Unter Spannung: Erste Elektrikerdemo der Schweiz

Stromer Silvan ist geladen

Christian Egg

Elektriker ist ein harter Job. Deshalb brauchen sie faire Löhne und die Pensionierung mit 62. Dafür gingen die Elektrikerinnen und Elektriker auf die Strasse. Mit dabei: Silvan Röthlisberger und seine Familie aus dem Zürcher Oberland. work hat sie begleitet.

FLAGGE ZEIGEN: Elektriker Silvan Röthlisberger mit der Demo auf dem Weg durch Zürich. (Fotos: Nicolas Zonvi)

Bahnhof Wetzikon im Zürcher Oberland, viertel vor eins: Der Elektriker Silvan Röthlisberger steigt in die S-Bahn nach Zürich. Er ist schon zwanzig Minuten unterwegs, per Bus ist er aus seinem Wohnort Bäretswil hergekommen. «Ziemliches SVP-Land» sei diese Gegend, sagt der 33jährige, der seit bald 15 Jahren Gewerkschaftsmitglied ist. «Da ist es nicht gerade einfach, Leute für die Gewerkschaft zu gewinnen.»

Heute aber will die Gewerkschaft ihre Stärke zeigen. Zum ersten Mal in der Schweiz demonstrieren Elektrikerinnen und Elektriker für bessere Arbeitsbedingungen. Aus der ganzen Schweiz reisen sie nach Zürich, um zu zeigen: Sie wollen bessere Löhne, mehr bezahlte Weiterbildung, eine faire Essensentschädigung und die Möglichkeit zur Frühpensionierung mit 62 Jahren.

Auch Röthlisbergers Lebenspartnerin Anne kommt mit an die Demo. Im Kinderwagen schiebt sie Tochter Medina, gerade mal sechs Wochen alt. Die schläft seelenruhig. Auch als am Demo-Treffpunkt neben dem Zürcher Hauptbahnhof Bruce Springsteen laut aus den Boxen dröhnt. Dutzende Unia-Fahnen flattern im Wind. Schon bald hat Röthlisberger das T-Shirt mit dem Blitz-Logo der Elektriker an, es kann losgehen.

FAMILIENANGELEGENHEIT: Silvan Röthlisberger (33), Medina (6 Wochen) und Anne Tschirch-Conrad (21) stehen zusammen.

SCHWERES GERÄT

5200 Franken brutto verdient Silvan Röthlisberger im Monat. Aber der Mindestlohn für einen Elektromonteur nach vierjähriger Lehre liegt bei nur 4475 Franken. Zum Vergleich: Ein Maurer verdient nach drei Jahren Lehre mindestens tausend Franken mehr. Dabei sei die Arbeit eines Elektrikers körperlich sehr anstrengend, sagt Silvan Röthlisberger: «Wir hantieren oft mit schweren Maschinen, etwa wenn wir eine Wand aufspitzen müssen, um eine ­Leitung zu legen. Das braucht viel Kraft.» Genauso, wie wenn er bei einer Renovation an einem Tag Hunderte Meter Kabel aus alten Kabelkanälen herauszieht: «Die sind meist verhockt, oder sie verklemmen sich. Oft schmerzt mich am Abend der Rücken.»

Am Landesmuseum vorbei gehen die rund 400 Elektrikerinnen, überqueren die Sihl und biegen in die Limmatstrasse ein. Unterwegs erzählt Röthlisberger, dass seine Firma viele Umbauten mache, oft von denkmalgeschützten Häusern. «Das finde ich spannend», sagt er, «nicht so 08/15». Etwa, wenn eine historische Wand tabu sei für Leitungen. «Dann muss man erfinderisch sein.»

«Am Abend tut mir oft der Rücken weh.»

ARBEITGEBER PROVOZIEREN DEMO

Schade findet er, dass viele junge Elektriker heute den Beruf verlassen. Entweder sie machen eine Weiterbildung, damit sie nicht mehr ständig harte körperliche Arbeit leisten müssen, oder sie kehren der Branche ganz den Rücken. «Unser Beruf muss wieder attraktiver werden, so geht es nicht weiter.»

Unterdessen hat die Demo ihr Ziel erreicht, den Sitz des Elektrikerverbandes. Am Mikrophon berichten Kollegen von den Pro­blemen im Beruf, nennen noch einmal die Forderungen. Und übergeben dem Verband eine Petition mit knapp 4500 Unterschriften.

Die «extremen Abbaupläne» des Verbands (siehe Kasten unten) hätten viele aufgeschreckt, sagt Silvan Röthlisberger. «Deshalb haben wir angefangen, für die Demo zu mobilisieren.» Jetzt aber hat er keine Zeit mehr für Fragen des Reporters. Töchterchen Medina ist aufgewacht und muss gewickelt werden.

Elektriker-GAV: «Jetzt können wir richtig verhandeln»

Es war ein Frontalangriff: Noch bevor die Verhandlungen zum Elektriker-Gesamtarbeitsvertrag (GAV) richtig begonnen hatten, wollten die Patrons die Arbeitszeit von 40 auf 44 Stunden pro Woche verlängern. Zum gleichen Lohn (work berichtete).

ZUVERSICHT. Seit der Demo vom Pfingstsamstag ist das Geschichte. Aldo Ferrari, Unia-Vizepräsident und Verhandlungsleiter: «Der Elektrikerverband hat klar gesagt, dass diese Forderung vom Tisch sei.» Das freut den Unia-Mann: «Jetzt können wir richtig verhandeln.» Unter -anderem auch über die Frühpensionierung mit 62. Die Arbeitgeber seien offen für dieses Anliegen, so Ferrari. Nicht zuletzt auch wegen der starken Demo: «Das hat den Vertretern des Verbands Eindruck gemacht. Ich glaube, sie haben das Signal verstanden.» Er ist deshalb zuversichtlich: «Am Ende der Verhandlungen werden wir einen guten GAV haben.»

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