Lohmar (D): Sulzer stellt 174 Leute eiskalt auf die Strasse

Indianer weinen nicht

Michael Stötzel

Die Beschäftigten der Sulzer Pump Solutions im westdeutschen Lohmar haben das Recht auf ihrer Seite. Aber die Sulzer-Zentrale in der Schweiz hat die Macht, Gerichtsurteile zu umgehen.

Keine Angst vor der Schweizer Kapitalisten-Kavallerie: Betriebsratsvorsitzender Christophe Hassenforder (Mitte) mit Michael Korsmeier, erstem Bevollmächtigtem der IG Metall Bonn/Rhein-Sieg, und Rainer Schmeltzer, Ex-Arbeitsminister von Nordrhein-Westfalen (r.). (Foto: Andreas Bröhl)

Christophe Hassenforder ist Präsident des Betriebsrates der Sulzer Pump Solutions in Lohmar, einer Kleinstadt südöstlich des Köln-Bonner Flughafens. Der 57jährige ist französisch-deutscher Doppelbürger und eine auffällige Figur: Er hat sich als Indianer entworfen. Lange, schwarze Haare, Lederweste, Federschmuck am linken Ohr, viele Armbänder und Piercings. Das Indianische steckt aber nicht nur in seinem Outfit. In seiner Mailadresse nennt er sich «Tecumseh ». Nach dem legendären Häuptling der nordamerikanischen Shawnee, der alle Stämme seines Landes vereinigen wollte. Um als Gemeinschaft der Schwachen den weissen Landräubern entgegenzutreten.

STANDORTSICHERUNG

Hassenforder engagiert sich seit bald 25 Jahren als Arbeitnehmervertreter in der Firma. Lange war das ein Kampf um den Erhalt der Arbeitsplätze. Mehrere Besitzerwechsel waren verbunden mit versuchten Massenentlassungen. Das Schlimmste konnten die Lohmarer immer wieder verhindern. Sie sind gut organisiert, fast alle gehören der Metallgewerkschaft IG Metall an. Und sie sind bekannt für ihren Zusammenhalt.

Auch nach der Übernahme des Betriebs durch Sulzer 2011 ging der Arbeitsplatzabbau weiter. Aber immerhin, im Gegenzug für 19 verlorene Stellen erreichte der Betriebsrat 2014 einen Vertrag über die Sicherung des Standorts und keine weiteren betriebsbedingten Kündigungen bis Ende 2019. Doch dann kam der 15. Dezember 2016. Der Tag, an dem dieser Vertrag nach Meinung des Konzerns nur noch ein Wisch Papier war. Sulzer liess ausrichten: Lohmar wird Ende 2017 geschlossen. Die Pumpenherstellung müsse auf billigere Produktionsstandorte in China und Irland konzentriert werden.

Die Belegschaft habe «grenzenlose Wut» gepackt, erzählt Hassenforder. Und sie beschloss, Sulzer juristisch zur Vertragstreue zu zwingen. Mit Erfolg: Das Landesarbeitsgericht Köln bestätigte am 11. Mai die vereinbarte Standortgarantie. Die Firma dürfe deshalb nicht vor Ende 2019 geschlossen werden.

Die Leute schöpften wieder Hoffnung. Doch «recht haben und recht bekommen ist ein gewaltiger Unterschied», sagt Hassenforder heute. Die Konzernleitung gab sich unbeeindruckt. Das baldige Ende in Lohmar sei «unumgänglich». Zudem habe der Betriebsrat die Vereinbarung selbst zuerst gebrochen. Er habe sich im letzten Jahr nämlich geweigert, über Kurzarbeit oder Nullrunden beim Lohn auch nur zu verhandeln. Dabei habe der Vertrag eben auch solche Massnahmen bei «konjunkturbedingtem Beschäftigungsmangel» vorgesehen.

FRISS ODER STIRB

In der Tat hatte Hassenforder solche Forderungen rundweg abgelehnt. Denn von Beschäftigungsmangel konnte im letzten Jahr überhaupt keine Rede sein. Vielmehr hätten sie laufend Überstunden machen und die Arbeitszeitkonten voll ausschöpfen müssen. Auch in den ersten Monaten dieses Jahres sei der Betrieb noch voll ausgelastet gewesen. Doch im April begann, was Hassenforder die «Trockenlegung» nennt: Sulzer entzog Lohmar einen Grossauftrag und vergab ihn an eine Filiale in Irland. Auf einen Schlag fi elen damit zehn Prozent des Jahresumsatzes weg.

Damit nicht genug: Sulzer kündigte an, überhaupt keinen Auftrag mehr an Lohmar zu vergeben. Und das war faktisch das Aus des Unternehmens.

«Am Ende standen wir vor der bitteren Entscheidung: friss oder stirb», sagt Hassenforder. In einem «abschliessenden Angebot» stellte der Konzern den Betriebsrat und die 174 Beschäftigten vor die Alternative, einer Schliessung Ende dieses Jahres zuzustimmen oder die Insolvenz zu riskieren. Für den Verzicht auf die Beschäftigungsgarantie bis Ende 2019 bot Sulzer einen Sozialplan im Gesamtvolumen von 175 000 Euro pro Kopf an. Am 3. August akzeptierten 80 Prozent der Belegschaft das giftige Angebot. «Jetzt beginnt der Verteilungskampf unter uns», meint Gewerkschafter Hassenforder. Mit seinen Betriebsratskollegen muss er bis zum 19. September die Einzelheiten des Sozialplans klären. Sein Ziel: «Wir wollen nicht weinen und nicht als gebrochene Menschen die Firma verlassen.»

Sulzer-Aktionäre sacken ein

Buntes Treiben: Kleine Teile (im Bild: Dispenser und Mischer), schwache Geschäfte, Sonderdividende. (Foto: PD)

2016 hatten die Sulzer-Aktionäre, allen voran der russische Oligarch Viktor Vekselberg, Freude: Trotz schwacher Geschäfte konnten sie neben der Dividende eine Sonderausschüttung von 500 Millionen Franken einstreichen. Das war das Jahr, in dem sich Sulzer in Winterthur als Industrie-Arbeitgeber verabschiedete. Mit der Schliessung der Chemtech-Produktion im Mai 2016 verschwanden dort die letzten 90 Arbeitsplätze. Ihre Verlagerung begründete Sulzer fast wortgleich wie jetzt die Schliessung des Pumpenwerks in Lohmar (siehe «Indianer weinen nicht»): Die konjunkturellen Probleme ihrer Hauptabnehmerin, der Ölbranche, würden die Konzentration auf weniger Standorte verlangen.

ZUKÄUFE. Zwar geht Sulzer- Chef Greg Poux-Guillaume davon aus, dass sich das Ölgeschäft spätestens im nächsten Jahr wieder erholt, offenbar wollte er aber darauf nicht warten. Stattdessen setzt er auf das Geschäft mit Dispensern, Mischern und Kartuschen zum Auftragen von Klebstoffen und Dichtungsmassen in der Industrie, aber auch zum Applizieren von Impfstoffen und Kosmetika. Dank Zukäufen entsprechender Firmen verzeichnete das Unternehmen 2016 erstmals wieder wachsenden Umsatz.

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