Bärtschi-Post

Die Briefträgerin & das Dolce far niente

Katrin Bärtschi

Katrin Bärtschi ist Briefträgerin in Bern und Gewerkschafterin.

Kürzlich war die Briefträgerin auf der Post. In der Hand das gelbe Büchlein. Am Leib noch die Uniform. Sie war auf dem Heimweg von der Arbeit. Die Kollegin am Schalter duzte sie bei der Begrüssung. «Wir gehören ja zum gleichen Betrieb.» Diese Meinung teilt die Briefträgerin. Erst recht, seit die Aufsplitterung des Konzerns in verschiedene rivalisierende Bereiche die Konkurrenz betont: Die von Postmail sticheln gegen Postlogistics und umgekehrt und alle beide gegen Poststellen und Verkauf, unlängst in «Postnetz» umgetauft … – Post­finance ist ein Fall für sich.

Ein Akt zur Selbst­abschaffung zahlt sich aus.

Die beiden duzten also einander. Die Kollegin vom Schalter klagte. Sie arbeitet Teilzeit, würde jedoch ihr Pensum gern aufstocken: «Das geht leider nicht. Es gab hier im Gegenteil Entlassungen.» Und neuerdings dürften die Kolleginnen und Kollegen hinter den Schaltern nicht mehr miteinander reden, sollten einander aber vermehrt kontrollieren. Und der Verkaufsdruck sei gross. «Falls du mich unterstützen willst, dann lass mich einen Termin für dich bei Postfinance vereinbaren. Der wird mir gutgeschrieben», sagte die Schalterkollegin.

Die Briefträgerin wollte die Kollegin unterstützen. Doch sie wollte nicht zu Postfinance. Nicht zuletzt, weil sie das gelbe Büchlein behalten will, was ja auch den Kolleginnen und Kollegen auf den Poststellen zugute kommt. Post­finance würde ihr das Büchlein ausreden wollen. E-Finance ist angesagt. Für die Vermittlung eines solchen Termins wird die Schalterkollegin also belohnt. Ein Akt zur Selbstabschaffung zahlt sich aus. Das kam der Briefträgerin bekannt vor. Durch das tägliche systematische Erfassen aller Briefkastenanschriften zum Beispiel sammelt sie die Daten, die die grossen Sortiermaschinen brauchen, um ihr Arbeit wegzunehmen.

LOSE. «Ich kaufe dir lieber ein paar Rubbellose ab», sagte die Briefträgerin und lachte. Der Haupttreffer wäre ein garantiertes Einkommen, zwanzig Jahre lang! Ein «bedingungsloses Grundeinkommen»! Und die Post könnte rationalisieren und digitalisieren, wie es den Herren beliebt. Sie kaufte die Lose – es waren Nieten. Später besuchte sie ihren Bekannten, der auf den Abstimmungsplakaten gegen das bedingungslose Grundeinkommen den dicken, sabbernden Rumhänger gemimt hatte. Inzwischen hat auch er begriffen, was er mit diesem Foto angerichtet hat.

Sie assen zusammen Pizza, räumten die Kartons weg und schalteten den Fernseher aus. Und gemeinsam gingen sie auf einen Spaziergang an die Aare. Dolce far niente – wie dieser Abend könnte jeder Tag sein, hätte das Volk 2016 die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens nicht abgelehnt …

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