Ein Jahr danach: Das neue Frauenstreik-Buch der Unia

Als die Schweiz bebte

Anne-Sophie Zbinden

Am 14. Juni 2019 ­erfasste eine lila Welle das Land. Pünktlich zum ersten Jahrestag des Frauenstreiks lässt ein neues Buch den Tag der Tage aufleben.

RIEN NE VA PLUS – AUSSER FRAUENPOWER: In der Berner Marktgasse entrollen 200 Verkäuferinnen während einer Protestpause ein Stoffband mit ihren Forderungen. (Foto: Annette Boutellier/LUNAX)

Laut, lila, lustvoll und lustig, ein historischer Tag! Am 14. Juni 2019 strömten über eine halbe Million Frauen auf die Strassen und Plätze der Schweiz, die grösste Mobilisierung seit dem Generalstreik von 1918. Sie veranstalteten kreative Protestaktionen, verlängerte Mittagspausen oder demonstrative Picknicks. Auf Transparenten und Plakaten war zu lesen: «Mehr Cash für Care», «Wir brauchen keine Eier, wir haben Pferdeschwänze», «Schluss mit Gratis!», «Runter mit der Tampon­steuer!», «Viva la vulva!», «Mein Körper will deine Meinung nicht», «Wir haben einen Patriarkater» und vieles, vieles mehr.

NEUE ENERGIE

Die Gewerkschaften brachten die zahlreichen und vielfältigen Forderungen auf den Punkt: «Respekt, mehr Lohn, mehr Zeit!» Ein Jahr später hallt dieser Ruf noch immer nach – und wird sogar lauter. Denn Corona hat gezeigt, dass es die Frauen sind, die uns durch die Krise tragen (siehe das Frauen-Corona-Dossier, Seiten 10–11). Doch noch immer verdienen rund 53 Prozent der Frauen in der Schweiz weniger als 4000 Franken pro Monat, etwa 70 Prozent verdienen weniger als 5000 Franken. Doppelt so viele Frauen wie Männer arbeiten zu einem Tieflohn. Und: Jede Berufsfrau wird in ihrem Arbeitsleben im Schnitt um über 300’000 Franken betrogen. Bloss weil sie eine Frau ist.

Es gibt noch viel zu tun!

Pünktlich zum einjährigen Geburtstag des zweiten Frauenstreiks erscheint jetzt das Buch dazu: «Die Schweiz bebt! La Suisse bouge! La Svizzera trema!», herausgegeben von der Unia. Darin zu sehen: eine sorgfältige Auswahl grandioser Frauenstreik-Bilder. Und zu lesen: Gewerkschafterinnen blicken zurück und erzählen, wie sie diesen Tag der Tage erlebt haben. Den Anfang macht Unia-Präsidentin Vania Alleva: «Wenn ich an den Frauenstreik zurückdenke oder die Bilder des Frauenstreiks betrachte, erfüllt mich diese Energie wieder aufs neue.» Sie erinnert sich auch an ihren Besuch im Vallée de Joux an diesem 14. Juni. Im Tal der Luxusuhren hatte die Arbeiterin Liliane Valce­scini den ersten Frauen­streik von 1991 ins Rollen gebracht. Fast 30 Jahre später versammelten sich dort rund 500 Uhrenarbeiterinnen zu einer verlängerten Mittagspause. Trotz Regen und frostigen Temperaturen erhitzten sich die Frauengemüter: für gleiche Löhne, bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, mehr Frauen in Kaderpositionen. Die Unia-Frau ­Camille Golay erinnert sich: «Der Druck auf die Frauen war gross, aber der Tag war wunderbar und bleibt in unserer Erinnerung eingraviert.»

Unvergessen auch die 200 mutigen Verkäuferinnen, die ihren Arbeitsplatz verliessen und um 11 Uhr in der Marktgasse, Berns prominentester Einkaufsmeile, ein 100 Meter langes Stoffband mit ihren Forderungen ausrollten: endlich rauf mit dem Lohn, einen GAV, keine längeren Öffnungszeiten! Unia-Frau Stefanie von Cranach war vor der Aktion nervös. Etwa in drei Vierteln der Geschäfte hatten Vekäuferinnen ihre Teilnahme an der Aktion zugesagt. Wie viele dann tatsächlich mitmachen würden, war aber bis um 10.55 Uhr unklar. Doch die Stimmung in der Stadt war bereits frühmorgens unglaublich, das stimmte sie zuversichtlich. «Spätestens als dann gegen 11.20 Uhr über 5000 Frauen mit ihren Kinderwagen an den Verkäuferinnen vorbeizogen, wurde allen in der Marktgasse klar, dass sie gerade Geschichte schrieben.»

FRAUENBLOCKADE

Vier Stunden vorher hatte der Frauenstreiktag in Luzern bereits begonnen, mit einer legendären Frauenblockade: In einer grauen Luzerner Wohnblocksiedlung fuhren kurz vor 7 Uhr Autos vor. Punkt 6.59 Uhr, eine Minute vor Schichtbeginn, öffneten sich die Autotüren. Frauen stiegen aus, bildeten eine Kette und blockierten die Zufahrt der Reinigungsfirma A & M Durães GmbH und legten ­damit den Betrieb komplett lahm. Unterstützt von Unia-Frau Ana Pica, erreichten die Frauen mit dieser beherzten Aktion noch am selben Tag, dass auch die Vor- und Nachbereitungsarbeiten sowie die Fahrzeiten bezahlt werden. work wollte jetzt wissen, ob sich die Verbesserungen gehalten hätten. Und ja, das taten sie, aber noch bleibt in der A & M Durães GmbH vieles zu tun (siehe Spalte links). Und nicht nur dort!

Die Schweiz bebt! La Suisse bouge ! La Svizzera trema !
Frauen*streik, 14. Juni 2019.
Vernissage: 14. Juni 2020 auf unia.ch/buch-frauenstreik.
Gratisbestellung: Mail an frauen@unia.ch

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