Hitzewellen nehmen zu: Die Arbeiter kommen ans Limit

«Man denkt nur noch: Schatten, trinken, heim»

Christian Egg

Auf der Baustelle und im Gartenbau ist Hitze nicht nur lästig, sondern gefährlich. Die Unia fordert die Firmen zum Handeln auf.

SIMON STEINEMANN: Wenn der Gärtner wegen grosser Hitze nicht mehr arbeiten kann, geht das auf seine Kosten. (Foto: Stefan Kubli / Montage: work)

Der Gärtner Simon Steinemann sagt es deutlich: «Bei Temperaturen gegen 35 Grad kann man keine Leistung mehr erbringen.» Der Kreislauf mache nicht mehr mit, der Kopf schmerze, in Gedanken sei man nicht mehr bei der Arbeit, so das 45jährige Unia-Mitglied: «Wenn du drei, vier Stunden an der prallen Sonne gearbeitet hast, denkst du irgendwann nur noch: Wo gibt’s Schatten, wo kann ich was trinken, wann kann ich heim?»

43 GRAD KÖRPERTEMPERATUR

Gleich zwei Hitzewellen überrollten diesen Sommer die Schweiz: In der letzten Juniwoche und gegen Ende Juli. Zweimal sieben Tage lang kletterten die Temperaturen jeweils über 30 Grad. An zahlreichen Orten gab es neue Temperatur­rekorde. Und vor allem: Solche Hitzewellen ­nehmen zu.

François Clément von der Unia sagt es so: «Der Klimawandel schafft neue Arbeitsbedingungen.» Für Bauarbeiter, Gärtner oder Dachdecker, die im Freien arbeiten, ist das lebensgefährlich. Das zeigte sich Ende Juli im Kanton Freiburg dramatisch. Ein 40jähriger portugiesischer Gartenbauer brach bei der Arbeit in brütender Hitze zusammen. Kurz darauf starb er im Spital. Unia-Mann Clément hat mit der Familie des Opfers gesprochen: «Er starb an den Folgen eines Hitzschlags. Als er im Spital ankam, hatte er eine Körpertemperatur von 43 Grad.» Laut Clément war der Familienvater erst seit drei Monaten in der Schweiz.

Die Hitze führt auch zu mehr Arbeitsunfällen. In einer Studie stellte die Suva fest: An Hitzetagen mit mehr als 30 Grad passieren im Bau- und im Transportgewerbe 7 Prozent mehr Unfälle. Als Grund vermuten die Forscher Konzentrationsmangel und Übermüdung.

Für die Unia ist klar: Die Gesundheit der Arbeiter ist wichtiger als das Einhalten von Terminen. François Clément zählt die Forderungen auf: «Erstens: Wasser und Sonnencrème, bezahlt von der Firma, den ganzen Sommer durch. Zweitens: Ab 30 Grad alle zwei Stunden eine Pause am Schatten. Drittens: Ab 35 Grad die Arbeit einstellen.» Dazu brauche es einen Fonds, der für Lohnausfälle aufkomme – so wie dies im Kanton Waadt bereits heute der Fall ist (siehe Text unten).

An Hitzetagen passieren 7 Prozent mehr Unfälle.

«WIE EIN ROBOTER»

Auch der Bauarbeiter Eric Ducrey ist sich der Gefahr eines Hitzschlags bewusst. Er bedient einen Brecher – eine gigantische Maschine, die altes Baumaterial zerkleinert und zu neuem verarbeitet. Er erzählt von einem heissen Nachmittag diesen Sommer: Um 15 Uhr habe er Anpassungen an der Maschine vornehmen müssen, und dabei aufs Thermometer geschaut. «Es zeigte 70 Grad an. Da rief ich den Chef an und sagte, ich gehe jetzt nach Hause.» Der akzeptierte das. «Zwei- oder dreimal» musste er so diesen Sommer die Notbremse ziehen, sagt der 43jährige Ducrey. Auch Gärtner Simon Steinemann ging einmal wegen der Hitze früher heim. Er sagt: «Da muss man auf den Körper hören.»

Aber Steinemann wie Ducrey kritisieren: Wenn sie wegen der Hitze nicht arbeiten könnten, gehe das auf ihre Kosten. Denn die verpassten Stunden würden ihnen von den Überstunden abgezogen. Steinemann sagt: «Es kann nicht sein, dass wir die Leidtragenden sind, nur weil wir auf unsere Gesundheit achten.»

Beide sagen auch: Bei den Chefs herrsche wenig Verständnis dafür, dass es bei grosser Hitze etwas langsamer vorwärtsgehe. Im Gegenteil. Ducrey sagt: «Im Sommer muss oft ein Projekt noch vor den Ferien fertig werden. Da ist der Zeitdruck noch grösser als sonst schon.» Steinemann erinnert sich: «Früher sagte ein Chef auch mal: So Jungs, wir machen für heute Schluss. Heute müssen wir als ­Arbeiter wie ein Roboter funktionieren.»


Baustop bei Hitze:Zwei Beispiele, die funktionieren

HITZEFREI: Unia fordert eine schweizweite Regelung. (Foto: ZVG)

Im Kanton Waadt war die Bauwirtschaft gut auf die Hitzewellen dieses Sommers vor­bereitet: Firmen konnten die Arbeit um 13 Uhr einstellen, bevor die Temperatur unerträglich wurde. Für die finanziellen Einbussen sprang ein Schlechtwetterfonds ein, in den die Sozialpartner und der Kanton einzahlen.

Das Pilotprojekt startete vor zwei Jahren und war ursprünglich für den Winter gedacht: Zusammen mit Meteo Schweiz haben die Unia und der kantonale Baumeisterverband genaue Kriterien festgelegt. Sobald Meteo Schweiz das Schlechtwetter bestätigt, wird die Arbeit auf allen Baustellen in der betroffenen Region eingestellt, und der Fonds kommt für die Lohnausfälle auf. Diesen Sommer beschlossen die Sozialpartner erstmals, den Fonds auch bei Hitze zu aktivieren.

Schliesst die Baustelle wegen Hitze, bezahlt ein Fonds den vollen Lohn.

VORBILD. Im Gegensatz zur Schlechtwetterentschädigung der Arbeitslosenkasse zahlt der Waadtländer Fonds die vollen Löhne der Arbeiter, und zwar ohne Karenztage. Für Unia-Mann François Clément entscheidend: «So entstehen den Arbeitgebern keine Kosten. Deshalb machen sie mit.» Er fordert: Eine solche Lösung sollte für die ganze Schweiz gelten.

Ein anderes Modell hat Österreich: Wenn die Temperatur 32,5 Grad übersteigt, können Firmen den Arbeitern freigeben. Laut der Gewerkschaft GBH haben alleine diesen Juni fast 16’000 Bauarbeiter hitzefrei bekommen. Aus Büezersicht allerdings nicht optimal ist die Entschädigung geregelt. Ein Fonds bezahlt lediglich 60 Prozent der ausgefallenen Löhne.

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