Bärtschi-Post

Die Briefträgerin & der Schnee

Katrin Bärtschi

Katrin Bärtschi ist Briefträgerin in Bern und Gewerkschafterin.

Tagsüber ist es jetzt wieder warm. Zu warm. Nach eiskalten frühen Morgen. Februar, es kann noch einmal schneien bis herab in die Niederungen, wo an schattigen Stellen noch die Reste vom letzten Mal liegen.

Wäre heute früher, viel früher, würde alles einfach ein wenig länger dauern, wenn auf den Strassen Schnee liegt. «Wäre das Arbeitsleben gemütlich, würden wir in der Winterzauberwelt einen sicheren Schritt nach dem andern tun», denkt die Briefträgerin. Aber heute ist nicht früher, und das Arbeitsleben war kaum je gemütlich.

Der Briefträgerin brach der Angstschweiss aus, während ihr Fahrzeug neulich nasse Schneemassen pflügte. Nun immerhin auf drei Rädern. Zur Zeit des Zweiradrollers hatte die Furcht sich je nach Wettervorhersage bereits am Vorabend eingestellt. Kein Winter, in dem die Briefträgerin nicht mindestens einmal mit dem gelben Pferdchen auf die Schnauze fiel. Und doch schien sie als einzige das unsichere Terrain zu fürchten. Erst im Rückblick, vom sicheren Sattel des Elektro-Dreirades DXP aus, gestanden manche vergangene Ängste: «Endlich packt mich nicht mehr der Horror vor jeder Tour im Schnee.» Dem DXP begegneten anfänglich viele Pöstlerinnen und Pöstler mit Skepsis: «Mit so einem Behindertenfahrzeug mag ich nicht durch die Gegend fahren.» Doch ausnahmslos alle sagten nach der ersten Fahrt: «Den gebe ich nicht mehr her!»

«Endlich packt mich nicht mehr der Horror vor jeder Tour im Schnee.»

PANIK. In der Garderobe nach der Tour an jenem kürzlichen Schneematschmorgen. Manche hatten sich genervt, dass die Büez nicht wie sonst vorwärtsging. «So viel Zeit habe ich heute verloren!» klagte eine junge Kollegin, während sie sich aus Kleiderschichten schälte. «Besonders an Tagen wie diesen», antwortete die Briefträgerin, «ist nichts wichtiger als die Sicherheit.» «Stimmt schon», sagte die junge ­Kollegin, «manchmal hatte ich ja nur noch Panik. Und schliesslich, wem nützt’s, wenn ich mir den Hals breche?»

Und was bedeuten Eis und Schnee für den Zeitungs-Frühzusteller bei Presto, einer Tochterfirma der Post? «Sie sagen uns jeweils, wir müssten uns nicht beeilen, die Verlage seien über die Verspätungen informiert und auf Reklamationen gefasst. Die Chefs wissen also, dass wir im Schnee länger für die Zustellung brauchen. Aber bezahlt wird trotzdem nur die genormte Zeit.» Bei Postmail wird dagegen immerhin die ­effektive Arbeitszeit angerechnet. Doch sollte die möglichst kurz sein. Dabei unlängst an einem Kurs über Arbeitssicherheit (intern: ASI) der Slogan: «Wenn’s pressiert, passiert’s.» – «Was soll das heissen?» fragte die Briefträgerin: «Wir müssen pressieren und sind dann selber schuld, wenn’s passiert, weil wir pressieren?» Der ASI-Mann gab zu: «Das ist schon nicht ganz logisch.»

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