Krise in Spanien: Das macht Barcelona derzeit durch

Stellen Sie sich vor, Katalonien wäre Schwyz

Michael Stötzel

Was wäre, wenn der Kanton Schwyz plötzlich aus der Schweiz austreten wollte? Die Frage hilft  zu verstehen, was in Spanien wirklich los ist.

Genug vom Zentralismus: Demonstration für die Selbständigkeit Kataloniens in Barcelona. (Foto: Reuters)

Stellen Sie sich einmal vor: Die Schwyzer Kantonsregierung will nichts mehr wissen vom Finanzausgleich unter den Kantonen. Sie ist es leid, mit ihrem Steuergeld die nach ihren Vorurteilen langsamen Berner zu finanzieren, die faulen Genfer oder die eigensinnigen Walliser. Und beschliesst, unabhängig von der Schweiz zu werden. Der Bundesrat ist empört und ruft: Verfassungsbruch! Schwyz will daraufhin sein Volk befragen. Das verbietet die Bundesregierung, sie schickt Polizisten aus dem Aargau, um die Abstimmung zu verhindern. Trotz massiver Gewalt schaffen sie es nicht ganz. Aber sie verbreiten so viel Durcheinander, dass das Wahlresultat, eine klare Mehrheit für den eigenen Staat, unbrauchbar ist. Trotzdem sieht sich die Schwyzer Kantonsregierung bestätigt, und eine Mehrheit des Parlaments ruft den unabhängigen Staat Schwyz aus. Der Bundesrat übernimmt daraufhin selbst die Macht im Kanton. Er erklärt das Schwyzer Parlament für aufgelöst, setzt Regierung und Polizeispitze ab – und ruft Neuwahlen aus.

Ganz unvorstellbar, finden Sie? Barcelona, die Hauptstadt Kataloniens, macht derzeit ziemlich genau all das durch.

KORRUPTION IN MADRID

Klar, der Vergleich hinkt. Im Gegensatz zu Schwyz leidet Katalonien (wie ganz Spanien) an den Folgen einer schweren Wirtschaftskrise und braucht dringend Finanzen. Trotzdem muss die Region um die 90 Prozent des Steueraufkommens an die Zentrale in Madrid abführen. Von dort fliessen im Gegenzug zwar alle Ausgaben für den öffentlichen Dienst zurück. Doch bei den freien Mitteln für Investitionen wird Katalonien benachteiligt. Madrid bevorzugt traditionell die Gebiete, in denen die rechte Volkspartei (PP) oder die Sozialdemokraten (PSOE) herrschen, die bisher abwechselnd die Zentralregierung stellten. Katalonien gehört da nicht dazu.

Und wohl ganz anders als in der Schweiz ist Korruption in den Reihen der beiden führenden Parteien inzwischen aktenkundig. Etliche ihrer Provinzfürsten stehen unter Anklage, weil sie öffentliche Mittel in die Parteikasse oder die eigene Tasche umgeleitet haben. Selbst Spaniens rechter Ministerpräsident Mariano Rajoy, der sich gegenüber Katalonien als Hüter der Verfassung gebärdet, steht mitten im Strudel von Korruptionsermittlungen.

Sich das Ganze anhand der Schweiz vorzustellen hilft aber dennoch zu verstehen, was dieser Tage in Spanien passiert.

WIE ALLES BEGANN

Der Separatismus in Katalonien hat eine lange Tradition. Bis vor wenigen Jahren weibelten allerdings nur unbedeutende Randgruppen für einen unabhängigen Staat. Das änderte sich 2010 schlagartig. Dank Mariano Rajoy, damals Oppositionsführer in Madrid. Das von seiner Partei ­beherrschte spanische Verfassungsgericht annullierte ein Autonomiestatut für Katalonien, auf das sich das katalanische und das spanische Parlament verständigt hatten. Im wesentlichen hätte Katalonien damit das Recht erhalten, über einen grösseren Teil seines Steueraufkommens selbst zu entscheiden. Andere der 17 autonomen Gebiete Spaniens haben dieses Recht.

Mit Gewalt wird Madrid den katalanischen Separatismus nicht stoppen.

Diese Reformverweigerung der Madrider Zentrale kann als Geburtsstunde der heutigen Krise bezeichnet werden. Denn fortan erhielten die Separatisten massiven Zulauf mit ihrem nicht ganz unberechtigten Vorwurf, Katalonien werde vom übrigen Land ausgeplündert, und das Geld versickere in korrupten Kanälen. Für oder gegen die Unabhängigkeit zu sein wurde zum entscheidenden Programmpunkt aller katalanischen Parteien. Zusammenstösse mit Madrid waren absehbar. So hob das nationale Verfassungsgericht zum Beispiel das von der ­katalanischen Regionalregierung erlassene Verbot des Stier­kampfes wieder auf. Begründung: Barcelona verstosse gegen eine alte spanische nationale Tradition.

Die Katalanen gelten mittlerweile als unsolidarisch und geizig, umgekehrt halten die Separatisten alle anderen Spanierinnen und Spanier für korrupt, faul und dumm. Mit denen wollen sie sich nicht über eine Veränderung Spaniens verständigen.

DER ANDERE WEG

Damit zerschnitten sie auch die mögliche Verbindung zur Demokratiebewegung, die in ganz Spanien erstarkt ist: Die Krisenopfer der letzten Jahre, Arbeits- und Wohnungslose, haben sich zusammengetan und mischen sich auf allen Ebenen in die Politik ein. In Madrid und Barcelona wurden mit Manuela Carmena und Ada Colau zwei Aktivistinnen dieser neuen «Bewegung der Empörten» zu Bürgermeisterinnen gewählt. Das gemeinsame politische Dach all dieser Gruppen ist die Linkspartei Podemos (Wir können es). Und Podemos verfolgt nicht nur eine gerechtere Wirtschafts- und Sozialpolitik, die Partei will auch die Struktur des Landes umbauen: Aus dem zentralistisch geführten Königreich soll eine föderale Republik werden.

In der katalanischen Krise fordern ­Colau und Podemos deshalb jetzt: Die Bevölkerung soll in einer seriösen Wahl entscheiden können, wie sie leben will. Colau redet nur über die Freiheit der Wahl, verweigert aber jede Parteinahme zur Unabhängigkeit. Die nationale Führung von ­Podemos wirbt für den Zusammenhalt Spaniens. Mit dieser Haltung machen sich beide sowohl bei den Separatisten unbeliebt als auch bei deren Gegnerinnen und Gegnern.

Biberli meint: «Beim Toro, was für ein Trampel!»

Allein auf sich gestellt, ohne Unterstützung aus anderen Teilen Spaniens oder gar aus der EU (siehe auch «Riegers Europa»), konnte die Regierung Puigdemont nur scheitern. Eins scheint aber auch klar: Mit Gewalt wird Madrid den katalanischen Separatismus nicht aus der Welt schaffen.

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