Ratgeber

«Was, ins Heim wollt ihr mich abschieben?»

Martin Jakob

Wird für einen alten Menschen der Übertritt ins Heim unaufschiebbar, sind meist auch die Nachkommen gefordert. Was es bei der Suche nach dem neuen Zuhause zu beachten gilt, was das Wohnen im Heim kostet und wer dafür bezahlt.

EINSCHNEIDEND: Aus den eigenen vier Wänden ins Heim umzuziehen ist ein grosser Schritt. (Foto: iStock)

Seit Vaters Tod hat sich die Mutter verändert. Als ob sie den Lebensmut verloren hätte. Sie klagt über vielerlei Gebresten. Vergisst, ihre Medikamente pünktlich zu nehmen, was für sie als Diabetikerin und Herzkranke gefährlich werden kann. Sie isst unregelmässig und geht kaum noch aus dem Haus. Die Spitex kümmert sich zwar um vieles, hat aber signalisiert, sie komme an die Grenzen dessen, was mit häuslicher Pflege zu machen sei. Auch der Hausarzt rät zum Wechsel in ein Alters- und Pflegeheim.

«Was, ins Heim wollt ihr mich abschieben?» ist die erste Reaktion der Mutter. Ihr Blick schweift zum Eichenbuffet, das sie und der verstorbene Vater sich kurz nach der Hochzeit angeschafft hatten, und bleibt dann auf den vergilbten Familienfotos in den goldlackierten Rahmen haften: «Hier bin ich zu Hause, hier lebe ich, hier sterbe ich!» sagt sie.

ÜBERZEUGUNGSARBEIT

Der Widerstand ist begreiflich. Kaum jemand geht heute mit Freude ins Alters- und Pflegeheim. Weil der Heimeintritt den Wechsel aus einer vertrauten in eine neue Umgebung bedeutet. Weil die Strukturen eines Heims vielen als beengend erscheinen. Und weil ein Aufenthalt jeden Monat eine stattliche Summe verschlingt.

Deshalb ist die erste Aufgabe der Nachkommen und anderer Bezugspersonen meist das motivierende Zureden. Dabei hilft es, ­jemanden beizuziehen. Die Pro Senectute unterhält in allen Kantonen Sozialberatungsstellen, die sich in den sachlichen Fragen zu einem Heimeintritt auskennen und auch Erfahrung in der Gesprächsführung zum Thema haben (prosenectute.ch). Etwas Geduld ist in dieser Phase ratsam: Das Ja soll reifen dürfen.

Ein, zwei Wochen Probewohnen helfen beim Entscheid.

DAS HEIM AUSWÄHLEN

Wichtig: Sie können das Heim frei wählen. Natürlich spielt die geographische Nähe eine grosse Rolle. Im nahe gelegenen Heim wird die Mutter am ehesten auf Menschen treffen, die sie bereits kennt, und die Umgebung ist ihr vertraut. Andere Faktoren sind aber auch zu beachten:

  • Pflegeleistung: Verfügt das Heim über genügend Pflegekompetenz für die bestehenden Krankheiten? Wenn sich bereits eine demen­tielle Entwicklung abzeichnet: wäre der Wechsel in eine Demenzabteilung im gleichen Haus ­möglich?
  • Lebensqualität: Wie steht es um den Komfort? Wie gut ist die Küche? Offeriert das Heim anregende Aktivitäten?
  • Ethische Aspekte: Wie steht es um den «Hausgeist» des Heims? Welchen Ruf hat es? Wirken die Mitarbeitenden motiviert? Haben die Bewohnerinnen und Bewohner Mitbestimmungsrechte, und werden Angehörige ins Heim­leben einbezogen?
    Um einen sicheren Entscheid zu fällen, sollte man das Heim auf jeden Fall besichtigen und ein Gespräch mit der Heimleitung führen. Oft ist auch ein Probewohnen möglich.

Über die Hälfte der im Heim Lebenden beziehen Ergänzungsleistungen.

WER WOFÜR BEZAHLT

Die Kosten eines Heimaufenthalts lassen sich in drei Gruppen gliedern und betragen im schweizerischen Mittel knapp 300 Franken pro Tag:

  • Pension: 122 Franken. Diese Kosten umfassen die Zimmermiete einschliesslich Reinigung, Verpflegung und Kleiderwäsche. Die Pension ist von der Bewohnerin zu bezahlen.
  • Betreuung: 47 Franken. Damit ­finanziert das Heim die Personal- und Sachkosten, die sich weder der Hotellerie noch der Pflege nach Krankenversicherungsgesetz (KVG) zuordnen lassen. Zum Beispiel für Aktivierungsangebote und Assistenz bei täglichen Verrichtungen. Die Betreuung ist von der Bewohnerin zu bezahlen.
  • Pflege/Pflegenebenkosten: 130 Franken. Dieser Betrag enthält die Kosten der Pflege nach KVG. Die Bewohnerinnen werden je nach Pflegeaufwand in Pflegestufen eingeteilt. Die Bewohnerin bezahlt aber in jedem Fall maximal ­Fr. 21.60 selber. Für den Rest kommen die Krankenversicherung sowie Kanton und Gemeinde auf.

Für die Bewohnerin ergibt sich also folgende Monatsrechnung: 122 Franken Pension plus 47 Franken Betreuung plus 21.60 Franken Pflege gleich 190.60 Franken pro Tag oder rund 5800 Franken pro Monat (je nach Heim und seinem Tarif können die Kosten höher oder tiefer liegen). Hinzu kommen die Kosten nicht kassenpflichtiger Pflegeleistungen sowie die persönlichen Auslagen für die Krankenkassenprämie, für Kleidung, Pflegeprodukte, Coiffure, Cafébesuche und anderes mehr.

7000 Franken pro Monat oder mehr sind deshalb rasch erreicht. Meist reicht das Einkommen aus AHV-Rente und Pension bei weitem nicht aus, diese Kosten zu stemmen. Die Differenz muss durch Verzehr des Vermögens ausgeglichen werden (siehe nebenstehenden Text) sowie durch Ergänzungsleistungen. Rund 60 Prozent aller Heimbewohner und -bewohnerinnen erhalten aktuell Ergänzungsleistungen. Um den Anspruch darauf abzuklären, ist ebenfalls ein Gespräch mit der Sozialberatung von Pro Senectute hilfreich, Auskünfte erteilt auch die kantonale AHV-Zweigstelle ­(rebrand.ly/zweigstelle).

Zwei Monate nach dem ersten Gespräch mit ihren Kindern, dem Hausarzt und der Beraterin von Pro Senectute, nach einer Besichtigung des Heims und einem zweiwöchigen Probewohnen hat unser Müeti übrigens in den Umzug eingewilligt. «Dann halt», sagte sie, «aber nur, wenn ich das Buffet mitnehmen darf. Und besuchen kommt ihr mich ja auch, gäll?» Versprochen!

Heimschau

Heute leben knapp 150’000 Menschen in den fast 1600 Alters- und Pflegeheimen der Schweiz. Das durchschnittliche Eintrittsalter liegt bei 82 Jahren, die Aufenthalts­dauer bei 2,5 Jahren.
Eine Gesamtschau mit Basis­informationen zu jedem Heim für alte Menschen bietet die Website www.heiminfo.ch von Curaviva, dem Verband Heime und Institutionen Schweiz. Noch haben nicht alle Heime ihre Detailinformationen aufgeschaltet, aber die Links funktionieren, und für einen ersten Überblick eignet sich die Site gut.


Heim und Erbe Das liebe Geld

Mal ganz ehrlich: Bei ­aller Elternliebe mag der Gedanke, dass der Heimaufenthalt von Vater und/oder Mutter nun das ganze Erbe verzehrt, schon auch unangenehm sein. Wie sehen die Fakten aus? Sobald das Einkommen aus Rente und Pension tiefer ist als die Lebenskosten im Heim, besteht ein Recht auf Ergänzungsleistungen und allenfalls Hilflosenentschädigung, welche die Differenz ausgleichen. Vermindert wird dieser Anspruch durch den Vermögensverzehr. Zu seiner Berechnung wird vom Gesamtvermögen ein Freibetrag abgezogen ­(Alleinstehende aktuell 37’500 Franken, Ehe­paare 60’000 Franken). Von der Differenz ist pro Jahr ein Zehntel als ­Beitrag an die Lebenskosten beizusteuern. Das Vermögen schmilzt also nicht wie Schnee an der Sonne.

SCHENKUNG. Würde eine Familie noch besser ­fahren, wenn die Eltern ihr Vermögen schon zu Lebzeiten an die Kinder verschenkten? Bei Schenkungen bis 10’000 Franken pro Jahr (an alle Kinder gesamthaft) ist das der Fall, höhere Schenkungsbeträge rechnet die Behörde aber zum ­elterlichen Vermögen, was den Anspruch auf Ergänzungsleistung schmälert und zum rascheren Verzehr des bei den Eltern verbliebenen Vermögens führt.

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