Spanien: Frischluft statt Modergeruch

Andreas Rieger

Plötzlich war in Spanien der Sozialdemokrat Pedro Sánchez «El guapo» (der Schöne) am Ruder und nicht mehr der muffige Premier Manuel Rajoy. Diesen Moment beschreibt Gewerkschafter Javier Navas so: Es sei, wie wenn nach Jahren stickiger Luft im Zimmer «plötzlich die Fenster aufgehen und frischer Wind reinkommt. Das Zimmer ist zwar noch das gleiche, aber die Luft macht Mumm.»

FRISCHER WIND. Plötzlich redet die Ministerin für die Regionen mit den Katalanen über mehr Autonomie, statt, wie es Rajoy tat, die Polizei auf sie zu hetzen. Plötzlich will die Arbeitsministerin bei den Gesamtarbeitsverträgen (GAV) den Vorrang der Branche vor Betriebsregelungen wieder einführen – das hiesse, die Deregulierung der letzten zehn Jahre aufzuheben. Auch das «Knebelgesetz», das Demonstranten und Streikposten mit ruinierenden Bussen belegt, soll aufgehoben werden. Und plötzlich will Ministerpräsident Sánchez die Gebeine des Schlächters «Generalísimo Franco» aus dem riesigen Mausoleum ins normale Familiengrab überführen. Frischluft statt Modergeruch auch hier!

Plötzlich redet die Ministerin mit den Katalanen.

MEHR LOHN. Der neue Wind beflügelt die Sozialpartner: Nach drei Jahren Lohnstop trotz Wirtschaftsaufschwung bewegt sich der Arbeitgeberverband endlich. Im Juli kam es zu einem Abschluss mit den Gewerkschaften UGT und «Comisiones Obre­ras». Abgemacht sind 2 bis 3 Prozent Lohnerhöhung für 2019. Noch wichtiger ist die schrittweise Anhebung der untersten GAV-Mindestlöhne auf 1000 Euro. Zwei Millionen Lohnabhängige verdienen heute in Spanien unter 1000 Euro. Diese Erhöhung bringt insbesondere vielen Frauen zehn bis dreissig Prozent mehr Lohn.

NEUWAHLEN. Der neuen Regierung Sánchez fehlt allerdings eine feste Mehrheit im Parlament. So kann sie vieles nur anbahnen, nicht beschliessen. Demonstrativ öffnete Sánchez die spanischen Häfen, als der faschistoide Innenminister Italiens, Matteo Salvini, wochenlang das Flüchtlingsschiff «Aquarius» auf offener See aussperrte. Nun geht die spanische Regierung aber bereits wieder auf die Bremse. Über kurz oder lang wird es in Spanien mangels Mehrheiten deshalb zu Neuwahlen kommen. Sie werden darüber entscheiden, ob die Fenster wieder zugehen oder ob das Zimmer gar neu eingerichtet wird.

Andreas Rieger war Co-Präsident der Unia. Er ist in der europäischen Gewerkschafts­bewegung aktiv.

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