In Südamerika blühen die Namen grosser Männer

Wieder ein Lenin an der Macht

Michael Stötzel

Er heisst Lenín Voltaire Moreno Garcés und ist der neue Präsident von Ecuador. Mit seinem Namen hatte er wesentlich mehr Glück als die vielen Hitlers, die in Brasilien frei rumlaufen.

Frisch gewählt: Lenín Moreno mit seiner Frau Rocío González. Ihr Vorname ist übrigens eher poetisch als politisch: Er bedeutet «der Tau». (Foto: Reuters)

Lilian Garcés und Servio Moreno, ein mittelständisches kommunistisches Lehrerehepaar, haben vielleicht davon geträumt, dass ihr 1953 geborener Sohn einmal Grosses vollbringen und hochintelligent werden würde. In dieser Reihenfolge. So gaben sie ihm den Namen Lenín Voltaire, nach dem russischen Revolutionär und dem französischen Philosophen der Aufklärung. In kommunistischer Bescheidenheit riefen sie ihn in seiner Jugend nur Voltaire. Sie konnten ja nicht ahnen, dass er einmal die Staatsspitze erklimmen würde.

In Ecuador wie auch in ganz Südamerika geben Eltern ihren Kindern gerne die Namen historischer Grössen. Offenbar auch, ohne sich dar um zu kümmern, was das genau für Grössen waren.

STALIN PÉREZ BORGES

Erheblich mehr Pech als Moreno hatte zum Beispiel der führende venezolanische Gewerkschafter Pérez Borges, der als Trotzkist für Arbeiterselbstverwaltung kämpft. Sein Vorname: Stalin. Offenbar hat er sich nie darum bemüht, den Namen des Trotzki-Mörders los zu werden.

Einigermassen bestürzend für europäische Gemüter sind die vielen Hitlers oder Mussolinis, die vor allem in Brasilien herumlaufen. Prominent war zum Beispiel Hitler Mussolini Pacheco, Polizeichef im Teilstaat Goiânia. Ein Apotheker aus São Paulo heisst Adolfo Hitler Ferreira Santos – und leidet unter seinem Namen. Er registriert genau, wenn er auf Ablehnung stösst. So erzählt er von der schwarzen Krankenschwester, bei der er einmal Blut spendete. Aufgrund seines Namens weigerte sie sich, ihm die Hand zu geben. Sein Vater verehrte die Nazis, er wusste also, was er tat. Und nannte seinen zweiten Sohn gleich Himmler Hitler Göring. Da können die brasilianischen Eisenhowers, Rambos, Goethes, Elvis Presleys, Einsteins, Hirohitos, Osama-Bin-Ladens oder Mao-Tse-Tungs fast schon aufatmen.

Auffällig: In den entsprechenden Listen findet sich weder Fidel noch Castro. Beide Namen sind im spanischen Sprachraum zu normal und zu weit verbreitet, um an den Máximo Líder zu erinnern. Auf Kuba selbst ist jeder Kult um den Alten verboten.

CHRIST MERKEL

Das brasilianische Zivilrecht erlaubt Eltern bei der Namensgebung ihrer Kinder praktisch alles. So wie es umgekehrt Erwachsenen, die unter den verrückten Ideen ihrer Eltern leiden, ermöglicht, ohne Angabe besonderer Gründe ihre Vornamen zu ändern. Einziger Hinderungsgrund: Die obligatorische Beschäftigung eines Anwalts und die Änderung aller offiziellen Papiere ist nicht billig.

Viele Kinder leiden unter der Verrücktheit ihrer Eltern.

Kleine Hitlers gibt es nicht nur weit weg in Südamerika. Durch die Presse ging 2008 das Geschick des armen Adolf Hitler Campbell aus New Jersey, USA. Vater Heath, damals 35, hatte zum dritten Geburtstag seines Söhnchens bei einem Supermarkt eine Torte mit dessen Namenszug bestellt – und geriet an einen geschichtsbewussten Confiseur, der sich standhaft weigerte, den Auftrag auszuführen. Nach Angriffen in der Lokalpresse und im Netz verteidigte sich Vater Heath: «Das Kind wird nicht aufwachsen und tun, was Hitler getan hat.» Wenn das nicht beruhigend ist.

Auch die Standesämter in Deutschland gerieten im Zuge der anfänglich grosszügigen Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Schwierigkeiten. Die Kamerunerin Georgette Mbaha verlangte 2015 in Brandenburg, dass ihr Neugeborener auf den Namen «Christ Merkel» eingetragen werde. Wenn er gross sei, solle er genauso vielen Menschen helfen wie die Kanzlerin und Jesus Christus, begründete sie ihren Entscheid. Und die ghanesische Flüchtlingsfamilie Adé liess ihre Tochter in Hannover gleich «Angela Merkel» taufen. In beiden Fällen zogen die Behörden das Namenskundliche Zentrum der Universität Leipzig zu Rate. Es spreche nichts dagegen, antwortete ihnen die Universität. Denn «Christ», «Angela» und selbst «Merkel», eine altdeutsche Koseform für Namen, die mit Markoder Merk- beginnen, stünden bereits in den Verzeichnissen der Standesämter.


Lenin, Adolf & JesusSchweiz erlaubt fast alles

Auch in Zürich wäre es möglich, sein Kind «Lenin» zu nennen. Roland Peterhans, der Präsident des Schweizerischen Verbandes für Zivilstandswesen und Leiter des Zürcher Zivilstandsamtes, würde allerdings mit den Eltern reden, wenn er eine entsprechende Meldung aus einer Geburtsstation erhielte. Er sagt zu work: «Ich würde sie fragen, ob ihnen bewusst sei, was sie dem Kind da aufbürdeten.»

3 LENINAS. In Deutschland und in Österreich darf ein Kind nicht «Lenin» genannt werden. In der Schweiz dagegen gebe es gesetzlich kaum Einschränkungen der elterlichen Freiheit bei der Namensgebung, meint Peterhans. Die Interessen des Kindes dürften nicht «offensichtlich verletzt werden », besagt die nationale Zivilstandsordnung. Zudem fordert sie, dass der «Vornamenscharakter » gewahrt und das Geschlecht des Kindes erkennbar sei. Die Umsetzung dieser Vorgaben sei aber den 140 Zivilstandsämtern überlassen und damit «alles andere als klar». So kommt nicht nur in Zürich der Name Lenin durch: Trotz zweifellos vernünftigen Argumenten der Ämter liessen sich 2015 laut Bundesamt für Statistik (BfS) schweizweit immerhin 24 Eltern nicht umstimmen. Und weitere drei Paare bestanden auf «Lenina».

«Ich würde mit den Eltern reden.»

Anderes Beispiel, «Adolf». «Den würde ich nicht verweigern», sagt Peterhans. «Es wäre nicht fair, ihn direkt mit Hitler zu verbinden. » Das fanden 2015 wohl auch die Eltern von 2499 Knaben. Oder «Jesus»? Peterhans: «Das ist ein normaler Vorname, da würde ich aber auch die Eltern anrufen und versuchen, sie umzustimmen.»

1000 GOTTESSÖHNE. Oft genug ohne Erfolg angesichts der vielen spanischen Migrantenfamilien, für die Jesús ein populärer Vorname ist. Schweizweit machten sich 2015 fast 1000 kleine Gottessöhne (Jesus und Jesús) auf den Weg in eine nicht übertrieben christliche Gesellschaft. Der bekannte Bieler Unia-Mann Jesus Fernandez ist also nicht allein, er hat lediglich im Sprachgebrauch der Gewerkschaft die Akzente verloren.

Insgesamt registrierte das BfS 2015 knapp 55 000 verschiedene Vornamen in der Schweiz. Die Phantasie der Eltern sei fast grenzenlos, meint der Standesbeamte Peterhans. Immerhin, ein verbreitetes Vorurteil ist zu korrigieren: Es gab nur 12 000 Kevins und gut 9000 Chantals. (MS)

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