Jean Ziegler ‒ la suisse existe

Danke, Pierre!

Jean Ziegler
Jean Ziegler

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Es war ein kühler Herbstmorgen, als wir uns zuletzt trafen im kleinen Café gegenüber dem Bahnhof von Nyon. Pierre Krähenbühl war zu Besuch bei seiner Familie, die in einem kleinen Dorf am Jurafuss lebt. Pierre war einer der lebendigsten und klügsten Studenten, die ich je hatte. Heute ist er ein Freund. Wir redeten über Palästina, über das Gemetzel in Syrien und über das Palästinenserhilfswerk der Uno, die UNRWA. Pierre ist seit 2014 dessen Hochkommissar. Er sagte: «Ich weiss nicht, wie lange ich diese persönlichen Diffamierungen und die Sabotage des Hilfswerks durch israelische und amerikanische Diplomaten noch aushalte.»

Die Schande der Schweiz heisst Ignazio Cassis.

ERZWUNGENER RÜCKTRITT. Im letzten Juli begann die soundsovielte Administrativ­untersuchung gegen Pierre und seine engsten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dabei erhärtete sich keiner der Vorwürfe einer internen Untersuchungskommission. Trotzdem trat Pierre Anfang dieses Monats zurück.

Das Hilfswerk wurde 1949 von der Uno gegründet. Damals waren 750’000 Palästinenserinnen und Palästinenser von israelischen Terror­gruppen aus ihrer Heimat vertrieben worden. Heute kümmert sich die UNRWA um 5,6 Millionen Menschen, die in fünf Ländern im Exil leben. Ihr Recht auf Rückkehr in ihr Land ­anerkennt die Uno seit über sechzig Jahren.

Die UNRWA leistet Nahrungsmittelhilfe für Hunderttausende, sie unterhält 900 Schulen und Gewerbebetriebe für Lehrlinge, leitet ­Hunderte Spitäler. Ihr Budget übersteigt 1,2 Milliarden Dollar, dabei fehlen ihr in ­diesem Jahr noch 89 Millionen.

Die Menschen in Westeuropa haben meist keine Ahnung von den Leiden des palästinensischen Volkes. Im seit 2006 von Israel hermetisch abgeriegelten Ghetto von Gaza überleben auf 352 Quadratkilometern 2,8 Millionen Menschen unter schlimmsten Bedingungen. 85 Prozent von ihnen sind Flüchtlinge. Yarmouk im Süden von Damaskus war bis 2013 das grösste Palästinenserlager der Welt, mit über 200’000 Flüchtlingen. Im seit März 2011 wütenden Krieg verhielten sich die Flüchtlinge absolut neutral. Doch 2013 eroberten Jihadisten das Lager. Das syrische Regime blockierte daraufhin alle Zugänge, und die UNRWA musste die Lieferung von Nahrungsmitteln und Medikamenten einstellen. Viele Tausende verhungerten, starben an Epidemien oder versuchten die Flucht ins benachbarte Libanon. Heute beherbergt Yarmouk noch 16’000 Flüchtlinge.

DER VERRAT. Die Schande der Schweiz heisst Ignazio Cassis. Seine Missetaten hat Clemens Studer kürzlich im work aufgelistet (rebrand.ly/cassis). Besonders schlimm ist sein Verrat an Pierre Krähenbühl, dem bis anhin höchsten Schweizer Uno-Beamten. Cassis hat öffentlich gegen das Rückkehrrecht der Palästinenser argumentiert, er stoppte die Zahlungen der Schweiz an die UNRWA und will letztlich die ganze Organisation auflösen.

Am 11. Dezember sind Bundesratswahlen. Dann – so ist zu hoffen – sollte Cassis aus dem Aussenministerium und wenn möglich aus dem Bundesrat entfernt werden. Dem mutigen Pierre Krähenbühl gehört heute unsere Bewunderung und unser Dank.

Jean Ziegler ist Soziologe, Vizepräsident des beratenden Ausschusses des Uno-Menschenrechtsrates und Autor. Sein jüngstes in Deutsch erschienenes Buch heisst: «Was ist so schlimm am Kapitalismus? Antworten auf die Fragen meiner Enkelin».

5 Kommentare

  1. Peter Bitterli

    Wer immer hier an den postings rumflickt, hat dasjenige des „Scheiss Bitterli“ gelöscht, dasjenige des Herrn Rahm, der diesen als „Scheiss Bitterli“ bezeichnet, aber stehen lassen. Jeder Kommentar bezüglich Niveau und Ausgewogenheit der Moderation erübrigt sich da.

  2. Peter Leuenberger

    Cassis stösst ins gleiche Horn wie Trump: Er will das Hilfswerk der Vereinten Nationen für die Palästinaflüchtlinge als angebliches Hindernis für den Frieden im Nahen Osten liquidieren. Das hehre Mäntelchen der Neutralität und Humanität ist allzu durchsichtig geworden. Danke, Jean!

    • Peter Bitterli

      Mäntelchen werden nicht „allzu durchsichtig“, da sie sonst ja ohnehin schon durchsichtig gewesen wären, was aber selten vorkommt. Und was Sie ja auch nicht sagen wollten. Mäntelchen werden allenfalls fadenscheinig. Das ist aber nicht das einzige Üble an dieser rundum windschiefen Metapher. Was soll denn bitte ein „hehres Mäntelchen“ sein? Die Angelegenheit, das Anliegen kann man möglicherweise als „hehr“ bezeichnen. Greift man metaphorisch zum Mäntelchen, dann wird ja bereits etwas vorgetäuscht, „bemäntelt“ eben. Auch das wollten Sie ja gar nicht sagen. Sie halten die Sache ja für hehr und nicht bloss als – „scheinbar“ übrigens in diesem Fall – hehr bemäntelt. Schliesslich will Herr Cassis oder wer auch immer weder etwas als hehre Neutralität oder Humanität bemänteln. Wer hat Ihnen das gezwitschert? Hier wird einfach eine Massnahme ergriffen. Sie meinen, irgendwas zu durchschauen (was ja bei Durchsichtigkeit auch nicht so schwer wäre), wo es gar nichts zu durchschauen gibt.
      Offenbar sind Sie auch der Meinung, man solle nicht „ins gleiche Horn stossen“ wie „Trump“, als ob das schon ein Argument per se wäre. Sie könnten ja da in Vielem recht haben. Gilt das aber auch zum Beispiel für die Tatsache, dass noch kein US-Präsident in den letzten Jahrzehnten im Gegensatz zu Trump zu diesem Zeitpunkt der Legislatur keinen Krieg vom Zaun gebrochen hat? Und: In welches oder wessen Horn stossen eigentlich Sie?

  3. Peter Bitterli

    Tolle Dok über Ziegler. Der Greis und Chauffeur von Ché steht im Dreck und Verfall von Havanna und fragt die Leute vorwurfsvoll, wieso sie keine Fidel-Bilder in die Wohnungen hängen. Er lobt die wunderbar romantische Dunkelheit in den Strassen, und seine Frau, die das als Zeichen von Armut und Rückständigkeit erkennt, kann ihre Verachtung für das dumme Gewäsch fast nicht mehr verbergen.

  4. Peter Bitterli

    Rahm, Sie kennen sicher die neueste Dokumentation über Ziegler. Dort liegt der Mann in einem kubanischen Spital im Einzelzimmer, von dessen Existenz normale Kubaner noch nicht einmal wissen, und lobt eine medizinische Angestellte, die ihm verzweifelt erzählt, dass sie für ein paar Jahre nach Katar abkommandiert sei, dafür, dass sie den arabischen Brüdern beim Aufbau helfen gehe. Wie verblendet ist denn das? Die Frau muss nach Katar, weil medizinisches Personal das Einzige ist, was der Staat noch exportieren kann. Der Lohn wird denn auch bei ebendiesem Staat bleiben. Ziegler at his very best.

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