Unia-Mann Chris Kelley zum Sieg von Trump:

«Ein harter Schlag in die Magengrube»

Chris Kelley ist in den USA aufgewachsen und unterstützte im Wahlkampf Bernie Sanders. Kein Wunder, fragt er sich jetzt: Wie konnte das nur passieren?

Chris Kelley. (Foto: Unia)

«Das Mail von meinem Vater in Washington war kurz, prägnant und fasste zusammen, was viele dachten: ‹Unglaublich, wir sind am Arsch!› Donald J. Trump ist gewählt. Das ist auch für mich ein sehr harter Schlag in die Magengrube. Für mich als amerikanisch-schweizerischer Doppelbürger, der in den USA aufgewachsen ist, aber auch für mich als Gewerkschafter. Wie konnte das passieren?

Es wäre einfach, vielleicht sogar tröstlich, auf die Wählerinnen und Wähler von Donald Trump herabzuschauen und sie wegen ihrer Kurzsichtigkeit und ihres Rassismus zu verurteilen. Aber dann wäre eines sicher: Vier Jahre Trump wären erst der Anfang.

Denn es waren nicht einfach die ‹Rednecks› aus dem konservativen Süden, die für Trump gestimmt haben. Es waren nicht nur die christlichen Erzkonservativen vom Land. Ihn gewählt haben auch Bauarbeiter, Pflegende und die Arbeiter aus den Industrieregionen, dem sogenannten Rostgürtel, aus Detroit, Pennsylvania, Ohio usw. Sie haben den Ausschlag für Trump gegeben. Sie, die zuvor jahrzehntelang demokratisch gewählt hatten. Sie sind ‹unsere› Leute.

Es sind «unse­re» Leute, die den Ausschlag für Trump gegeben haben.

VERHASSTES SYSTEM. Hillary Clinton war nie sonderlich beliebt. Sie war vielen unsympathisch, da elitär und nicht vertrauenswürdig. Doch hinter ihrer Niederlage steckt mehr. Hillary Clinton verkörpert den Status quo. Sie steht fast schon karikaturartig für jene Politik, die unbequeme Probleme ignoriert. Und die sich nicht für verschwindende Arbeitsplätze interessiert. Jene Politik, die sich mit Wallstreet-Bankern wohler fühlt als in einem Büezerspunten. Die Politik, die sich ‹weltoffen› für Freihandelsabkommen starkmacht und dir dann sagt, du seist ein Hinterwäldler, wenn du dich dagegen wehrst, dass dein Job ausgelagert wird. Hillary Clinton mag politisch korrekt politisiert haben, aber, ja und? Wen interessiert das, wenn du am Ende des Monats die Miete nicht bezahlen kannst?

Donald Trump vertritt ganz sicher nicht die Arbeitnehmenden. Denn auch er gehört zum Establishment. Aber Trump tat im Wahlkampf zumindest so, als würde er die Arbeiterinnen und Arbeiter ernst nehmen. In ihren Augen brach er mit einem System, das sie hasst. Ein System, das auf sie herabschaut.

HÄTTE BERNIE GEWONNEN? Meine 34jährige Cousine aus San Diego sagt: ‹Wir wären besser mit Bernie gefahren.› Sie hatte sich im Wahlkampf für Hillarys Konkurrenten Bernie Sanders engagiert. Ob die Demokraten mit Bernie gewonnen hätten? Kaffeesatzlesen. Klar ist aber, Hillary hat Tausende Stimmen an Trump verloren, von denen sie ausging, dass sie ihr sicher seien. Darunter auch viele Stimmen von Gewerkschaftsmitgliedern. Ebenfalls klar ist, dass sich Sanders in den Vorwahlen im Rostgürtel gegen Clinton durchge-setzt hatte.

Und nicht nur das. Sanders, der alte Mann, hat eine soziale Bewegung ins Rollen gebracht. Eine Bewegung, die nicht nur die Köpfe erreichte, sondern auch die Herzen. Auch die Herzen der Jungen. Clinton ist das nicht gelungen.

DIE CHANCE. Jetzt steht die demokratische Partei auf allen Ebenen in der Opposition. Sie hat das Weisse Haus und beide Parlamentskammern verloren. Sie steht draussen in der Kälte. Vielleicht sagt ihr jetzt von mir: ‹Typisch Ami!› Aber ich bin nicht nur pessimistisch. Gut möglich, dass das eine Gelegenheit ist für die Demokraten. Sie haben jetzt die Chance, endlich wieder eine Partei aufzubauen, die die soziale Frage stellt. Auch wenn es unbequem wird.»

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