Bau-Verhandlungen in der ganz heissen Phase
Steht die Einigung kurz bevor?

Es geht was in den LMV­-Verhandlungen! Diverse Kompromisse liegen bereit. Doch die Meister blockieren sie mit einem Angriff auf die Kaufkraft der Büezer: der Abschaffung der Lohnverhandlungen.

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STREIKBEREIT: Die Baubüezer haben wie hier in Zürich bewiesen, dass sie bereit sind, die Arbeit niederzulegen. (Foto: Manu Friederich)

Ende Jahr läuft der Landesmantelvertrag fürs Bauhauptgewerbe (LMV) aus. Ein neuer ist noch immer nicht verhandelt. Einen Tag nach Erscheinen dieser work-Ausgabe kommt es zum Showdown! Gewerkschaften und Baumeisterspitze treffen sich zur letzten angekündigten Zusatzverhandlung. Beide werfen sich vor, mit überzogenen Forderungen einen Abschluss zu verunmöglichen. Fakt ist: Die Meister weigern sich bislang, die Kaufkraft der Büezer zu sichern (siehe Box unten).

Klar ist auch: Sollte morgen eine Lösung zustande kommen, werden beide Seiten das Resultat zuerst ihrer Basis vorlegen müssen. Die Unia tut dies jeweils an einer grossen Berufskonferenz. Da aber die Meister den gesamten Verhandlungsprozess massiv hinausgezögert haben, ist eine solche Grossveranstaltung vor Neujahr nicht mehr realistisch. Erst am 24. Januar wird es wohl klappen.

Und falls morgen Freitag keine Einigung eintritt, beginnt am 1. Januar – erstmals seit 2012 – auto­matisch der vertragslose Zustand. Dieses Szenario scheint etwa gleich wahrscheinlich wie ein Last-Minute-Deal. Doch: Was bedeutet ­ein «vertragsloser Zustand»? Eine Erklärung in 5 Punkten:

1. Ausländische Billigkonkurrenz!

Gute GAV sichern berufliche Standards, die über das gesetzliche Niveau hinausgehen, sowie ihre Kontrolle durch die Vollzugsorgane. Das nützt auch den Chefs. Insbesondere dann, wenn der Bundesrat den GAV allgemeinverbindlich erklärt. Dann nämlich gilt er für alle Angestellten und Firmen einer Branche statt bloss für jene, die einem vertragsschliessenden Verband angehören. Das ist beim LMV seit Jahren der Fall. Der Vorteil für Firmen: gleich lange Spiesse und Eindämmung der Schmutzkonkurrenz durch Lumpenbuden und ausländische Billiganbieter.

 2. Fertig Arbeitsfrieden!

Noch ein GAV-Vorteil ist für Arbeitgeber zentral: die sogenannte Friedenspflicht. Sie besagt, dass im Konfliktfall der «Arbeitsfrieden» gewahrt werden muss. Im LMV etwa heisst das: «(…) jede arbeitsstörende Beeinflussung wie Streik, Streikdrohung, Aufforderung zu Streiks (…) ist untersagt.» Aber auch die Firmen müssen von sogenannten Kampfmassnahmen die Finger lassen. Konkret: keine Angestellten sperren oder von Bauplätzen aussperren. Falls es also in den nächsten Tagen keine Einigung gibt, sind ab dem 1. Januar Streiks ausdrücklich erlaubt – und zwar uneingeschränkt lange.

3. Kein Sofort-Lohnzerfall!

Wichtig zu wissen: Wenn ein GAV ausläuft, sind dessen materielle Bestimmungen nicht auto­matisch verloren. Sie bleiben Bestandteil der gültigen Einzelarbeitsverträge. Ferienanspruch, Lohn, Kündigungsfristen – die gesamten Anstellungsbedingungen bleiben gleich. Um sie zu ändern, braucht es laut Bundesgericht eine Änderungskündigung. Der Baumeisterverband (SBV) rät seinen Mitgliedern von solchen Verschlechterungskündigungen ab. Aber bestätigt damit im Umkehrschluss, dass Schlaumeier-Chefs genau dies tun werden.

4. Für wen ändert sich was?

  • Für Neuangestellte und Temporäre: Wer in ­einem vertragslosen Zustand eine neue Stelle ­antritt, kann zu schlechteren Bedingungen angestellt werden.
  • Für entsandte Arbeitnehmende: Die flankierenden Massnahmen zu den bilateralen Verträgen (FlaM) besagen, der in einem GAV fixierte Mindestlohn darf von ausländischen Entsendefirmen nicht unterschritten werden. Fehlt ein GAV, müssen die Löhne nur noch nach «Orts- und Branchenüblichkeit» bezahlt werden. Also nach einem schwammigen Begriff statt klaren Zahlen.
  • Für Betroffene einer Änderungskündigung: Hier gilt, nichts überstürzt unterschreiben, sondern sich ans nächste Unia-Sekretariat wenden. Und: Es gelten Kündigungsfristen von drei bis vier Monaten. Schlechtere Arbeitsverträge sind also frühestens auf Anfang April möglich. Ausser man ist noch in der Probezeit.

5. FAR und Parifonds bleiben!

Ein Auslaufen des LMV tangiert den flexiblen ­Altersrücktritt ab 60 (FAR) nicht. Denn die Stiftung FAR und der GAV FAR sind unabhängig vom LMV geregelt. Auch beim Parifonds Bau ändert sich nichts. Aus- und Weiterbildung, Nachwuchsförderung und präventive Massnahmen werden wie gehabt weitergeführt.

Zankapfel Kaufkraft

Gleich zum Verhandlungsbeginn knallten die Meister einen «Vertrag» auf den Tisch. Herausgefräst waren etliche Errungenschaften der letzten Jahre: Samstagszuschlag, Kündigungsschutz ab 55 oder die Grenzen für Überstunden. All das und mehr sollte weg. Der Gipfel: Ausgelernte sollten in den ersten fünf Jahren bis zu 25 Prozent weniger als den Mindestlohn verdienen! Die Protesttage vom Herbst brachten die Chefs zum Umdenken. Jetzt gibt es auch bei zentralen Büezerforderungen Lösungen. Neu soll eine «Baustellenzulage» von 9 Franken aufgebaut werden. Sie deckt einen Teil der unbezahlten Reisezeit ab und ist auch ein Beitrag an eine Znünipause. Im Untertagbau sind höhere Zuschläge in Sicht. Und auch bei der Reisezeit gibt es eine Lösungspiste. Was also blockiert den Abschluss noch?

Der SBV sagt: die «ideologisch geprägten zusätzlichen Teuerungsforderungen der Gewerkschaften». Doch Unia und Syna verlangen eine eigentliche Selbstverständlichkeit: Die Inflation dürfe nicht die Löhne wegfressen. Es brauche einen Teuerungsausgleich. Dazu bieten die Meister nur bedingt Hand: Erstens sollen nur Mindestlöhne ausgeglichen werden. Das ist wichtig, nützt aber vielen Büezern nicht direkt, da ihre Effektivlöhne darüber liegen. Und zweitens will der SBV als Gegenleistung während sechs Jahren nur Lohnverhandlungen, wenn die Teuerung auf über 2 Prozent steigt. Sogar den LMV-Artikel, der auf jeden Herbst kollektive Lohnverhandlungen vorschreibt, will er streichen. Nico Lutz von der Unia-Geschäftsleitung sagt:

Das ist ein ­Angriff auf ein zentrales Grundprinzip des kollektiven Arbeitsrechts: die sozialpartnerschaftliche Aushandlung der Löhne zum Schutz der Kaufkraft.

Es gebe keinen einzigen allgemeinverbindlichen GAV, der nicht regelmässige Lohnverhandlungen vorsehe. Was für Lutz hingegen gangbar wäre: «Eine Einigung auf Lohnsteigerungen über mehrere Jahre hinweg, ohne das Prinzip der Lohnverhandlungen anzutasten.»

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