Betreuung im Privathaushalt
Bundesrat will Betreuerinnen nicht besser schützen

Fast rund um die Uhr verfügbar: Für einen Teil der Live-In-Betreuerinnen soll das so bleiben, findet jetzt der Bundesrat. Er widersetzt sich damit einem Mehrheitsentscheid des Parlaments.

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ABSAGE AN DIE BETREUERINNEN: Die Landesregierung, auf dem Bild Albert Rösti (SVP) mit Karin-Keller-Sutter (FDP), schützt Care-Migrantinnen nicht vor miesen Arbeitsbedingungen. (Foto: Keystone / Montage: work)

Es ist eine deutliche Abfuhr. Per Medienmitteilung gibt der Bundesrat bekannt, er lehne es ab, alle Live-In-Betreuerinnen dem Arbeitsgesetz zu unterstellen. Wer von einem Privathaushalt direkt angestellt ist, um einen meist älteren Menschen im Alltag zu unterstützen, soll demnach weiterhin kein Anrecht haben auf die elementarsten Regeln zum Schutz der Gesundheit. Nicht auf eine tägliche Ruhezeit von elf Stunden am Stück, nicht auf anderthalb freie Tage pro Woche. Auch die (sehr hohe) gesetzliche Obergrenze von 50 Wochenstunden soll nicht gelten für die meist aus Osteuropa stammenden Frauen, welche hierzulande diese harte und schlecht bezahlte Arbeit machen (siehe Box unten).

Krasser Widerspruch

Die Mitteilung des Bundesrates steht im krassen Gegensatz zu seinem Entscheid von Ende Oktober. Damals führte er neue Gesetzesbestimmungen für Live-In-Betreuende ein, etwa zur maximal erlaubten Dauer des Bereitschaftsdienstes. Das ist Zeit, während der die Betreuerin nicht arbeitet, aber mit einem Einsatz rechnen muss. Allerdings gelten diese Regeln nur für Betreuerinnen, die im Personalverleih angestellt sind. Für sie gilt zudem der GAV Personalverleih und, so hat es das Bundesgericht entschieden, das Arbeitsgesetz (work berichtete).

Gleiche Arbeit – weniger Schutz

Wer dagegen von einem Privathaushalt direkt angestellt ist, hat davon: Nichts. Das war bisher so, und so soll es auch bleiben, findet der Bundesrat. Einzige verbindliche Vorgabe ist weiterhin der Mindestlohn des Bundes in der Hauswirtschaft. Er beträgt ab nächstem Jahr für Ungelernte 20 Franken 35 in der Stunde. Zu Arbeits- und Ruhezeiten gibt es nur Empfehlungen der Kantone, Arbeitgeber können davon abweichen. Ganz legal. Trotzdem schreibt der Bundesrat: «Die Arbeitnehmerinnen sind genügend geschützt.»

Samuel Burri, Co-Leiter Pflege und Betreuung bei der Unia, kritisiert den Entscheid des Bundesrats scharf:

Es geht doch nicht an, dass für genau dieselbe Arbeit einmal das Arbeitsgesetz gilt und einmal nicht. Alle Betreuerinnen sollten den gleichen Schutz vor Missbrauch erhalten!

KRITISCH: Unia-Mann Samuel Burri. (Foto: jun)

«Nicht mehr erschwinglich» – ernsthaft jetzt?

Im Bericht argumentiert der Bundesrat auch mit den Kosten: Würde das Arbeitsgesetz gelten, bräuchte es «ein Team von Betreuerinnen», damit rund um die Uhr jemand da sei. «Damit wären diese Dienstleistungen für viele nicht mehr erschwinglich.»

Eine Rechtfertigung, die Samuel Burri «sehr befremdlich» findet. Die Schweiz steuere auf eine massive Versorgungskrise in der Pflege und Betreuung von alten Menschen zu. Offenbar wolle der Bundesrat jetzt mit Care-Migrantinnen in Privathaushalten dagegen ankämpfen. «Nach dem Motto: Je schlechter diese geschützt sind, desto billiger die Preise, und desto eher können sich gut gestellte Seniorinnen und Senioren die Betreuung zu Hause leisten. Ernsthaft? Und dafür will der Bundesrat jetzt die miesen Arbeitsbedingungen der betroffenen Frauen zementieren?»

Der Bericht geht zurück auf ein Postulat der SP-Nationalrätin Samira Marti mit der Forderung, dass «zwingend alle Betreuungsverhältnisse in Privathaushalten dem Arbeitsgesetz unterstellt werden.» Der Bundesrat hatte sich gegen den Vorstoss ausgesprochen, doch im Nationalrat stimmte eine Mehrheit dafür.

Nebelpetarden

Anstatt nun, wie im Postulat verlangt, Optionen zur Umsetzung darzulegen, sucht der Bundesrat im Bericht nach Argumenten dagegen. Und tut dies erst noch grottenschlecht. Er kehrt Wichtiges unter den Teppich und zündet Nebelpetarden, um davon abzulenken. Ein letztes Beispiel: Es brauche keine Unterstellung unters Arbeitsgesetz, so der Bericht, da die heutige Situation «keine Wettbewerbsverzerrung zwischen Personalverleihern und Privathaushalten» darstelle.

Das klingt vielleicht gut, ergibt aber null Sinn. Die Verleiher bieten eine Dienstleistung an. Die Haushalte fragen sie nach. Also stehen die beiden gar nicht in einem Wettbewerb zueinander. Unia-Mann Burri sagt:

Diese Aussage grenzt an Irreführung!

Der Wettbewerb bestehe zwischen Verleihern sowie Firmen, die direkte Anstellungen vermitteln. «Beide bieten die gleiche Dienstleistung an – aber nur für Verleiher gilt das Arbeitsgesetz.»

Und tatsächlich: Für den Bericht des Bundesrats liess das Seco einige Punkte von einem Beratungsbüro analysieren. Was dieses zur rechtlichen Ungleichbehandlung schreibt, lässt aufhorchen: «Zwischen Personalverleihern und Personalvermittlern kann von einer Wettbewerbsverzerrung gesprochen werden.» Im Bericht des Bundesrats steht davon: Nichts.

Ständig hin und zurück: Das weiss man über die Betreuerinnen

Live-In-Betreuerinnen in der Schweiz stammen hauptsächlich aus osteuropäischen Ländern wie Polen, Rumänien oder Ungarn. Klar ist auch: Männer, die diese Arbeit machen, gibt es kaum. 
Darüber hinaus ist wenig gesichert. Statistiken oder Befragungen dieser «Care-Migrantinnen» gibt es nicht. Immerhin: 2013 hat das Schweizerische Gesundheitsobservatorium (Obsan) versucht, sich dem Phänomen anzunähern. Demnach sind es meist Frauen mittleren Alters, mit Partnern und Kindern, die sich für einen Einsatz in der Schweiz verpflichten. Der Lohn soll das Leben im Herkunftsland finanzieren. Aber gleichzeitig haben die Frauen zuhause «eigene Sorgeaufgaben», sind etwa für Kinder oder Eltern verantwortlich.

Die Betreuerinnen «versuchen, ihre Arbeit im Ausland mit ihren Pflichten zu Hause zu vereinbaren», so der Bericht. Oft pendeln sie dafür hin und her: Sie arbeiten mehrere Wochen bis einige Monate in der Schweiz und fahren dann nach Hause – nur um danach den nächsten Betreuungs-Job anzunehmen.

Wie viele das tun, darüber gibt es nur grobe Schätzungen. Mit vielen Annahmen landet ein aktueller Bericht des Seco bei «12 000 bis 24 000». Fachleute sind uneins darüber, wie sich diese Art von «Care-Migration» in den kommenden Jahren entwickeln wird. Zwar ist unbestritten, dass der Bedarf nach Pflege und Betreuung von alten Menschen zunehmen wird. Aber, so der Obsan-Bericht: «Nur eine bestimmte, vergleichsweise wohlhabende Bevölkerungsgruppe» könne sich eine solche Betreuung überhaupt leisten. .

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