Asbest-Katastrophe: Genfer Giftstoffkonferenz versagt schon wieder

Subono und Surya in todernster Mission

Jonas Komposch

Um seine Kollegen vor dem Krebstod zu schützen, blies ­Subono Bono seinem Chef Asbeststaub ins Gesicht. Das hat gewirkt. Ganz im Gegensatz zur inter­nationalen Diplomatie.

EIN WELtWEITES ASBESTVERBOT, JETZT! Das fordern Menschenrechtsaktivist Surya Ferdian (links) und Gewerkschafter Subono Bono aus Indonesien vor dem Uno-Gebäude in Genf. (Foto: Olivier Vogelsang)

Genf an einem frühen und kalten Morgen Anfang Mai. Vor dem In­ternationalen Konferenzzentrum herrscht reger Verkehr. Schwarze Luxuskarossen fahren vor und entladen diplomatisches Personal. Auch etliche Industrievertreterinnen und Lobbyisten treffen ein. Ihr Ziel: die neunte Konferenz zum Rotterdamer Übereinkommen. An diesem Treffen werden völkerrechtliche Verträge über den internationalen Handel mit Giften und Gefahrenstoffen geschlossen. Viel steht auf dem Spiel – Menschen­leben, Ökosysteme, aber auch Mil­liardengeschäfte – etwa mit Asbest.

Die hochgefährliche Faser ist auch der Grund, weshalb sich vor dem streng bewachten Konferenzeingang eine Protestkundgebung formiert hat. Asiatische Gewerkschaften und Hilfswerke wie Solidar Suisse haben dazu aufgerufen. Sie fordern: Asbest soll endlich weltweit verboten – oder zumindest stark reguliert – werden.

«Keinen Fuss setzten die Chefs in ihre Fabrikhallen.»

DIPLOMATEN WACHRÜTTELN

Mit dabei ist auch der Gewerkschafter Subono Bono (38) und der Menschenrechtsaktivist Surya Ferdian (39). Sie sind extra aus dem indonesischen Westjava angereist. Der Grund für ihren Schweiz-­Besuch? Der ehemalige Zement­fabrikarbeiter Subono antwortet wie aus der Kanone geschossen: «Das diplomatische Personal wachrütteln!» Er weiss, wovon er spricht. Der dreifache Vater leidet selbst an einer Asbeststaublunge. Müdigkeit, Husten und Schlafstörungen quälen ihn. Schon vier seiner Arbeitskollegen hat er an asbestbedingtem Krebs sterben sehen – kürzlich zudem seine Schwägerin. Subono fragt: «Wie kann es sein, dass die internationale Gemeinschaft seit Jahren untätig bleibt?» Tatsächlich blockieren eine Handvoll Staaten bereits seit zwölf Jahren jegliche Regulierung des Asbestmarkts. Denn das Rotterdamer Übereinkommen lässt sich nur ändern, wenn alle Staaten einwilligen. Und: Die Diplomatinnen und Diplomaten bemühten sich bislang nicht, diese aussergewöhnliche Konsensregel durch ein Mehrheitsprinzip zu ersetzen.

HARMLOS WIE HÜHNERMIST?

Damit sich dies ändert, wollen Subono und Surya nun vor der Versammlung reden. Zwei Minuten Sprechzeit habe man ihnen zugesichert. Zu erzählen hätten sie beide viel, viel mehr. Subono ist noch keine zwanzig, als er in einer Baustofffabrik in der indonesischen Stadt Karawang anheuert. Fünfzehn Jahre lang mischt er Zement, schleift Dachplatten und zermalmt Bauschutt zu Pulver. Eine staubige Arbeit – zehn Stunden am Tag, sechs Tage die Woche. Und immer ist Asbest dabei. Wie gefährlich seine Arbeit ist, weiss Subono noch genauso wenig wie seine Kollegen.

Doch im Jahr 2013 taucht vor den Toren der Fabrik ein Fremder auf. Es ist Surya Ferdian, ein ausgewiesener Baustoffspezialist und Aktivist des ­indonesischen Anti-­Asbest-Netzwerks «Inaban». Surya erzählt: «Ich klärte die Arbeiter über Gesundheitsrisiken, Todesraten und Sicherheitsvorkehrungen auf. Alles Themen, die die Fabrikleitung nie angesprochen hatte!» Subono fällt es wie Schuppen von den Augen. Woher seine Lungenschmerzen kommen, ist nun klar. Und: «Endlich verstand ich, warum die Chefs nie einen Fuss in ihre Fabrikhallen setzten.» Nach Suryas Informationskampagne knüpft sich Subono seinen Vorgesetzten vor: «Ich verlangte nicht viel, bloss Schutzausrüstung für uns Arbeiter.» Doch der Chef hat nur Hohn für ihn übrig. Subono: «Er sagte mir, wir seien selber schuld. Schliesslich stecke ein Bauer seine Nase auch nicht in Hühnermist.»

«Nie sprach die Fabrik­leitung über die Risiken von Asbest.»

ENTLASSENER HELD

Subono hat genug gehört. Zurück in der Fabrikhalle, nimmt er eine Asbestplatte, kehrt zurück in die Teppichetage und platzt ins Chefbüro. «Asbest ist also unbedenklich?» habe er gefragt: «dann nimm das!» Er haut die Platte auf den Schreibtisch des Chefs. Sie bricht in Stücke. Dann pustet Subono in das entstandene Häufchen Staub. Worauf der Chef panisch reagiert, sich sein Hemd über die Nase zieht und fluchend aus dem Büro rennt. «Das war der Beweis», sagt Subono, «die Manager wussten immer Bescheid.» Subono wird gefeuert. Seine Kollegen feiern ihn wie einen Helden. Fast geschlossen treten sie in die Betriebsgewerkschaft ein, die Subono gründet. Mit Erfolg: Heute stellt die Firma Atemschutzmasken zur Verfügung. Jetzt kämpfen Surya und Subono für ein weltweites Asbestverbot. Surya als Chef von «Iban», der indonesischen Anti-Asbest-Organisation; Subono als Anführer der Gewerkschaft «Serbuk», die heute 6000 Mitglieder zählt. Auf die Rotter­damer Übereinkunft ist nämlich kein Verlass. Das zeigt die Konferenz in Genf deutlich. Schon wieder können sich die Delegierten nicht einigen und verschieben das Thema «Asbest» auf 2021. Und ­Subono und Surya können auch nicht reden – nicht einmal zwei Minuten lang.


Tödliche ProfitgierAsbest-Boom in Ländern des Südens

Asbest-Protest: Aktion in Genf. (Foto: Olivier Vogelsang)

Wetterfest, brandresistent, stark isolierend und billig. Lange galt Asbest als «Wundermittel» für Industrie und Bauwirtschaft. Allerdings drohen verschiedene Krebsarten und ein qualvoller Tod, wenn die winzigen Fasern des Minerals in die Atemwege gelangen. Heute gilt daher in 124 Ländern ein Asbestverbot. Seit 1990 auch in der Schweiz. Trotzdem sterben hier immer noch 120 Menschen jährlich an den Langzeitfolgen ihres Asbestkontakts. (work berichtete: rebrand.ly/zeitbombe) Und: Trotz Verboten floriert das Asbestbusiness wie eh und je. Denn die ­Produktion hat sich schlicht verlagert – vom reichen Norden in die armen Schwellenländer Asiens, ­Lateinamerikas und Afrikas. So sterben Jahr für Jahr 220’000 Menschen an asbestbedingten Krankheiten – Tendenz steigend. Asbest ist damit der tödlichste Baustoff überhaupt.

SPIONAGE

Verantwortlich für diese Katastrophe sind gnadenlose Geschäftsinteressen. Rohstoff-Oligarchen aus Russland und Kasachstan sind die hauptsächlichen Profiteure. Im Tagebau lassen sie jährlich eine Million Tonnen des todbringenden Minerals fördern. Dabei haben die Asbestkapitalisten nicht die geringsten Skrupel, ihre Interessen mit illegalen Mitteln durchzusetzen. Das hat auch die Anti-Asbest-Bewegung von Subono und Surya erfahren müssen (siehe Text oben). Über vier Jahre hinweg waren sie Ziel des Spions Robert Moore. ­Angeheuert von der US-amerikanischen Firma «K 2 Intelligence», in­filtrierte der Brite diverse Menschenrechtsorganisationen. Seine Auftraggeber aus der kasachischen Asbestindustrie liessen sich die Informationen über ihre Gegner einiges kosten. Moore kassierte über eine halbe Million Dollar für seine Spitzeltätigkeit. Immerhin: Der Spion flog auf und K 2 musste Schmerzensgelder zahlen.

PROPAGANDA

Nicht weniger verlogen geht die Asbestindustrie Russlands vor. Sie gründete unlängst eine Pseudogewerkschaft und taufte sie Chrysotile, ein Synonym für Weissasbest. Der Name ist Programm. Die angebliche Gewerkschaft verfolgt ausschliesslich ein Ziel: Asbest als völlig unbedenkliches Mineral zu vermarkten. Werktätige Mitglieder konnte Chrysotile bisher nicht vorweisen. Immerhin gibt es schon einen Slogan: «Generation der Gewinner – Asbest für immer». Längst ist Chrysotile als billige Tarnorganisation für russische Oligarchen-Interessen aufgeflogen. Dennoch konnten ihre Vertreter an der Genfer Giftstoffkonferenz einen Infostand betreiben. Und zwar aus­gerechnet neben dem Stand des ­Asbestopfers Subono.

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