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Laura Gonzalez Martinez ist Verkäuferin in Zürich und Gewerkschafterin.

Seit sieben Jahren fahre ich am Morgen mit dem Bus um halb sechs zur Arbeit. Um diese Zeit scheint die Stadt noch im Tiefschlaf. Wir Arbeiterinnen nicht. Meistens sehe ich die gleichen freundlichen Gesichter an der Bushaltestelle. Mit meinem Bus-Gspönli aus der Gastro unterhalte ich mich seit Jahren jeden Morgen während der kurzen Fahrt. Für eine Weile kam noch ein weiteres Gspönli dazu.

Scham

An einem Morgen grüssten wir uns munter, und nachdem wir uns einig waren, dass es superkalt sei, fragte ich sie, ob sie auch um diese Zeit zur Arbeit gehe. Sie erwähnte ein Spital in der Nähe. Also folgerte ich vorschnell, dass sie in der Pflege arbeite. Nein, sagte sie zögernd und etwas verlegen. Sie arbeite in der Reinigung. Sofort und aufrichtig sagte ich ihr: «Ah, die Reinigung, so eine wichtige Arbeit, ohne euch geht auch gar nichts.» Und sie strahlte mich an. Sie erzählte, wie hart dieser Job sei und wie schlecht der Lohn. Sie verdiene keine 4000 Franken bei einem Hundert-Prozent-Pensum. Das ist pure Ausnützung, dieser Lohn reicht für rein gar nichts!

Respekt!

Was mir aber aus diesem Gespräch auch noch geblieben ist: die Scham in der Stimme, als sie ihre Arbeit erwähnte. Ich kenne das. Je nachdem, in welchen Kreisen ich mich befinde, sind die ­Reaktionen in Gesprächen in Bezug auf meinen Job sehr ­unterschiedlich. Es geht von Mitleid bis hin zu diskriminierenden Bemerkungen: Das sei ein Job für dumme und ungebildete Menschen. Und ja, manchmal verhalten sich auch die Kundinnen und Kunden uns gegenüber so. Jeder, aber wirklich jeder Mensch geht einkaufen und braucht abends irgendwas für auf den Teller. Aber so dumm kann das nicht sein, was wir hier leisten: Denn ohne uns wäre der Teller abends leer. Anerkennung und Wertschätzung bekommen wir nicht oft. Und ich rede da nicht von einem Schulterklopfen, das brauchen wir nicht. Wir brauchen die Augenhöhe. Gleichgestellt sein mit anderen Menschen aus anderen Branchen. Ich begreife ehrlich nicht, warum so ein irrsinniger Unterschied gemacht wird. Ein Unterschied, der an die Substanz von jenen Menschen geht, die hart arbeiten und einen massiv wichtigen Beitrag für eine gut funktionierende Gesellschaft leisten.

Egal wo und wer, es braucht uns alle. Ob Bau, Gastro, Pflege, Detailhandel oder Reinigung. Und insbesondere auch die Busfahrerin meines 5.30-Uhr-Busses. Denn nur mit uns Arbeiterinnen in diesem Bus startet die Stadt gut in den Tag.

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