Grosse Bau-Umfrage der Unia zeigt:

Bauarbeiter unter massivem Druck

Michael Stötzel

78 Prozent der Baubüezer sagen, dass der Termindruck auf dem Bau massiv zugenommen habe. Und krank mache. Bei den Polieren sind es sogar 83 Prozent. So kann es nicht weiter­gehen, sagt die Unia.

CHRAMPFEN À GOGO: Ohne Samstagsarbeit und Überstunden sind die Termine auf den Baustellen nicht mehr einzuhalten. (Foto: Keystone)

Schon die Zahl der Teilnehmer an der Unia-Umfrage weist darauf hin, dass es brennt auf dem Bau: Zwischen Juni und Oktober 2019 äusserten sich 12 203 Bauarbeiter und Poliere zu Fragen über Termin- und Zeitdruck, den gesundheitlichen Folgen und der Sicherheit auf den Baustellen. Das sind ganze 15 Prozent aller Bauleute. Und ihre Antworten sind eindeutig.

«Der Termindruck auf den Baustellen ist wie eine Krankheit.»

MEHR STRESS, WENIGER SICHERHEIT

78 Prozent der Bauleute geben an, dass der Termindruck in den letzten Jahren zugenommen habe. Das finden bei den Polieren, die für die Umsetzung der Baupläne verantwortlich sind, sogar 83 Prozent. Mehr Stress spüren 73 Prozent der Bauleute, und 55 Prozent sagen, dass ihre Gesundheit leide. Eine Mehrheit der Befragten klagt auch darüber, dass die Arbeits­sicherheit vernachlässigt werde.

Gemessen an den Unfallzahlen haben die Bauarbeiter schon jetzt den gefährlichsten Beruf. Im Durchschnitt aller Branchen verunfallten 2018 (das sind die neusten Zahlen) 63 von 1000 Beschäftigten. Im Baugewerbe waren es 181, mehr als jeder sechste. Das zusätzlich Erschreckende dabei: Bei den schweren Unfällen war der Trend in den letzten zehn Jahren positiv (+ 17,6 Prozent). Mehr als 120 Bauarbeiter verloren bei der Arbeit ihr Leben. Auch hier war die Tendenz leider steigend. Der zunehmende Stress und vernachlässigte Massnahmen zur Arbeitssicherheit sind mutmasslich ein wesentlicher Faktor für diese erschreckende Entwicklung.

BAUARBEITER-UMFRAGE: DIE ERGEBNISSE

KONJUNKTUR AUF REKORDKURS

Verantwortlich für den Termindruck ist nach Ansicht der Poliere in erster Linie die Bauherrschaft, die zunehmend unrealistische Endtermine vorgibt und selbst bei verzögertem Baubeginn daran festhält. Chris Kelley, Co-Leiter des Bausektors der Unia, weiss, dass auch viele Baufirmen die Zeitvorstellungen ihrer Auftraggeber beklagen: «Doch aufgrund des hohen Konkurrenzdrucks akzeptieren die meisten Unternehmen die vorgegebenen Fristen – egal, wie unrealistisch die Planung ist.» Ganze 64 Prozent der Poliere beklagten aber auch, auf ihren Baustellen nicht genug Arbeiter zu haben, um die Termine ohne Überstunden und Samstagsarbeit einzuhalten. Die zwangsläufige Folge: Bauarbeiter müssen auch in ihrer Freizeit antreten. 68 Prozent der befragten Bauarbeiter gaben in der Umfrage deshalb an, dass sie zu wenig Zeit für ihre Familien hätten. Stellvertretend fasst dies Bauarbeiter Antonio Ruberto so zusammen: «Der Termindruck auf den Baustellen ist wie eine Krankheit. Heute müssen wir fertig sein, bevor wir angefangen haben. Und wir zahlen mit unserer Freizeit, unserer Gesundheit und mit unserem Leben.» Ruberto arbeitete fast 40 Jahre auf dem Bau und ist seit kurzem in der verdienten Frühpensionierung.

Krank sind dabei aber nicht die Gewinne der Branche selbst. Im Gegenteil: Die Konjunktur im Bauhauptgewerbe war in den letzten 20 Jahren noch nie so gut wie 2019. Das zeigen Berechnungen des Baumeisterverbandes (SBV) und der Credit Suisse. Und die Arbeitsvorräte sind laut SBV auf Rekordhoch. Die Firmen werden also auch in diesem Jahr gute Geschäfte machen. Jeder ihrer Arbeiter bringt ihnen einen Reingewinn von 13’900 Franken. Das zeigten Berechnungen des Bundesamtes für Statistik von 2017.

Unia-Bauchef Nico Lutz sieht in solchen Erfolgszahlen allerdings «nur einen Teil der ­Realität». Der andere Teil: «Die Zahl der Beschäftigten ist in den letzten Jahren tendenziell gesunken. Insbesondere bei den festangestellten Bauarbeitern wurde der Bestand deutlich reduziert.» Spitzenkonjunktur bei reduziertem Personal, das heisst: grössere Arbeitsbelastung, wachsender Zeitdruck, Stress. Weil immer weniger Bauarbeiter immer mehr bauen.

WAS TUN?

Ende Januar haben sich die Präsidenten der regionalen Unia-Baugruppen bereits mit den Ergebnissen der Umfrage beschäftigt. In der Diskussion, die in den nächsten Wochen an Versammlungen im ganzen Land fortgesetzt werden soll, zeichnen sich Forderungen auf drei Ebenen ab. Unter anderem:

  • Bauherrschaft: Bei fehlerhaften und ver­änderten Bauplänen oder gefährlichem Schlechtwetter müssen die Endtermine an­gepasst werden.
  • Baufirmen: Beschränkung der Temporär­arbeit und der Weitervergabe der Arbeiten an Subunternehmer.
  • Arbeitszeit: Reduktion der möglichen Überstunden und der Samstagsarbeit. Sie müssen wieder bewilligungspflichtig und verteuert werden. Zudem soll die Reisezeit zur Baustelle endlich auch zur Arbeitszeit zählen.

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