Erste Lohngleichheits-Initiative im Jura eingereicht

Ein grosser Tag für die Uhrenarbeiterin Maude Rufi­

Sabine Reber

Statt der nötigen 2000 Unterschriften kamen ­problemlos deren 3400 ­zusammen: Am 8. März trugen sie die Frauen in Delémont zur Staatskanzlei. Die erste Lohngleichheits­initiative ist lanciert.

HOFFNUNGSFROH: Maude Rufi freut sich auf mehr Gerechtigkeit. (Foto: Stöh Grünig)

Maude Rufi (39) hat ihr pinkiges Egalité-T-Shirt über den dicken Pulli gezogen. In Delémont scheint am Frauentag die Frühlingssonne nur zaghaft, als ein Dutzend Frauen und Männer die Kartonkisten mit den Unterschriften für die erste Lohngleichheitsinitiative zur Staatskanzlei tragen. Die Unia Transjurane hat diese im Juni 2017 lanciert. Sie verlangt ein kantonales Gesetz, welches das nationale Gleichstellungsgesetz ergänzt. Dieses soll festlegen, wie die Lohngleichheit in den Betrieben kon­trolliert und die Frauenlöhne an die Männerlöhne angeglichen werden sollen.

Die erste Lohngleichheits­initiative ist also eine Art Umsetzungsinitiative. Seit 37 Jahren steht die Lohngleichheit zwar in der Verfassung. Aber immer noch verdienen die Frauen in der Schweiz im Schnitt zwanzig Prozent weniger als die Männer. Im Kanton Jura sind es sogar 23 Prozent weniger. Kein Wunder, ist der heutige Tag für Rufi ein grosser Tag. Sie sagt: «Ich bin sehr stolz, dass wir so viele Unterschriften gesammelt haben.» Für eine kantonale Initiative braucht’s im Jura 2000 Unterschriften, über 3400 sind zusammengekommen. Sogar auf dem Weg zur Staatskanzlei haben noch Leute unterschrieben.

DAS WASSER AM HALS

Stolz ist an diesem Frauentag auch Eric Rufi – nämlich auf seine Tochter. Er ist pensionierter Gewerkschafter und war lange Jahre Unia-Regionalpräsident im Jura. Mit ihm sei sie schon als Mädchen am 1.-Mai-Umzug mitgegangen, erzählt Maude Rufi. Als sie zuerst eine Lehre als Dentalhygienikerin begann und bald darauf in den Verkauf wechselte, war es für sie denn auch selbstverständlich, in die Gewerkschaft einzutreten.

«Wir müssen über unsere Löhne reden.»

Die Lohngleichheit ist der Uhrenarbeiterin ein besonderes Anliegen, denn sie weiss aus eigener Erfahrung, was es bedeutet, zu wenig zu verdienen. Rufi erzählt: «Am Anfang arbeitete ich für 2800 Franken brutto in einer kleinen Boutique in Neuenburg, ohne 13. Monatslohn. Ich musste mich verschulden, um alle Rechnungen bezahlen zu können.» Männer würden sicher nicht für solche Löhne arbeiten, ist sie überzeugt. Darum sei der Kleider- und Schuhverkauf praktisch eine reine Frauendomäne. Später wechselte sie zur Modekette Yendi, «da bekam ich 3700 Franken brutto, und einen 13. Monatslohn.» Damit kam sie durch, aber um die Schulden zurückzuzahlen, reichte es immer noch nicht. Vor fünf Jahren dann bekam sie eine Stelle bei Ernest Borel, einer kleinen Uhrenfirma im jurassischen Le Noirmont. Ihr Job ist das Einstellen des Messwerkzeugs, das die Zeiger richtig positioniert. Rufi verdient jetzt 4250 Franken brutto. Plus 13. Monatslohn. Und sagt: «Endlich ein gerechter Lohn! Das hat mein Leben total verändert! Vorher hatte ich ja immer das Wasser am Hals. Nun fühle ich mich wie ein neuer Mensch.»

DAS TABU BRECHEN

Über den Lohn zu reden ist in der Schweiz immer noch ein grosses Tabu. Über die Lohndiskriminierung zu reden ebenfalls. Auch im Jura. Rufi sagt: «Die Chefs geben einem zu verstehen, dass man nicht darüber reden solle.» Doch es gebe sie, die Lohnungleichheit. Zwischen den Männern und den Frauen, und ganz sicher auch zwischen den Schweizerinnen und den Grenzgängern. Rufi selber redet mit allen über ihren Lohn. Sie ermutigt auch alle Männer in ihrem Umfeld, sie sollen den Kolleginnen ihre Lohnausweise zeigen. Maude Rufi: «Wenn die Frauen nicht wissen, dass sie weniger verdienen, wie sollen sie sich dann wehren?» Und dass Grenzgängerinnen und Grenzgänger weniger bekommen, findet sie auch nicht gerecht. Denn: «Alle Menschen haben das Recht auf gleichen Lohn für die gleiche Arbeit am gleichen Ort!» Diesem Grundsatz entspringe auch die Lohngleichheitsinitiative.


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