Metall- und Maschinenindustrie: Erstmals gibt’s den automatischen Teuerungsausgleich

Automatisch mehr im Portemonnaie

Christian Egg

Die Teuerung zieht an. Die Mindestlöhne in der Metallindustrie ziehen mit. Dank dem neuen Gesamtarbeitsvertrag.

VORBILDLICHER GAV: Die Beschäftigten in der Metallindustrie erhalten jetzt den Teuerungsausgleich – automatisch. (Foto: Keystone)

In den letzten Jahren war die Teuerung kaum ein Thema. Sie war immer sehr tief, oft sogar negativ. Mindestens theoretisch, denn in der Teuerungsrate nicht enthalten sind grosse Brocken wie Krankenkassen­prämien und Mieten.

Doch das ändert sich jetzt: Die Teuerung zieht an. Laut aktuellen Prognosen wird sie für 2018 auf ein Prozent oder sogar leicht darüber zu liegen kommen. Das heisst: Wer nächstes Jahr nominal gleich viel verdient wie dieses Jahr, kann sich dafür weniger leisten und muss einen Kaufkraftverlust hinnehmen.

PLUS 1,2 PROZENT

Nicht so in der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM): Dort kommen die Beschäftigten erstmals in den Genuss des automatischen Teuerungsausgleichs auf den Mindestlöhnen. Diese steigen ab Januar um 1,2 Prozent an. In der teuersten Schweizer Region, welche die Kantone Zürich, Genf und Schaffhausen umfasst sowie Teile von Schwyz, Aargau und Waadt, beträgt der Mindestlohn für qualifizierte Mitarbeitende damit neu 4197 Franken statt 4150. So haben es die Sozialpartner im neuen Gesamtarbeitsvertrag (GAV) abgemacht, der seit diesem Juli gilt.

Manuel Wyss, bei der Unia für die MEM-Industrie verantwortlich, freut sich: «Das ist ein wichtiger Durchbruch. Ich hoffe, dass der automatische Teuerungsausgleich bald auch in anderen Gesamtarbeitsverträgen verankert wird.» In der Tat: Heute kennen nur ganz wenige GAV diesen Automatismus. Stattdessen verhandeln Gewerkschaften und Arbeitgeber Jahr für Jahr über die Löhne (siehe Text unten).

«Das ist ein wichtiger Durchbruch.»

ELF PROZENT INFLATION

Das war nicht immer so. In den 1960er und 1970er Jahren kannten viele Verträge einen automatischen Teuerungsausgleich. Das war auch bitter nötig. Preisanstiege von vier, fünf oder sechs Prozent jedes Jahr waren damals die Regel. Im Zuge der Ölpreiskrise kletterte 1974 die Inflation sogar auf über elf Prozent. Einige Verträge glichen deshalb die Teuerung nicht nur einmal, sondern zweimal pro Jahr aus.

Doch dann kamen die neoliberalen 1980er und 1990er Jahre. Andreas Rieger, ehemaliger Co-Präsident der Unia, erinnert sich: «Im Zuge des Neoliberalismus kippten die Arbeitgeber den Teuerungsausgleich aus fast allen Verträgen.» Gerade in den frühen Neunzigern mit noch hoher Teuerung habe das bei einem Teil der Beschäftigten zu schmerzhaften Reallohneinbussen geführt.

NOCH EIN QUANTENSPRUNG

Der automatische Anstieg der Mindestlöhne helfe jetzt auch bei den Lohnverhandlungen in den Betrieben, ist Unia-MEM-Mann Wyss überzeugt: «Die Teuerung ist der Sockel. Die effektiven Löhne müssen aber stärker steigen. Denn die Produktivität in der MEM-Industrie hat zugenommen.» Die Unia fordert eine Lohnerhöhung von 2,5 Prozent für alle.

Auch bei den Lohnkontrollen sorgt der neue MEM-Vertrag übrigens für einen Quantensprung. Die Firmen müssen jährlich durch die Revisionsgesellschaften überprüfen lassen, ob sie die Mindestlöhne einhalten. Wyss: «Zum ersten Mal überhaupt sorgt damit ein GAV bei den Mindestlöhnen nicht nur für Stichproben, sondern für flächendeckende Kontrollen.»


Lohnabschlüsse Teuerungsausgleich in der Romandie

In vielen Branchen ver­handeln derzeit Gewerkschaften oder Personal­kommissionen mit den ­Arbeitgebern um die Löhne 2019. Die bisherigen ­Resultate zeigen: Den ­vollen Teuerungsausgleich von 1,2 Prozent bekommen immerhin Beschäftigte in der Romandie, und zwar im Ausbau- und im Auto­gewerbe. In der Uhren­industrie und im Tessiner Autogewerbe werden ­zumindest die Mindest­löhne an die Teuerung ­angepasst.

UNGENÜGEND. Nicht so gut sieht es dagegen im Detail­handel aus: Coop und ­Migros wollen die Löhne nur individuell erhöhen, die Tank­stellenshops nicht ­einmal das. Für Unia-­Ökonom Beat Baumann ist klar: «Das zeigt, wie wichtig auch in diesen Branchen bei positiver Teuerung ein ­automatischer Ausgleich wäre.»

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