Die Briefträgerin & die Klimademo

Katrin Bärtschi ist Briefträgerin in Bern und Gewerkschafterin.

Kein Regen in Bern. Und seit Tagen trocknet die Bise die Erde aus. Alles hat Durst. Die Bäume, die Blumen. Blühen ist auch diesjahr ein Murks.

In der Schweiz gingen am 6. April Zehntausende auf die Strassen, um für den Klimaschutz zu demonstrieren. Auf dem Helvetiaplatz waren mit einer Ausnahme junge Frauen am Mikrophon. Sie nennen die Hauptverantwortlichen für die Klimakatastrophe beim Namen: die Wirtschaft und die Banken der nördlichen Halbkugel. Logisch und unaggressiv folgern sie, dass dort etwas ändern müsse. System change not climate change. Auch die Profitgier als Antrieb für alles Handeln wird benannt. Und abgelehnt. Ein Giovanni erhält das Wort und ergreift es laut. Als ehemaliger Seemann brüllt er Abenteuer aus seinem Leben ins Publikum und rechnet vor, welche Dreckschleudern die Hochseefrachter seien. «Die Chinapäckli lassen grüssen», denkt die Briefträgerin. «Oder kommen die auf dem Luftweg? Hans was Heiri.» Giovanni schreit: «Gäbet mer äs F!» – «F!» – «Gäbet mer äs U!» – «U!» usw. Fuck …Dann wieder eine Frauenstimme: «Wir möchten nicht, dass ‹Fuck› zu einer Parole der Bewegung wird. Wir möchten nicht, dass die Sexua­lität als Waffe gebraucht wird. Das geschieht schon zu oft, gerade im Krieg. Sexualität ist etwas Schönes.» Die Briefträgerin staunt. Widersprüche. Die Rednerinnen machen sie zum Thema: «Man wirft uns vor, wir seien nicht konsequent. Ja, wir können nicht immer konsequent sein. Die aber, die das Geld und die Macht haben, tragen die Hauptverantwortung dafür, ob sich etwas ändert.» Die Ziele sind klar, Widersprüche sind erlaubt. Die Widersprüche der Briefträgerin. Sie lebt davon, dass sie Werbung in Papierform in die Häuser bringt. Diese trägt massgeblich zur Arbeitsplatzsicherung bei.

«Blühen ist auch diesjahr ein Murks.»

Der von der Briefträgerin bereits besungene DXP, ihr Fahrzeug, ist hingegen sauber. Jedenfalls, was die Stromquelle angeht. Seit 2017 ist die ganze Zustellfahrzeugflotte der Post elektrifiziert und wird mit «Naturemade Star»-zertifiziertem Ökostrom gefüttert.

NUANCEN. Der Demozug wich nicht von der vorgesehenen Route ab. Die Klimajugend braucht keinen Krawall, um auf sich aufmerksam zu machen. Auch bei den Transparenten unverkennbar Recycling: auf­geschnittene Supermarkttaschen. Nach vorne die Parole, nach hinten das Logo des Warenhauses. Der klassische Aufruf in Richtung ­Strassenrand ebenfalls anders als gewohnt. Nicht «Solidarisiere! Mitmarschiere!», sondern «Solidarisiere! Mitspaziere!». Ein kleiner, feiner Unterschied.

Blonde, lange Locken. Ein Mann? Eine Frau? Umgehängt ein Stück Karton, darauf von Hand gemalt: «The oceans are rising and so are we.»

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