957 die Hausangestellte von James Schwarzenbach. Wie gefiel es Ihnen bei ihm?
Fanny Ziegerhofer: Es war eine wunderschöne Zeit. Ich wurde so lieb aufgenommen, fühlte mich wie ein Teil der Familie.

Aber Schwarzenbach war doch ein eifriger Bekämpfer der «Überfremdung». Haben Sie das als Ausländerin nie zu spüren bekommen?
Nein, der Herr Doktor war immer ganz, ganz nett. Er sprach sogar stets Schriftdeutsch mit mir. Und auch meine heimatliche Tracht konnte ich jeden Tag tragen.

Sie trugen ein Dirndl?
Wohl als einzige in ganz Zürich! Aber über Politik haben wir wirklich nie gesprochen. Auch nicht über die Italiener, obwohl es viele gab, etwa am See. Doch wer sonst hätte der Schweiz die Kanäle gereinigt und Strassen gebaut?

Aufgewachsen sind Sie in der Südoststeiermark an der Grenze zu Slowenien. Wie kamen Sie zu den Schwarzenbachs?
Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs rückten die slowenischen Partisanen vor. Genau an meinem zwölften Geburtstag mussten wir fliehen. Denn unser Bauernhof lag im umkämpften Grenzgebiet, und meine Familie war sehr deutsch gesinnt. Als junge Frau arbeitete ich in Hotels und in einer Fa­brik. Doch Österreich lag noch in Trümmern. Die Schweiz hingegen war sehr gefragt, weil ihr ja keinen Krieg hattet und man da so viel verdienen konnte. Und ich wollte sowieso einmal ins Ausland. Also habe ich mir die «Salzburger Nachrichten» gekauft und gleich ein passendes Stelleninserat gefunden. Aufgegeben von einem Doktor Schwarzenbach aus Zürich.

Was stand da drin?
«Hausmädchen gesucht». Ich bewarb mich und konnte direkt antreten. Per Bahn ging’s dann bis nach Buchs SG. Dort musste ich aussteigen – Grenzkontrolle. Ein Arzt prüfte mich auf Herz und Nieren und dass ich nicht schwanger sei. Für mich war das keine grosse Sache. Aber für die vielen Italienerinnen offenbar schon. Herrgott, was haben die geweint! Weshalb, verstand ich nicht. Jedenfalls sind wir dann viel zu spät, erst um 1 Uhr in der Nacht, am Zürcher Hauptbahnhof eingetroffen.

ERINNERUNGEN: Franziska «Fanny» Ziegerhofer an freien Tagen im Zürich der späten 1950er Jahre. (Foto: ZVG)

Und da wartete James Schwarzenbach auf Sie?
Nein, die Herrschaft wusste ja nicht, wann ich ankomme. Ich nahm ein Taxi und liess mich an die Kurhausstrasse bringen.

Eine noble Gegend am Zürichberg.
Durchaus, aber die Familie wohnte in einem relativ bescheidenen Reihenhaus. Die Frau Schwarzenbach hat mich ganz lieb willkommen geheissen – und fünf Stunden später bereits wieder geweckt. Dann ging’s los.

Was war Ihre Aufgabe?
Na alles, was in einem Haushalt mit vier Töchtern so anfällt. Nur Kleider waschen und bügeln nicht. Hierfür kam eine Wäscherin. Und gekocht hatte die Frau Schwarzenbach. Beim Essen sass ich übrigens immer auch zu Tisch. ­Gegenüber vom Herrn Doktor, der als Familienvater zuoberst sass. Nach dem Essen lasen alle in ihren Büchern. Meist schon um acht Uhr zog sich der Herr Doktor auf sein Zimmer zurück.

Klingt nicht gerade gesellig.
Es ging sehr ruhig und gesittet zu und her. Gäste hatten wir praktisch nie. Auch Alkohol gab es nicht. Gefeiert wurden nicht einmal die Kindergeburtstage. Nur einmal kam die Familie Bühler aus Uzwil für ein Hauskonzert. Denen gehörte die dortige Maschinenfabrik. Da habe ich dann mit den wienerischen Umgangsformen brilliert, also die Damen mit «gnädige Frau» angesprochen oder mit «Küss die Hand!». Damit habe ich fast so viel Trinkgeld kassiert, wie mir Schwarzenbach im Monat zahlte.

Was zahlte er denn?
250 Franken, plus Kost und Logis.

War das viel oder wenig?
Bei Emil Duft, dem ich anschliessend diente, erhielt ich 150 Franken mehr. Der wohnte auch in Zürich und war damals Nationalratspräsident. 250 war schon ein bisserl wenig.

Hat Ihnen die Schwarzenbachsche Küche gemundet?
Freilich! Es waren ganz normale schweizerische Gerichte. Nur Reiskochen lag der Hausherrin noch nicht so recht. Da bin ich dann eingesprungen. Übrigens hatte der Herr Doktor eine spezielle kulinarische Vorliebe: Orangen ass er samt der Schale. Das ist doch bitter!

Fühlten Sie sich denn nicht allein, so in der Fremde?
Ganz im Gegenteil! Jeden Sonntag sind wir zusammen weggefahren. Nach St. Moritz, Arosa oder ins Familienchalet nach Klosters. Auch ins Kloster Einsiedeln durfte ich mit, zur Osterkommunion. Der Herr Doktor war ja ein sehr religiöser Mensch. In seinem Schlafzimmer – die Eheleute schliefen getrennt – soll er sogar einen Altar aufgestellt haben. Den habe ich aber nie gesehen, weil ich das Zimmer nicht betreten durfte. Im Gegensatz zu seinem Schnauzer.

Trotzdem sind Sie nur ein Jahr geblieben. Warum?
Weil ich eben bei Emil Duft anfangen konnte.

Auch bei Dufts blieben Sie keine Ewigkeit.
Ich wollte in die Gastronomie und wechselte in ein Hotel nach Oerlikon. Doch schon nach zwei Wochen kam die Fremdenpolizei. Es war uns Ausländern offenbar verboten, beliebig den Beruf zu wechseln. Vermutlich war es Frau Duft, die mich bei der Polizei gemeldet hatte. Jedenfalls wurde ich des Landes verwiesen.


James Schwarzenbach: Ein brauner Hausherr

RECHTSEXTREM: Nationalrat James Schwarzenbach. (Foto: Keystone)

Kaum ein Politiker hat die Schweiz je derart gespalten wie Nationalrat James Schwarzenbach. Mit seiner «Überfremdungsinitiative» von 1970 ­wollte er den Ausländeranteil auf 10 Prozent begrenzen. Und damit bis zu 400’000 Menschen aus der Schweiz werfen. Ein heftiger Abstimmungskampf entbrannte. Schlägereien begleiteten die vergifteten Debatten. Schwarzenbach-Anhänger prügelten einen italienischen Dachdecker sogar zu Tode. Zuletzt aber die Erleichterung: Eine knappe Mehrheit der Schweizer Männer stimmte gegen das extreme Vorhaben.

Dreizehn Jahre vor der Abstimmung – im Winter 1957 – war Schwarzenbach weitgehend unbekannt. Als Schriftsteller hatte er noch kaum Erfolg. ­Wenig besser lief es ihm mit seinem Thomas-Verlag, der ­antisemitische Schriften und die Fronterlebnisse eines SS-Untersturmführers publizierte. Immerhin war der 45jährige zum Chefredaktor der «Zürcher Woche» aufgestiegen. Und für das traute Heim, in dem seine Gemahlin mit vier Töchtern weilte, hatte er ein «Dienstmädchen» bestellt: Franziska Ziegerhofer aus Österreich,
die jetzt erstmals im work über ihren Ex-Chef berichtet (siehe Artikel links).

«RUHMREICHE VÖLKER». Dass Ziegerhofer Ausländerin war, stand für Schwarzenbach nicht im Widerspruch zu seiner Ideologie. Denn Ziegerhofer ge­hörte nicht zu den «braunen Söhnen des Südens», wie Schwarzenbach die Italiener nannte, gegen die seine spä­tere Initiative hauptsächlich gerichtet war. Und die Österreicher, die in den «jugendlichen Revolutionsarmeen Hitlers» gekämpft hatten, lagen Schwarzenbach ohnehin am Herzen. Sie zählte er zu den «ruhmreichen Völkern», die seit Jahrhunderten den «ehernen Wall gegen die Sturmflut aus dem Osten» bildeten. Das schrieb Schwarzenbach 1953 und meinte damit «die Türken» und den «gott- und menschenfeindlichen Kommunismus».

Gegen diesen kämpfte der Abkömmling einer Textilindustriellen-Dynastie schon seit seiner Jugend. Zum Beispiel als ­Mitglied der rechtsextremen Natio­nalen Front. Oder als ­Anführer einer Saalschlacht im Zürcher Schauspielhaus, wo die jüdische Theaterregisseurin Erika Mann inszenierte. Und noch im hohen Alter bewunderte Schwarzenbach die faschistischen Diktaturen ­unter Salazar in Portugal und Franco in Spanien.

50 Jahre Schwarzenbach-Initiative, 50 Jahre Fremdenfeindlichkeit

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