Jean Ziegler ‒ la suisse existe

Krieg und Seuche

Jean Ziegler
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Seine wichtigsten Texte schreibt Uno-General­sekretär António Guterres, von Hause aus Gymnasiallehrer für Mathematik, selber. Auf einem gelben Schreibblock, von Hand, in seinem kargen Büro im 38. Stock des Uno-Wolkenkratzers am East River in New York. Sein Appell an die Weltgesellschaft vom 23. März beginnt mit den Worten: «Legt die Waffen nieder, bringt die Kanonen zum Schweigen.» Guterres ruft zu einem «sofortigen Waffenstillstand überall auf der Welt» auf, um der «Furie des Coronavirus» zu begegnen.

VERGEBLICHER APPELL. Von den 193 Uno-­Mitgliedstaaten unterstützten 70 den Appell. Darunter allerdings keine einzige kriegführende Macht. Russlands Wladimir Putin, der
in Idlib, der letzten aufständischen Provinz Syriens, Schulen, Wohnquartiere, Spitäler bombardieren lässt, sieht im Guterres-Appell ein «Manöver», das den «Kampf gegen den Terrorismus» behindere. Israel und die USA teilen diese Meinung.

Auch unter den 70 unterstützenden Staaten praktizieren einige eine überaus heuchlerische Politik. Beispiel: Frankreich. Im fürchterlichen Vernichtungskrieg, den die saudiarabische Diktatur in Jemen gegen die aufständische Huti-Bewegung führt, lieferte Paris für 18 Mil­liarden Euro Splitterbomben, Granaten und Tausende Tonnen Munition.

Der ehemalige Generalsekretär Kofi Annan hat immer wieder
gesagt: «Die Uno, das ist jeder von uns.»

Viele der heute auf dem Planeten wütenden Kriege sind sogenannt asymmetrische Konflikte. Guerrilla-Organisationen, die sich gegen die jeweilige Staatsmacht richten, reagierten unterschiedlich auf den Appell der Uno. Islamistische Gruppen lehnten jeden Waffenstillstand ab. Andere Aufstandsbewegungen jedoch erklärten einseitig die Niederlegung ihrer Waffen. Beispiele: die maoistische Neue Volksarmee auf den Philippinen, die separatistische Nationale Befreiungsarmee von Südkamerun oder die kommunistische Nationale Befreiungsarmee von Kolumbien. In all diesen Fällen verweigerte die Staatsmacht jedoch den Waffenstillstand.
Niedergeschlagenheit herrscht in den Uno-Hauptquartieren in Genf und New York. Einige Diplomaten versuchten, die Machtlosigkeit ihres Generalsekretärs kleinzureden. Ihr ­Argument: In der Geschichte habe noch keine Seuche je einen Krieg beendet.

Vor fast genau 100 Jahren fand in Genf die erste Generalversammlung des Völkerbundes statt. Sein Ziel: nie wieder Krieg. Der Völkerbund zerbrach an der Sabotage durch Adolf Hitler, am faschistischen Aufstand in Spanien, an der italienischen Aggression gegen Äthiopien, dem sowjetischen Angriff auf Finnland und schliesslich am grauenhaften Gemetzel des Zweiten Weltkriegs.

ZERSCHLAGUNG DER UNO? Erwartet die Uno das gleiche Schicksal? Hat ihre Zerschlagung bereits begonnen? – Ich wehre mich gegen diesen Pessimismus. Der ehemalige Generalsekretär Kofi Annan hat immer wieder gesagt: «Die Uno, das ist jeder von uns.» Von unserem Willen und unserer Vernunft hängt es ab, ob die Prinzipien der kollektiven Sicherheit und der planetarischen sozialen Gerechtigkeit über die grassierende Unvernunft, die mörderischen Kriege und die Corona-Seuche triumphieren werden.

Jean Ziegler ist Soziologe, Vizepräsident des beratenden Ausschusses des Uno-Menschenrechtsrates und Autor. Sein neustes Buch ist: Die Schande Europas. Von Flüchtlingen und Menschenrechten.

1 Kommentar

  1. Peter Bitterli

    „Seine wichtigsten Texte schreibt Uno-General­sekretär António Guterres, von Hause aus Gymnasiallehrer für Mathematik, selber. Auf einem gelben Schreibblock, von Hand, in seinem kargen Büro im 38. Stock des Uno-Wolkenkratzers am East River in New York.“ Was für ein schmalziger Kitsch!
    „Die maoistische Neue Volksarmee auf den Philippinen, die separatistische Nationale Befreiungsarmee von Südkamerun oder die kommunistische Nationale Befreiungsarmee von Kolumbien.“ Was für ideologisch abgeranzte Lausbubengruppierungen!

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