Riegers Europa

Am 1. Februar ist Brexit: Und jetzt?

Andreas Rieger

Andreas Rieger

Britanniens Brexit ist Gift. Lange bevor er beschlossen war, hatte er schon die britische Gesellschaft gespalten. Der rechtsextremen Partei UKIP war es gelungen, die EU zum grossen Sündenbock zu machen. Und die brennenden sozialen Fragen, die weit verbreitete Armut und Grossbritanniens Misere im Gesundheitswesen waren plötzlich kein Thema mehr. Stattdessen wiegten sich viele in der Illusion, das Königreich könne im Alleingang wieder zu alter Grösse finden. Der notorische Lügner, Brandstifter und heutige Premier, Boris Johnson, surft auf dieser Illusionswelle erfolgreich weiter: Bei den Parlamentswahlen vor Weihnachten hat er mit seinen Konservativen die absolute Mehrheit erobert. Die linke Labour-Partei hingegen schrumpfte im Parlament massiv.

Kippt Johnson jetzt bezahlte
Ferien und Eltern­urlaub?

LABOUR LAVIERT. Warum dieses Debakel der Linken? Vor wenigen Jahren erlebte ­Labour mit Jeremy Corbyn einen Aufschwung, Zehntausende Junge wurden aktiv, bei den Wahlen vor zwei Jahren war Labour sogar nahe dran, die Konservativen zu überholen. Damals konnte die Partei die soziale Frage in einem starken Wahlprogramm in den Vordergrund bringen. Gleiches versuchte sie nun wieder – aber ohne ­Erfolg. Weil das Thema «Brexit» alles überdeckte. Und beim Brexit ist Labour hin und her gerissen. Mit einem Nein im Wahlkampf hätte die Partei Arbeiterstimmen im Norden verloren. Mit einem Ja, die Jungen vor den Kopf geschlagen. Die Partei lavierte und verlor auf beiden Seiten.

UND JETZT? Am 1. Februar tritt Grossbritannien definitiv aus der EU aus. Aber ansonsten ist gar nichts klar. Es herrscht Unsicherheit: Wie viele Unternehmen werden das Land verlassen? Die Gewerkschaften gehen vom Schlimmsten aus. Und sie befürchten, dass Boris Johnson bald schon damit beginnen wird, Arbeits-, Konsum- und Umweltnormen zu schleifen. Das Schicksal Hunderter Gesetzesbestimmungen in diesem Bereich hängen nun in der Luft. Bezahlte Ferien und Elternurlaub, Maximalarbeitszeiten, Diskriminierungsverbot, all dies ist bisher nur im EU-Recht verankert und müsste in britisches Recht übergeführt werden. Genauso wie die Importsperre für Chlorhühner. Doch Johnson und seine ­reaktionäre Parlamentsmehrheit haben grosse Lust, diesen «Ballast» im Namen der Wettbewerbsfähigkeit abzuwerfen.

Andreas Rieger war Co-Präsident der Unia. Er ist in der europäischen Gewerkschafts­bewegung aktiv.

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