Zehra Khan aus Pakistan und ihr Kampf gegen die Textilindustrie
Von der Modedesignerin zur Pionierin der Gewerkschaftsbewegung in Pakistan

Zehra Khan hat die erste Heimarbeiterinnen-Gewerkschaft Pakistans gegründet und mit ihr einmalige Gesetze erkämpft. Doch gegen den verworrenen Textil-Kapitalismus kommt sie nur mit internationaler Hilfe an.

Beitrag vorlesen lassen.
0:00 / 5:26
HAT DIE HEIMARBEITERINNEN ORGANISIERT: Zehra Khan tingelte von Tür zu Tür und setzte damit in Pakistan eine Bewegung in Gang. (Foto: ZVG)

Als Zehra Khan die Kongressbühne betritt, sind all die Resolutionen und Anträge für einen Moment vergessen. Denn die 40jährige Chefin der «Home Based Women Workers Federation» entführt die Unia-Community aus der Walliser Bergwelt in ihre Heimatstadt Karachi. Die 20-Millionen-Metropole am Arabischen Meer ist der Finanzhub Pakistans. Doch ihr stärkster Motor ist die Textilindustrie. Landesweit erwirtschaftet diese über die Hälfte aller Exporte. Baumwolle pflücken, spinnen, weben, färben oder nähen – oft im Sub-Sub-Sub-Auftrag globaler Modekonzerne –, das ist der Alltag von Millionen Pakistani. Ihre Arbeitsbedingungen seien erbärmlich, sagt Khan.

Bei uns arbeitet die Mehrheit bis zum Tod, eine Altersvorsorge hat fast niemand.

Rund 90 Millionen Werktätige zählt die islamische Republik. 95 Prozent arbeiten ohne Arbeitsvertrag. Die Folge: weder Jobsicherheit noch Sozialversicherungen. Und informell Beschäftigte können in Pakistan auch nicht vor Arbeitsgerichten klagen. Oder sich einer Gewerkschaft anschliessen. Deshalb sind bloss ein Prozent in einer Gewerkschaft, wobei die Hälfte davon noch auf den privilegierten Staatssektor fällt. All das will Khan ändern – und hat dafür vor über zwanzig Jahren ihren Job an den Nagel gehängt.

Ängstliche Ehemänner

Nach dem Studium wurde Khan Modedesignerin. So lernte sie die Textilwirtschaft und ihr Rückgrat kennen: Abermillionen von Frauen, die in Heimarbeit Massenware nähen, zu einem Stücklohn, der knapp das Überleben sichert. Rechtliche Absicherung haben sie kaum – übrigens wie einst in der Textilnation Schweiz: Auch hier war Heimarbeit vom Fabrikgesetz von 1877 ausgenommen und wurde erst 1940 reguliert. In Karachi beschloss Khan jedenfalls, die Sache anzugehen. Über Monate hinweg tingelte sie durch die Armenviertel von Tür zu Tür. Das Ziel: die Heimarbeiterinnen für eine neue Bewegung zu gewinnen. Kein leichtes Unterfangen. Oft seien die Frauen von ihren Ehemännern abgeschirmt worden. «Die Männer behaupteten, wir wollten die Frauen ‹verwestlichen› und ihnen das Kopftuch wegnehmen», erklärt Khan. Doch sie gab nicht auf und fand immer mehr Verbündete. Denn: «Mutige Frauen gibt es überall!» Khan ­organisierte Treffen und Schulungen.

Wir erklärten den Kapitalismus und dass die sozialen Verhältnisse nicht gottgegeben, sondern veränderbar sind.

Zum Preis eines Eies

Aufklärung war auch bei NGO nötig. «Dass ein Grossteil der modernen Textilindustrie auf protoindustrieller Heimarbeit fusst, hatten die nicht auf dem Schirm.» Einige glaubten sogar, Khan organisiere Hausangestellte, so unsichtbar waren die Heimarbeiterinnen damals. Das änderte sich definitiv 2009: Der Staat registrierte Khans junge Bewegung offiziell als Gewerkschaft, in Pakistan eine wichtige Bedingung etwa für Vertragsverhandlungen. Der Mitgliederbeitrag wurde auf 20 Rupien angesetzt, dem Preis für ein Ei. Grosse Sprünge lagen so nicht drin. Doch dank Unterstützung vom Schweizer Solifonds war eine Weiterentwicklung gesichert: Produzentinnen der traditionellen Glasarmreife schlossen sich an, dann Näherinnen von Schuhen, Fussbällen, Stoffen oder Verpackungsarbeiter. Khan ist stolz:

Heute sind wir die Plattform für alle Heimarbeitenden.

Durchbruch mit Tücken

2018 folgt der zweite Durchbruch: Das Parlament des Bundesstaats Sindh beschloss, der Mindestlohn (umgerechnet aktuell 106 Franken) und die Sozialversicherungen seien auch für Heimarbeiterinnen bindend. Sindh war damit die erste Region ganz Südasiens mit einem solchen Gesetz. Mittlerweile sind sämtliche Provinzen Pakistans dem Beispiel gefolgt. Das Problem: Das Arbeitsministerium setzt das Gesetz nicht durch. Und: Die Heimarbeiterinnen sind das unterste Glied einer extrem zerstückelten Wertschöpfungskette. Sie kennen bloss ihren direkten Auftraggeber, praktisch nie aber den Endabnehmer. Deshalb seien Lieferkettengesetze so wichtig, sagt Khan. Und: «Hier in der Schweiz habt ihr mit der Konzernverantwortungsinitiative den Hebel in der Hand!»

Schreibe einen Kommentar

Bitte fülle alle mit * gekennzeichneten Felder aus.