Italien, Bologna: Wahltag mit dem Altkommunisten Sergio Nottoli (90)

«Wir werden gewinnen!»

Jonas Komposch

Weltkrieg, Partisanen, Neo­faschisten, Aufstieg und ­Zerfall der kommunistischen Partei Italiens, Berlusconi und Verräter Matteo ­Renzi: Alles hat Sergio Nottoli ­miterlebt. Und immer blieb er der Linken treu. Und ­seinen Tagliatelle al ragù.

SERGIO NOTTOLI: «Ex-Premier Matteo Renzis wirtschaftsfreundlicher Kurs hat viele Mitglieder des Partito Democratico vergrault.» (Foto: Giorgio Benvenuti)

Im Wartesaal der zweiten Klasse am Hauptbahnhof von Bologna steht eine pralle Reisetasche. Sie tickt im Sekundentakt. Bis um 10.25 Uhr. Dann detonieren 23 Kilogramm Sprengstoff. Das Bahnhofsgebäude stürzt ein. 85 Menschen werden in den Tod gerissen, 200 weitere verletzt. Das war am 2. August 1980. Ziel des Anschlags: die Bevölkerung Bolognas. Denn diese hatte seit Ende des Zweiten Weltkriegs mit grossem Mehr kommunistisch gewählt. Und das passte den Tätern nicht. Sie waren Neofaschisten mit besten Verbindungen zum Geheimdienst. Vom Terror liess sich das rote Bologna allerdings nicht einschüchtern: bis heute ist die Stadt links regiert. Und am Bahnhof erinnert eine grosse Gedenktafel an die Bluttat vor
40 Jahren. «Niemals vergessen!» steht darauf.

Just vor diesem Mahnmal warte ich auf Sergio Nottoli (90), Urgestein der Bologneser Arbeiterbewegung. Es ist der Samstag vor den Regio­nalwahlen in der Emilia-Romagna. Sämtliche ­Umfragen prognostizieren dem sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der rechtsextremen Lega. Und bereits jetzt steht fest, was Lega-Führer Matteo Salvini tun wird, falls seine Partei ihren Siegeszug auch in der traditionell linken Region Norditaliens fortsetzen wird: nationale Neuwahlen verlangen, die Landesregierung übernehmen und den Umbau Italiens in ein autoritäres Regime vorantreiben.

«Salvini und seine Leute sprechen wie die Faschisten von damals.»

DIE FASCHISTEN-BOMBE

Da kurvt plötzlich ein grauer Fiat Lupo heran. Am Steuer ein Mann mit ernstem Blick und schneeweissem Haar. Er hupt. Nottoli! Noch bevor wir davonbrausen, beginnt er zu erzählen: «Ja, der Anschlag von 1980, ich erinnere mich genau!» Mit seiner Familie habe er an jenem Samstag an einem schönen Strand an der Adria gelegen. Dann kam die Nachricht von der Bombe. Sofort sei er nach Bologna gefahren. Hier hatte Nottoli schliesslich verschiedene politische Ämter inne, war etwa langjähriger Quartierspräsident, Gemeindeparlamentarier und Parteisekretär. Und nun brauchte die Stadt im Schockzustand jede helfende Hand.

BEI DEN PARTISANEN

Was Nottoli Ende August 1980 am Bahnhof von Bologna sah, erinnerte ihn an den Zweiten Weltkrieg. Gerade mal zehn Jahre alt war er, als dieser 1940 auch auf die Emilia-Romagna übergriff. Vier Jahre später starteten die Alliierten ihre Luftoffensive gegen Bologna. Der Bombenhagel traf allerdings nicht nur kriegswichtige Infrastrukturen und faschistische Truppen, sondern auch die Zivilbevölkerung. Deshalb suchte Nottoli bei Fliegeralarm immer das Weite, rannte auf die Hügel ausserhalb der Stadt und verkroch sich in den Wäldern. «Dort traf ich zum ersten Mal auf Partisanen», erzählt Nottoli. Diese antifaschistischen Guerrillakämpfer hätten ihm nicht nur Unterschlupf, sondern auch etwas zu essen gegeben. Ein Segen für den Bub. Denn: «Damals hungerten wir eigentlich immer.» Oft sei er deshalb auf die Felder rausgefahren. Um liegengebliebene Getreidekörner einzusammeln. Einmal geriet er auf dem Nachhauseweg in die Hände der Deutschen. Diese waren gerade dabei, eine Kuhherde zu stehlen. «Sie zerrten mich von meinem Velo, drückten mir einen Stecken in die Hand und zwangen mich mitzukommen.»

Nottoli bremst, Stau vor den Toren der Bologneser Altstadt. Draussen machen Touristen Selfies vor einer backsteinroten Kathedrale. Erst als der Verkehr wieder rollt, erzählt Nottoli weiter.

Sieben Stunden lang musste Sergio mit den deutschen Soldaten mitmarschieren und ihr geraubtes Vieh zusammenhalten. Dann gelang ihm die Flucht. Reines Glück sei das gewesen, meint Nottoli heute. Denn im nahe gelegenen Dörfchen Marzabotto zeigten die Nazis zur selben Zeit, wozu sie fähig waren: Sie erschossen die gesamte Einwohnerschaft. 770 Kinder, Alte und Frauen. Vermeintliche oder tatsächliche Angehörige von Partisanen.

RAUSCHENDE FESTE

Als der Krieg endlich vorbei war, trat der 15jährige Nottoli sofort dem Partito Comunista bei. Er erzählt: «Denn die kommunistischen Partisanen waren die Speerspitze unserer Befreiung. Sie hatten die Nazis bereits vertrieben, als die Alliierten hier eintrafen.» Der junge Aktivist gab fortan alles für die Partei, die bald zur mitgliederstärksten des Landes wurde. Selbst als Maschinen­mechaniker-Stift verteilte er ständig Flugblätter, besuchte wöchentlich Gewerkschaftsversammlungen. «Alles für den demokratischen Wiederaufbau der Heimat», sagt er.

Besonders gerne erinnert sich Nottoli aber an das allererste Fest zugunsten der Partei­zeitung «Unità», die «Festa dell’Unità». Einfach «bellissima» sei die gewesen, damals im Sommer 1946, kurz nach den Kriegsjahren voller Leid und Entbehrungen. Seither hat Sergio Nottoli kein einziges dieser rauschenden Feste verpasst. Im Gegenteil: Meistens war er sogar Teil des Organisationskomitees oder half mit, die notwendigen Berge von Lasagne, Tortelloni oder Spaghetti zu kochen.

«Der Staat lässt die Menschen im Mittelmeer einfach ertrinken!»

IN DER KÜCHE

A propos Kochen! «È la mia passione», sagt Nottoli, «meine Leidenschaft». Das zeigt sich deutlich in Casalecchio di Reno. Nach einer halbstündigen Fahrt sind wir in diesem Vorort Bolognas angekommen. Nottoli führt ins Industriequartier, zur Casa dei Popoli, dem Haus der Völker. Es ist ein grosszügiger und moderner Bau im Besitz des Partito Democratico. Also jener regierenden Mitte-links-Partei, die 2007 aus den Resten der kommunistischen, der sozialdemokratischen sowie der christdemokratischen Partei hervorgegangen ist. Auch Nottoli ist Mitglied. Jetzt aber will er mir das Herzstück der Casa zeigen: «la cucina». Und was für eine Küche das ist! Gross genug, um locker an die 300 hungrige Mäuler zu bekochen. Hier arbeitet Nottoli regelmässig. Dann gibt es Spezialitäten wie Tagliatelle al ragù, Tortellini in brodo oder Maccheroni mit Salciccia. «Du musst wissen», sagt Feinschmecker Nottoli, «die emilianische Küche ist eine der feinsten Italiens.» In den Genuss seiner Köstlichkeiten kommen jeweils die Besucherinnen und Besucher der Parteifeste. Bloss sind das nicht mehr so viele wie einst.

Der Partito Democratico ist nämlich schwer angeschlagen. Nottoli sagt, das habe vor allem der Ex-Premier Matteo Renzi zu verantworten: Der hat es geschafft die Partei zu erobern und nach rechts zu öffnen.» Renzis wirtschaftsfreundlicher Kurs habe aber viele Mitglieder vergrault. Jetzt, kurz vor den Wahlen, stehe die Linke gespalten da. Tatsächlich kandidieren vier verschiedene Linksparteien einzeln für den Gouverneursposten der Emilia-Romagna, zudem die populistische 5-Sterne-Bewegung. Demgegenüber hat sich die gesamte Rechte hinter der Lega-Kandidatin vereint. «Das ist gefährlich!» sagt Nottoli: «Denn Salvini und seine Gefolgsleute reden wie die Faschisten von damals.»

VINCEREMO NOI!

Und dann die Flüchtlinge. Nottoli kocht regelmässig auch für sie. Oder nimmt sie in seiner Wohnung auf und schenkt ihnen Kleider. Er sagt: «Ich weiss, was Krieg und Flucht bedeuten.» Vom Staat aber sei er enttäuscht, weil: «Er lässt die Menschen im Mittelmeer einfach ertrinken!» Für Nottoli «das Schlimmste der Welt». Trotz alledem ist der alte Kämpfer optimistisch: «Vinceremo noi!» – «Wir werden gewinnen!» ruft er. Und tatsächlich. Spätnachts am Sonntag bestätigt sich seine Prognose: Sozialdemokrat Stefano Bonaccini ist mit 51 Prozent der Stimmen überraschend deutlich wiedergewählt. Korkenknallen und Spumante für alle in der Casa dei Popoli! Die Emilia-Romagna bleibt rot. Und Sergio Nottoli sagt: «Hab ich’s dir nicht gesagt?»


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1 Kommentar

  1. Peter Bitterli

    Was für ein Kitsch! Da bleibt kein Klischee trocken, von Faschistenbomben, Fiat und Partisanen, über Speerspitzen, Flugblätter und Tortelloni, Casa dei Popoli, hungrige Mäuler und emilianische Küche bis zu Flüchtlingen, vinceremo und Spumante. Ansonsten war da gar nichts. Tränenschniefiges und Leergekautes. Für Marco und Mario von der Unia-Basis? Doch wohl eher für die paar gleichgesinnten Italienreisenden aus der Redaktion. Wieso geraten eigentlich linke Texter immer in feuchte Träumereien, wenn es um Italien oder Frankreich geht, kaum aber je bei Belgien, Österreich oder Dänemark? Weil dort das Essen tendenziell besser ist, und sich grössere Bevölkerungsgruppen mit komplexitätsreduzierten Träumereien zu für Protestmärsche gewinnen lassen? Wie wäre es zur Abwechslung einmal mit einem rührenden Porträt über einen Altkommunisten oder zu nach grösserer Abwechslung eine Altkommunistin in Bulgarien, Rumänien, Ungarn oder Tschechien?

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