88 Jahre bis zur Gleichstellung im Eherecht

Die Angst der Männer vor der Abschaffung des Kapitäns

Renate Wegmüller

Kürzlich klärte Juristin Renate Wegmüller * ihr Patenkind Yasmin (15) übers Heiraten auf. Historisch und rechtlich. work war dabei.

OBER-MACHO: Christoph Blocher war 1985 vehement gegen das neue Eherecht. (Foto: Keystone)

Yasmin: Du, Renate, unsere Lehrerin hat erzählt, dass wir erst seit 1988 ein modernes Eherecht hätten. Was war denn vorher?

Renate Wegmüller: Da hatten wir ein altmodisches. Angenommen, du hättest damals geheiratet, dann hätte vor allem dein Mann das Sagen gehabt. Er wäre das Haupt der Familie gewesen und hätte für dich und die Kinder sorgen müssen. Und du hättest den Haushalt machen müssen. Dazu gehörte auch die Kinderbetreuung. Aber nur dein Mann hätte euch gegen aussen vertreten dürfen. Dir wäre nur die «Schlüsselgewalt» geblieben, schon nur dieses Wort! Es bedeutete, dass die Frau lediglich die Ausgaben für den täglichen Bedarf des Haushalts ­tätigen durfte. Unter gewissen Umständen hätte dein Mann dir damals diese Schlüssel­gewalt sogar beschränken oder entziehen können.

Das ist ja voll krass!
Ja, und es kommt noch besser: Der Mann konnte auch den Wohnsitz bestimmen. Sein Wohnsitz wäre auch dein Wohnsitz gewesen. Und wenn eine Frau arbeiten gehen wollte, musste sie ihren Mann um Erlaubnis fragen. Sagte er Nein, sie wollte aber trotzdem, musste sie vor Gericht. Du und deine Kinder hätten seinen ­Familiennamen erhalten und sein Bürgerrecht. Eine Frau war auch verpflichtet, ihrem Gatten im Geschäft zu helfen. Gratis! Und der Mann hatte sogar das Recht, nicht nur sein Vermögen zu verwalten und zu nutzen, sondern auch ­ihres. Über ihr Vermögen, das sie in die Ehe einbrachte, konnte die Ehefrau nur mit dem Okay von ihm verfügen. Er hingegen musste weder über sein Vermögen, sein Einkommen noch über seine Schulden Auskunft geben.

Das moderne Eherecht ist jetzt aber schon besser, gell?
Für die Frauen schon, denn es geht von einer gleichberechtigten Partnerschaft aus. Alle wichtigen ­Fragen sollen gemeinsam entschieden werden, und die Frau ist wirtschaftlich unabhängiger. Das neue Gesetz sieht keine festen Rollenverteilungen mehr vor. Frau und Mann können den Wohnsitz gemeinsam bestimmen und die Wohnung auch gemeinsam mieten. Sie müssen beide bei der Jobwahl ­aufeinander Rücksicht nehmen, und beide handeln selbständig im Rahmen der Schlüsselgewalt. Bei Anschaffungen, die dar­über hinausgehen, braucht es die Zustimmung beider. Wer den Haushalt ­besorgt oder im Geschäft mithilft, hat Anspruch auf etwas Geld zur freien Verfügung.

Seit 2013 behalten bei einer Heirat grundsätzlich beide Eheleute ihren eigenen Familiennamen. Das Paar kann sich für einen der beiden Namen als gemeinsamen Familiennamen entscheiden. Der Doppelname ist nicht mehr möglich. Behalten beide ihre jeweiligen Namen, so können sie wählen, welcher Name Familienname wird.

Und, ganz wichtig: Frau und Mann haben die Pflicht, einander über die wirtschaftliche Situation auf dem laufenden zu halten. Beide verwalten und nutzen je ihr eigenes Vermögen selber und können mehr oder weniger frei darüber verfügen.

Normal, eben …
… nicht für alle. Das neue Eherecht wurde damals heftig bekämpft. Allen voran von SVP-Nationalrat Christoph Blocher. Er war Präsident des «Komitees gegen ein verfehltes Eherecht». Dieses ergriff das ­Referendum. Und es kam zustande.

Aber warum denn?
Man hatte Angst, dass die Ehe «führungslos» und das Eheschiff ohne Kapitän manövrierunfähig würde.

Hey, Hilfe!
Die CVP-Politikerin Josi Meier brachte es spitzzüngig so auf den Punkt. Auf die Frage, weshalb eigentlich das Re­ferendum ergriffen worden sei, sagte sie: «Es ist nichts schwieriger, als Privilegien abzugeben. Und überdies gibt es Leute, die sich eine gleichberechtigte Partnerschaft nicht vorstellen können, die glauben einfach, es brauche immer ­einen Chef.»

Von denen gibt’s auch heute noch viele …
… Blocher behauptete, das moderne Eherecht sei ehe- und familienfeindlich, es gehe an der schweizerischen Ehewirklichkeit vorbei. In wirtschaftlicher ­Beziehung sei es unverantwortlich, vor allem für Selbständigerwerbende. Komme das Eherecht durch, würden alle Diskussionen vor dem Richter enden, dieser werde zum dritten Partner im Ehebund. Er werde den Eheleuten seine persönliche Meinung aufdrängen. Er werde überfordert sein. Kurz: Das Versagen dieses Gesetzes sei programmiert.

Blocher bekämpfte das neue Eherecht sogar gegen seine Partei.

Und die SVP folgte ihm natürlich.
Eben nicht! Sie empfahl die Ja-Parole. Auch SVP-­Vizepräsidentin Grete Brändli stellte sich gegen Blocher. Sie meinte, weder das Zivilgesetzbuch noch der Richter dominiere im neuen Eherecht. Die Eheleute seien frei, ihr Zusammenleben nach ­eigenem Gutdünken zu gestalten. Parteiinterner Widerstand kam auch von SVP-Nationalrat Werner Martignoni, dem späteren Berner Regierungsrat. Wer glaube, dass Partnerschaft in der Ehe möglich sei, müsse die Vorlage befürworten, argumentierte er. Blocher hatte damals seine Partei noch nicht so fest im Griff. Jedenfalls machte er sich auch zum Gespött der Medien. Die Berner «Tagwacht» etwa meinte am 25. Oktober 1984: Es erstaune nicht, dass jene Paschas, die sich ein Fraueli wünschten, das pariere und keine eigene Meinung habe, das neue Eherecht keineswegs goutierten. Dennoch gebe dies ihnen nicht das Recht, mit dümmlichen Unterstellungen dagegen anzurennen.

Und dann?
Am 22. September 1985 sagten 54,7 Prozent der Stimmberechtigten an der Urne Ja. Vor allem in der Westschweiz und in den Städten war die Zustimmung gross. Die Frauen stimmten der Vorlage zu 61 Prozent zu. Die Mehrheit der Männer hingegen lehnte sie ab. Zu 52 Prozent.

Ui, Schwein gehabt!

* Renate Wegmüller ist Juristin und lebt in Bern. Sie hat auch zum Thema «Frauenstimmrecht» publiziert.

88 Jahre: Das Stichdatum

Der Bund Schweizerischer Frauenvereine (BSV) wurde 1900 gegründet, um auf die Ausarbeitung des Zivilgesetzbuches und namentlich des Eherechts Einfluss zu nehmen. Er forderte schon damals die Gleichstellung von Frau und Mann in der Ehe.


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