Ratgeber

Arbeit auf Abruf: «Gehen Sie doch in die Badi, Frau Sager!»

Martin Jakob

Mit flexiblen Arbeitsformen schieben die Firmen das Beschäftigungsrisiko aufs Personal ab. Aber auch wer unregelmässig eingesetzt wird, hat Rechte.

BEI ANRUF ARBEIT: Vor allem im Verkauf und in der Gastro­nomie sind unregelmässige Einsätze verbreitet. Frauen sind deutlich häufiger betroffen. (Foto: Getty)

Um 9 Uhr klingelt das Telefon. «Grüezi, Frau Sager, Sie müssen heute nachmittag nicht in den ­Laden kommen. Bei dieser Hitze werden wir kaum Kunden haben. Gehen Sie doch in die Badi, das tut Ihnen auch gut!» Gret ­Sager * findet zwar auch, dass ihr ein Badi­besuch guttäte, aber mehr noch würde sie das Geld brauchen, das sie während der fünf Stunden als ­Modeverkäuferin verdient hätte. Darf ihr das Geschäft den geplanten Arbeitseinsatz so kurzfristig absagen?

«Vier Jahre lang habe ich im Gasthof Bären ausgeholfen», erzählt Fränzi Stalder *. «Immer, wenn Lotto im Säli, Metzgete oder ein Vereinsanlass war, hat mich der Wirt aufgeboten. So kamen doch meistens gegen 800 Franken im Monat zusammen. Jetzt hat er eine gefunden, die ihm besser passt, und mir gesagt, ich müsse ab sofort nicht mehr kommen.» Darf der Wirt Fränzi Stalder fristlos vor die Türe setzen?

Gret Sager und Fränzi Stalder gehören zu den etwa 6 Prozent der Erwerbstätigen in der Schweiz, die auf Abruf arbeiten. Ein prekäres Arbeitsverhältnis, weil es dafür keine eigenen gesetzlichen Regeln gilt. Und wo keine Regeln sind, nehmen sich manche Firmen gern alle möglichen Rechte heraus. Sie vermeiden zum Beispiel, das Arbeitsverhältnis in einem Vertrag festzuhalten, und geben keinerlei Zusicherungen über die Häufigkeit und Gesamtzeit der Arbeitseinsätze.

Natürlich darf Frau Sager in die Badi. Aber bei vollem Lohn!

DIE PFLICHTLEISTUNGEN

Aber alles müssen Sie sich nicht gefallen lassen. Auch als Teilzeitbeschäftigte auf Abruf haben Sie Rechte. Um diese Rechte im Fall einer Auseinandersetzung wahrnehmen zu können, sollten Sie unbedingt auf einem schriftlichen Arbeitsvertrag bestehen.

Gleichgültig, wie häufig und wie viele Stunden Sie in einem Unternehmen tätig sind: die Firma muss für Sie AHV- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge abrechnen. Sobald Ihr Jahresverdienst über 21’330 Franken liegt, werden auch Pensionskassenbeiträge fällig. Ausserdem sind Sie ab der ­ersten Stunde obligatorisch unfallversichert bei Betriebsunfällen und bei Unfällen auf dem Arbeitsweg. Sind Sie regelmässig acht Stunden oder mehr pro Woche im Unternehmen tätig, wird auch die Nichtbetriebsunfallversicherung obligatorisch, deren Prämie Sie in der Regel aber selber bezahlen müssen.

Die Firma muss Ihnen auch Ferien gewähren: Während mindestens vier (bis zum vollendeten zwanzigsten Altersjahr fünf) Wochen ruht also Ihre Pflicht zur Abrufbereitschaft in jedem Fall. Zudem müssen Ihnen die Ferien abgegolten werden – entweder als Feriengeld oder in Form eines separat ausgewiesenen Zuschlags zum Stundenlohn. So oder so hat die Ferienentschädigung bei vier Wochen ­Ferien 8,33 Prozent des Lohns zu entsprechen und 10,65 Prozent bei fünf Wochen. Damit Sie Ihr Feriengeld zur richtigen Zeit zur Verfügung haben, sollte die Firma den Ferienlohn regelmässig zur Seite legen und Ihnen dann auszahlen, wenn Sie Ferien haben.

MINDESTARBEITSZEIT

Enthält Ihre Vereinbarung mit der Firma keinerlei Angaben über den zeitlichen Umfang Ihrer Einsätze, haben Sie schlechte Karten, falls Ihre Dienste sehr unregelmässig, selten oder nie gefragt sind. Verlangen Sie deshalb eine vertraglich festgelegte Mindestarbeitszeit – pro Monat oder zumindest pro Jahr. So entsteht für die Firma eine Abnahmeverpflichtung, welche Ihnen eine gewisse Sicherheit bietet.

Ganz schutzlos sind Sie aber auch ohne die Mindestarbeitszeit nicht. Denn sobald Sie einige Zeit mit wiederholten bis regelmässigen Einsätzen beschäftigt waren, entsteht daraus eine Art Gewohnheitsrecht: Werden Sie plötzlich viel weniger oder gar nicht mehr angefragt, sind Sie ähnlich gestellt wie andere Beschäftigte. Bei einer massiven Reduktion der Einsätze muss Ihnen das also über eine Änderungskündigung unter Beachtung der Kündigungsfrist mitgeteilt werden.

Und entlassen darf Sie die Firma zwar schon – wie das der «Bären»-Wirt mit seiner Service­aushilfe Fränzi Stalder gemacht hat. Aber nur unter Einhaltung der Kündigungsfrist – je nach Anzahl Dienstjahre sind das nach Ablauf der Probezeit ein bis drei Monate. Und innerhalb dieser Frist schuldet der «Bären» Frau Stalder weiterhin einen Lohn, der aus dem Jahresdurchschnitt der bisherigen Salärzahlungen zu berechnen ist.

Die besten Tipps

Die Unia hat mit der Broschüre «Arbeit im Stundenlohn: Das sind meine Rechte» einen hand­lichen Ratgeber herausgegeben, der weiterführende Tipps zum Thema enthält. rebrand.ly/stundenlohn

DÄUMCHEN DREHEN – GRATIS?

Arbeit auf Abruf heisst in manchen Jobs tatsächlich, dass die Firma die Einsätze sehr kurzfristig festlegt. Verlangt zum Beispiel ein Logistikbetrieb von Ihnen, dass Sie sich eine Woche lang jeden Tag bereithalten müssen, um je nach Lieferungseingang im Lager auszuhelfen, und bekommen Sie erst am Vorabend oder am frühen Morgen ein Aufgebot, müssen Sie für die Bereitschaftszeit entschädigt werden. Allerdings zu einem tieferen Lohn. Denn Sie können in dieser Wartezeit andere Dinge tun, von denen Sie einen Nutzen haben. Einen festen Ansatz für diese Entschädigung zu nennen ist nicht möglich, weil dazu die Kriterien im Einzelfall zu beurteilen sind. Es gilt, was im Arbeitsvertrag steht beziehungsweise was in der jeweiligen Branche üblich ist.

STUNDENPLAN VERLANGEN

Die mildere Form des ungeregelten Einsatzes kommt häufiger vor: Die Firma legt jeweils abhängig von der Saison, vom Geschäftsverlauf und vom Fe­rienplan der Festangestellten die Einsätze der unregelmässig Arbeitenden für eine oder mehrere Wochen zum voraus fest. Dazu steht im Arbeitsgesetz (Art. 69.1 der Verordnung), die Arbeitszeiten seien mindestens zwei Wochen im voraus bekanntzugeben. Reklamieren Sie, wenn diese Pläne oft zu spät eintreffen oder dauernd wieder umgestellt werden. Denn Sie haben ein Recht darauf, Ihr privates Leben trotz der geforderten Flexibilität zu planen. Und schon gar nicht müssen Sie es sich gefallen lassen, dass im Plan festgehaltene Einsätze kurz davor einfach abgeblasen werden, wie das Gret Sager passiert ist: Natürlich darf sie in die Badi, wenn ihr Chef sie nicht arbeiten lässt – das aber bei vollem Lohn!


Im Krankheitsfall Mageres Minimum

Bei Betriebsunfällen sind Sie auch im Stundenlohn ab der ersten Stunde obligatorisch für die Behandlungskosten und den Erwerbsausfall versichert, bei Nichtbetriebsunfällen erst, wenn Sie mindestens acht Stunden pro Woche im gleichen Betrieb arbeiten (siehe Text oben). Sind Sie weniger als acht Stunden beschäftigt, müssen Sie darauf achten, dass Ihre Krankenversicherung auch Unfälle deckt.

ERWERBSAUSFALL. Im Krankheitsfall bezahlt Ihre Krankenkasse die Heilungskosten. Aber was ist mit dem Erwerbs­ausfall? Da kommt es darauf an, ob die Firma eine freiwillige Erwerbsausfallversicherung für ihr Personal abgeschlossen hat. Falls ja, haben Sie eine Entschädigung in Höhe von 80 Prozent Ihres Durchschnittsverdienstes der letzten zwölf Monate zugute. Allerdings müssen Sie dafür in der Regel die Hälfte der Prämie über einen Lohnabzug selber bezahlen.

MINDESTENS DREI WOCHEN. Besteht in der Firma keine Erwerbsausfallversicherung, sind Sie weniger gut gestellt. Ist Ihr Vertrag bereits drei Monate oder länger in Kraft oder für mehr als drei Monate abgeschlossen, haben Sie zwar ­Anspruch auf den vollen Lohn, aber nur für eine sehr beschränkte Zeit. Nämlich, abhängig von Ihren Dienstjahren, für mindestens drei Wochen bis maximal sechs Monate. Auf keinen Fall darf Ihnen die Firma die Lohnfortzahlung komplett verweigern mit der Schutzbehauptung, sie hätte Sie sowieso nicht weiterbeschäftigen wollen. Und noch weniger kann sie Sie zwingen, während der Krankheit Ferien zu beziehen.

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