Trump ist überall: Höchste Zeit, dass sich die Linken auf ihre politischen Wurzeln besinnen

Die soziale Frage kehrt zurück

Oliver Fahrni

Gute Politik kann den Durchmarsch der neuen Rechten stoppen. Und so könnte sie aussehen.

EIn LINKER MIT EINEM PLAN. US-Senator Bernie Sanders. (Foto: Gage Skidmore / CC BY-SA 2.0)

USA. Ungarn. Grossbritannien. Polen. Holland. Frankreich. Italien. Deutschland. Schweden. Türkei. Radikale Rechte drängen überall an die Macht. Oder haben sie schon an sich gerissen. Der Trend ist kräftig, und er beschleunigt sich. Daran könnten die Gesellschaften zerbrechen. Überall werden Fremdenhass und Rassismus schnell wieder salonfähig. Seit der Trump-Wahl kommt es in den USA zu Übergriffen auf Mexikaner, schwarze Frauen, Homosexuelle. In der EU haben sich die Attacken auf Muslime innert Jahresfrist verdoppelt. Die Lage ist kritisch.

Bernie Sanders macht’s anders

Die soziale Frage stellen und die richtigen Lösungen anbieten – so mobilisierte der demokratische US-Senator und Clinton-Rivale Bernie Sanders im Wahlkampf Millionen. Seine Bewegung ist nicht zum Stillstand gekommen nach der Nomination von Hillary Clinton und ihrer Niederlage gegen Donald Trump. Im Gegenteil. Sanders will die US-Demokraten wieder zur Partei der Arbeitenden machen. Es lohnt sich, seinen Profilen auf Facebook und Twitter (@SenSanders und @berniesanders) zu folgen.

SCHWERE VERHEERUNGEN

Bei vielen dieser neuen Rechten gilt die SVP als Vorbild. Bisher verhinderten nur das föderalistische System der Schweiz und die direkte Demokratie den SVP-Durchmarsch. Doch auch so schon bestimmt die Millionärspartei (Christoph Blocher, Thomas Matter, Walter Frey, Peter Spuhler usw.) grosse Teile der Schweizer Politik.

Was treibt diese rechte Revolution voran? Eine Menge Erklärungen werden derzeit angeboten. Etwa die «Globalisierung». Die «Bedrohung durch den Islam». Der «Dichtestress». Die «Deindustrialisierung» und die «Reaktion der bildungsschwachen weissen Arbeiter».

Abgesehen davon, dass diese Arbeiterinnen und Arbeiter in den USA mehrheitlich die Demokratin Hillary Clinton gewählt haben, fällt bei solchen Erklärungsversuchen das Entscheidende aus dem Blick. François Cusset, der französische Historiker, notiert in seinem neuesten Buch: «Die ganze Welt dreht rechts herum.» Nicht die einzelnen nationalen Situationen machen den Rechtstrend, sondern das, was alle gemeinsam erleiden: Drei Jahrzehnte neoliberaler Kapitalismus haben überall die Gesellschaften tief gespalten und in den Köpfen schwere Verheerungen angerichtet.

Der neuen Rechten gilt die SVP als Vorbild.

HIER GEDEIHT DIE RECHTE

Jede Gesellschaft braucht, will sie nicht auseinanderfallen, ein Mindestmass an sozialem Ausgleich, an Chancengleichheit und an gut organisierter sozialer Sicherheit. Also die Gewissheit, dass sich Arbeit lohnt, die Existenz auch morgen sicher ist und die Kinder es besser haben werden als man selbst. Das ist die soziale Frage. Genau diese Grundlagen hat die neoliberale Politik gezielt zerstört, um die Profite anzukurbeln. Heute geht es auch in Europa vielen Jungen schlechter als ihren Eltern. Die Neoliberalen benützen für ihre Politik ein Wort des Wiener Ökonomen Rudolf Hilferding: «kreative Zerstörung».

Weil die Neoliberalen gleichzeitig behaupten, Politik könne daran nichts mehr ändern, denn es gebe keine Alternative zu Steuersenkungen, Lohnstagnation und Lohndumping, Sozialabbau und Privatisierung, verfällt ein Teil der Bürgerinnen und Bürger in Abschottung, in Fremdenhass, und in Diskriminierung. Übrigens eher die Mittelschichten als die klassischen Arbeiterinnen und Arbeiter, wie alle Statistiken belegen.

Dafür genügt oft allein schon eine regelmässig wiederholte Drohung. Etwa das dauernde Gerede über die angeblich bankrotte AHV. Das ist zwar Unsinn, und die zweite Säule ist teurer, weit weniger effizient und sehr viel akuter gefährdet. Aber diese AHV-Lüge wirkt und treibt ausgerechnet der SVP, welche die AHV kaputtsparen will, neue Wählerinnen und Wähler zu.

«Handelsabkommen dürfen nicht bloss den Konzernen, der Wall Street und der Pharmaindustrie nützen. Sie müssen den Arbeiterfamilien in unserem Land zugute kommen.» (Bernie Sanders)

GUTE ANTWORTEN

Genau in diesem Widerspruch wächst die neue Rechte. Einerseits argumentiert sie protektionistisch, fremdenfeindlich, nationalistisch. Gegen Europa, gegen die Personenfreizügigkeit, gegen Ausländer und für die Schliessung der Grenzen. Andererseits treibt sie, real, noch härtere neoliberale Programme voran. Die SVP will das Land von Zuwanderern abschotten, gleichzeitig fordert sie aber einen möglichst ungebremsten, globalen Kapitalverkehr und freie Hand für die Konzerne (etwa des Blocher-Konzerns Ems Chemie), ihre Jobs auszulagern.

Die Ironie an der Sache: Damit setzen die Rechten die soziale Frage, die sie verdrängen wollten, unfreiwillig wieder ganz oben auf die Agenda.

Wollen die Sozialdemokraten und die Grünen den rechten Umbruch noch verhindern und weiterhin eine Rolle spielen, müssen sie gute Antworten auf die soziale Frage finden. So, wie das der US-Senator Bernie Sanders in seinem Präsidentschaftswahlkampf erfolgreich getan hat (siehe seine Zitate oben). Und sie müssen daraus handfeste Politik machen. Gute Politik.

Erstes und zentrales Problem, sagt Thomas Piketty, Ökonomieprofessor an der Paris School of Economics, ist die exorbitant angewachsene Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen.

Es braucht einen Mindestlohn von 4200 Franken.

So können wir die Umverteilung von unten nach oben stoppen:

In den reichen Ländern verfügt das oberste Prozent fast überall über die Hälfte der Vermögen. Das ist hoch explosiv. Das haben sogar die Weltenlenker beim WEF in Davos erkannt. Ungleiche Gesellschaften machen krank, sind krimineller und weniger innovativ. Das zeigen die Statistiken. Und sie produzieren ein Gefühl von Ohnmacht und von Chancenlosigkeit. Zudem hebelt die Herrschaft der Superreichen die Demokratie aus. Die Banken verhindern mit mehr als 1700 Anwältinnen und Lobbyisten allein in Brüssel jede Regulierung. Die Besitzenden haben über 20 000 Milliarden Dollar in Steuerparadiesen gebunkert. Einem Schattenfinanzsystem. Damit entziehen sie den Staaten rund 200 Milliarden Dollar an Steuereinnahmen. Und das pro Jahr.

Gerechte Steuern (also ausreichende Mittel für Investitionen, Sozialversicherungen und den Service public) sind eine erste Antwort auf die soziale Frage. In der Schweiz verzeichnen die Konzerne in den letzten Jahren stark steigende Gewinne. Trotzdem sind sogar die offiziellen Steuern massiv gesunken. Manche Unternehmen bezahlen, ganz legal, gar keine Steuern. Verglichen mit Deutschland oder Grossbritannien etwa sind die Unternehmenssteuern in der Schweiz sehr tief. Und sie werden immer noch runtergefahren. Aktionäre konnten mit der Unternehmenssteuerreform II mehr als eine Billion Franken ganz legal am Fiskus vorbeischleusen. Jetzt steigen die Bürgerlichen mit der Unternehmenssteuerreform III in die nächste Runde Steuergeschenke. Der gewählte US-Präsident Donald Trump plant dasselbe, Steuersenkungen für die Aktionäre stehen in allen Programmen der neuen Rechten.

Gute Politik zielt auf Gleichbehandlung und auf Ausgleich. Konkret muss der Steuerwettbewerb zwischen Kantonen und Gemeinden beendet werden. Genauso gehören Steuerprivilegien wie die Pauschalsteuer abgeschafft. Ein einheitlicher Steuersatz für Unternehmen und hohe Einkommen würde das Problem lösen. Die SP könnte mit ihren Schwesterparteien sogar europaweit einen Gewinnsteuersatz von beispielsweise immer noch milden 25 Prozent durchsetzen. Die Unternehmenssteuerreform III muss verhindert werden, die Folgen des Volksbetruges mit der USR II sollen korrigiert werden.

Nicht nur die Vermögensunterschiede sind enorm, sondern auch die Einkommensunterschiede. Die Lohnschere ist weit offen.

Das oberste Prozent Topverdienende allein kassiert 11 Prozent aller Löhne. Gleichzeitig sind deren Steuern sehr viel stärker gesenkt worden als die Steuern der unteren Hälfte der Entlöhnten (siehe Verteilungsbericht des Gewerkschaftsbundes goo.gl/n7lKMJ).

«Niemand, der 40 Stunden pro Woche arbeitet, sollte in Armut leben.» (Bernie Sanders)

So wird das Einkommen der Haushalte gesichert:

Es genügt nicht, die obersten Einkommen und die Boni zu kappen. Das Kernproblem ist, dass die Löhne seit rund zwei Jahrzehnten kaum wachsen, weil die Unternehmen die Gewinne der steigenden Produktivität der Arbeit zurückhalten. Und dass der geringe Mehrlohn von steigenden Mieten, Abgaben und Krankenkassenprämien weggefressen wird. Allein die Krankenkassenprämien sind seit 1997 real um 99 Prozent gestiegen. Eine Einheitskrankenkasse, Prämienmoratorium und Prämienverbilligung müssten Abhilfe schaffen. Wer voll arbeitet, soll vom Lohn leben können: Es braucht also einen Mindestlohn von mindestens 4200 Franken für alle. Und Reallohnerhöhungen: Die Produktivität muss weitergegeben werden. Die Frauen verdienen für die gleiche Arbeit immer noch an die 10 Prozent weniger, das muss aufhören.

Über Einkommen kann allerdings nur nachdenken, wer einen Job hat.

Umdenken 1: Die Arbeit ins Zentrum der Politik stellen!

In der Schweiz geht der Kapitalgewinn vor Sicherung der Arbeit. Gute Politik muss dieses Verhältnis vom Kopf auf die Füsse stellen. Zum Beispiel bei der Nationalbankpolitik.

Seit die Nationalbank den Euro-Mindestkurs aufgehoben hat, sind in der Schweiz um die 50’000 Jobs verloren gegangen. Wegen des überbewerteten Frankens. Mit ihrer falschen Geldpolitik treibt die Nationalbank die Schweiz in die Deindustrialisierung. Das ist schlecht für die Volkswirtschaft. Die Nationalbank muss ihre Geldpolitik ändern.

In den Programmen der Gewerkschaften und der Linken stehen zahlreiche Forderungen, die Arbeit sichern sollen. Etwa der wichtige Grundsatz, dass in der Schweiz Schweizer Löhne gelten müssen. Das bleibt allerdings Wunschdenken, wenn die Regierungslinke nicht den Grundsatz durchsetzt, dass in der Schweiz Arbeit, bezahlte wie unbezahlte, vor Kapitalgewinn geht. Unia-Mann und SP-Nationalrat Pardini erwägt in seinem offenen Brief an die SP (siehe «Keiner braucht eine rechte SP») eine Volksinitiative, die dieses Prinzip verankern sollte. Dies wäre allerdings eine starke Willensbekundung der SP, Politik als sozial gestaltende und nicht nur verwaltende Kraft zu verstehen. Solche Dinge gehen nicht, halten viele dagegen: Denn Politik sei in Fragen der Wirtschaft den Entscheiden der Aktionäre unterworfen.

Umdenken 2: Die Zukunft der Arbeit gestalten

Die soziale Frage ist nicht nur eine Frage von Lohn, sicheren Sozialversicherungen (dringend AHV ausbauen!) und Verteilung. Es geht immer auch darum, ob die politischen Kräfte, die den sozialen Fortschritt wollen, ein starkes Projekt für die Schweiz haben. Jedes Projekt ist wirtschaftlichen Umwälzungen wie der Digitalisierung ausgesetzt. Aber gerade weil Vorgänge wie die neue industrielle Revolution so massiv auf die Arbeit und das Leben der Menschen einwirken, braucht die Linke ein klare Vorstellung, wo sie steuernd eingreifen kann.

Etwa mit einem paritätisch verwalteten Produktionsfonds, der innovative, ökologische und sozial abgesicherte Investitionen finanziert. Er müsste mit einem Teil der fast 1000 Milliarden Pensionskassengeldern angehäuft werden. Dieses Geld liegt heute brach oder wird sogar in schädlichen Finanzspekulationen missbraucht. In der Schweiz sind in den nächsten fünf bis zehn Jahren 30 000 bis 100 000 KV-Jobs gefährdet. Das schätzen Studien des KV-Verbandes. Was tun? Darauf müssen die Linken eine Antwort haben. Zum Beispiel mit einer Strategie zur rabiaten Arbeitszeitverkürzung. Oder zur grossen Bildungsoffensive, die den Arbeitenden gegenüber solchen Umwälzungen eine gewisse Souveränität gibt.

Die Linke muss klarmachen, welchen Plan sie hat.

HARSCHE SYSTEMKRITIK

So oder so: Der neurechte Spuk kann nur eingedämmt werden, wenn die Linke klarmacht, welchen Plan sie hat. Der Wille, echte Politik zu machen, schien ihr abhanden gekommen. Ihre Zustimmung zur irrwitzigen 68-Milliarden-Rettung der UBS im Oktober 2008 gab sie, ohne einen Deal (wie etwa eine scharfe Bankenregulierung) zu erwirken. Eine eigene Initiative, welche die Banken gezähmt hätte, schubladisierte die SP. Die Masseneinwanderungsinitiative der SVP bekämpfte sie nicht entschieden genug. Und die Nationalbank lässt sie gewähren – mit einem SP-Bankratspräsidenten an der Spitze.

Regierungslinken ist wahrscheinlich nicht klar, dass sie mit ihrer Systemkritik getrost sehr weit gehen können. Die neue Rechte macht es vor. Sie ist zwar ein Pfeiler des herrschenden Systems. Aber sie gewinnt massenweise Zustimmung durch harsche Kritik an diesem System.

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