Bärtschi-Post

Die Briefträgerin & die Milchkästen

Katrin Bärtschi

Katrin Bärtschi ist Briefträgerin in Bern und Gewerkschafterin.

Die Milchkästen heissen heute nicht mehr Milchkästen. Nur ältere Pöstlerinnen und Pöstler nennen den Teil der Briefkästen, in den Pakete abgelegt werden können, heute noch so. Die Briefträgerin ist in einer Kleinstadt beziehungsweise einem Grossdorf aufgewachsen. Sie hat noch erlebt, wie der Milchmann jeden Morgen in aller Frühe mit dem VW-Bus durch die Quartiere fuhr und Offenmilch in die bereitgestellten Pintli füllte.

In den Normbriefkästen von heute hätten die Alupinten von damals gar keinen Platz mehr. Ob die Kästen früher grösser waren? Nicht unbedingt, denn tatsächlich hat der Milchmann, so erinnert sich die Briefträgerin jetzt, das Chesseli ­immer beim Hauseingang hingestellt.

Die Milch wird längst nicht mehr zu den Häusern gebracht, auch nicht offen ausgeschenkt – und die Milchkästen heissen Ablagefächer und erfüllen andere ­Zwecke.

«CHINAPÄCKLI». Die Briefträgerin verträgt in der Stadt eigentlich keine Pakete. Dafür sind die Päckliträgerinnen und Päckliträger von PostLogistics da. Auf dem Land gibt es – wegen der Weitläufigkeiten – «gemischte», meist Autotouren. In den Zeiten der Internet-Versandhäuser wie des chinesischen Alibaba und des US-amerikanischen Amazon werden nun aber auch die Briefträgerinnen und Briefträger in der Stadt vermehrt zu Päcklitragenden. Und obwohl zahlreiche «Chinapäckli» kleiner als kleinste Briefe sind, passen ebenso viele andere nicht durch den Schlitz im Kasten.

«Viele Briefkästen sind Teil der Wohnung, Stauraum, praktischer Aufbewahrungsort.»

ÜBERRASCHUNG. Ablageort ist in diesem Fall das Ablagefach. Beziehungsweise: wäre das Ablagefach. Denn dort wartet Überraschung. Das Ablagefach vieler Briefkästen ist Teil der Wohnung, Stauraum, praktischer Aufbewahrungsort für dies und das. Was einer Briefträgerin da alles entgegenlacht und entgegenpurzelt! Velohelme, leere Flaschen, auf schräge Altpapierbeigen gelegte Bälle, angebissene Sandwiches, Hundekacksäcke, geöffnete und achtlos hingeworfene Rechnungen, Ölpintli fürs Velo, Arbeitshandschuhe, Tächlimützen, Kinderspielzeug – und die «Chinapäckli» der letzten drei Tage.

«Wenn ich Zeit hätte», denkt die Briefträgerin, «würde ich lachen. Aber ich habe keine Zeit und ärgere mich, weil ich nicht weiss, wohin ich soll mit Alibaba, Amazon & Co.»

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