Bärtschi-Post

Die Briefträgerin & die Bedürfnisse

Katrin Bärtschi

Katrin Bärtschi ist Briefträgerin in Bern und Gewerkschafterin.

Neulich auf der Hauptpost musste die Briefträgerin gar nicht lange warten, bis sie an die Reihe kam. Das war ziemlich ungewöhnlich.

«Die Post baut nicht ab, sondern um!» So lautet eine neue Parole des Konzerns. Begründung hier wie bei vielen anderen Gelegenheiten: «Die veränderten Kundenbedürfnisse.» «Ich bestimme, wo ich meine eingeschriebenen Briefe erhalte.» Und die Postwerbung zeigt’s: Ein Papi macht sich mit umgehängtem Kind um Mitternacht am MyPost24-Container zu schaffen. Eine Sie und ein Er lesen fröhlich im vom Regen umrauschten Ferienzelt auf dem Handy ihre neusten Rechnungen. «Mit mir macht man es auf dem Sofa», verkündet Post­finance. Die Briefträgerin spürt nur einen Impuls: Wegschauen! Wie bei der SBB-Werbung mit der ewigjungen alten Schachtel und ihrem Smartphone.

«Die Briefträgerin spürt nur einen Impuls: Wegschauen!»

ECHTER ERSATZ. Ohne App aufs Sofa. Stimmt, die Briefträgerin hat kein Bedürfnis, auf der Post eine Viertelstunde oder länger zu warten, bis einer der überhaupt geöffneten Schalter frei wird und eine Kollegin sie müde fragt, ob sie kein E-Banking mache, eventuell gar nicht machen wolle? Nein, trotz Wartezeiten will sie weder auf E-Banking umstellen (die Schalterkollegin zwinkert ihr zu), noch betrachtet sie die Postagentur im Quartierladen als echten Ersatz für die offizielle Poststelle. Die Briefträgerin hat auch kein Bedürfnis, sich mit umgehängtem Baby mitten in der Nacht zu MyPost24 zu begeben oder in den Ferien Rechnungen zu studieren. Die Briefträgerin mag es auch nicht mit der App auf dem Sofa machen. Und dass «Empfängerkunden» (auch hier sind die Frauen vermutlich mitgemeint) Anweisungen bezüglich der Zustellung ihrer eingeschriebenen Post erteilen, erlebt sie auf ihren Touren sozusagen nie.

BEDÜRFNIS WECKE. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Wie sang der Liedermacher Ärnschd Born einst wirtschaftskritisch: «Bedürfnis wecke zum Bedürfnis decke.» Die etwas andere Sicht auf die vielzitierten «Kundenbedürfnisse» und eine klare Antwort auf die Frage, was hier zuerst war, das Huhn oder das Ei.

Äs guets Nöis!

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