Taxifahrer Cem Kurun (29) will von seinem Job leben können
«Wir sind in der Schweiz die untere Unterschicht»

Die App befiehlt und bestraft: Cem Kurun (29) fährt Taxi in Zürich mit Uber und Bolt. Günstig für die Kundschaft, ungünstig für ihn. work ist mitgefahren.

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Cem Kurun fährt Yannick (26) mit seinem Dacia von der Kunstschule zu einem Videojob an der Automesse beim Zürcher Hallenstadion. Yannick war spät dran und hat deshalb ein Uber bestellt. Er sagt: «Ich nehme Uber aus Bequemlichkeit, und es ist günstig.» Nicht so günstig ist es für Cem:

Wenn ich heute 20 solche Aufträge erhalte, verdiene ich etwa 160 Franken. Das macht für mich 3600 Franken im Monat, also die Hälfte von dem, was ich für meinen Lebensunterhalt, das Fahrzeug und das Benzin bräuchte.

Nur weil er am Vormittag fixe Aufträge als selbständiger Taxifahrer hat, kommt er mit fünf Arbeitstagen pro Woche über die Runde. Eine Umfrage des Onlinemediums Watson mit 120 Uber-Fahrerinnen und -Fahrern zeigt die hohe Arbeitsbelastung und die sehr tiefen Löhne: Rund 60 Prozent der Befragten gaben an, mehr als 11 Stunden pro Tag zu arbeiten – fast ein Viertel sogar über 12 Stunden. Die Mehrheit arbeitet an 6 bis 7 Tagen pro Woche. Das ist deutlich mehr als die gesetzlich erlaubte Lenk- und Arbeitszeit. Die Mehrheit gibt an, monatlich weniger als 4000 Franken zu verdienen.

Gegen Scheinselbstständigkeit

Kurun sagt: «Wir Taxifahrer sind für die Schweiz die untere Unterschicht, kaum jemand interessiert sich für uns.» Die Unia hatte sich erfolglos gegen das neue Zürcher Taxigesetz gewehrt, das seit 2024 in Kraft ist. Zudem lassen die Kontrollbehörden Uber & Co. weiterhin freie Bahn, obwohl sie gegen Scheinselbständigkeit vorgehen müssten. Unia-Mitglied Kurun will sich damit nicht abfinden. Deshalb hat er dieses Jahr den Verein der Zürcher Plattformfahrer gegründet. Mit dem Verein will Kurun das Zürcher Taxigesetz ändern. Er sagt:

Im Moment diktieren Uber und Bolt die Preise, auch das zeigt, dass wir nicht selbständig sind.

Auch die Unia pocht darauf, dass die Uber-Fahrerinnen ihre Rechte geltend machen können, durch Uber sozialversichert werden und zum Beispiel Spesen erhalten. Die Gewerkschaft fordert, dass die Behörden die Schwarzarbeit in der ganzen Schweiz stoppen und endlich dafür sorgen, dass Uber seine vom Bundesgericht anerkannten Pflichten als Arbeitgeber erfüllt.

Von der App bestraft

Nach einer kurzen Zigarettenpause geht’s weiter mit einem Gast aus Lausanne. Für die zwei Kilometer Fahrt verdient Kurun knapp acht Franken. Hätte er abgelehnt, würde die App ihn dafür bestrafen und ­weniger passende Fahrten zuteilen. Einen Auftrag mit einem unbezahlten Anfahrtsweg von 13,7 Kilometern und fünf Kilometer Fahrt für 13 Franken lehnt Kurun dann trotz Strafsystem ab. Wir fahren stattdessen eine Mutter und ihr Kind aus Zürich Schwamendingen für einen Kurs ins nahe gelegene Oerlikon.

«Der Job ist auch meine Leidenschaft, ich lerne gerne neue Menschen kennen, höre Musik und fahre rum.» Cem wechselt die App. Seit dem letzten Jahr unterbietet der estnische Anbieter Bolt die Preise von Uber. Wir fahren eine Gastroarbeiterin mit Bolt von Oerlikon nach Schlieren. Sie nutzt die App fast täglich, auch weil sie bis spät in der Nacht arbeiten muss und dann kein Bus mehr fährt. Kurun sagt:

Bolt zahlt auf den Fahrpreis der Kunden drauf, damit sie mit Uber konkurrieren können.

Immerhin gibt’s jetzt von der Gastrofrau ein grosszügiges Trinkgeld. Bolt ist so billig, dass auch Jugendliche immer häufiger ein Taxi nehmen. So auch Jana (17), die Bolt «easy und billig» findet und sich entlang der Tramlinie in die Stadt chauffieren lässt.

Wenn es pressiert

Patricia (49) hat ein Uber bestellt, damit sie ihren Flug nach Sizilien nicht verpasst. Sie sagt: «Wir sind hier in der Schweiz, da braucht man mindestens 5000 Franken im Monat, damit man Miete und Krankenkasse bezahlen und eine Familie ernähren kann.» Aber wahrscheinlich würde das bei einem Uber-Fahrer nicht ganz hinkommen. Cem lacht und hilft beim Ausladen des Koffers, obwohl das im Uber-Preis eigentlich nicht inbegriffen sei. Bei der Tankstelle in der Nähe des Flughafens warten mehrere Uber-Fahrer mit VD-Nummernschildern. Kurun sagt: «Auch die Konkurrenz durch ausserkantonale Fahrer ohne Zürcher Taxilizenz sollte in Zukunft nicht mehr möglich sein.» Weil gerade keine neuen Aufträge reinkommen, nimmt Kurun den Roman «1984» von George Orwell aus dem Handschuhfach und sagt:

Mit unseren Ideen von Freiheit und der Überwachung unserer Arbeit sind wir gar nicht mehr so weit weg von dieser Geschichte aus dem Jahr 1948.

Die Bilanz der beiden Apps nach vier Stunden Arbeit: fünf Uber-Fahrten mit Einnahmen von 49,72 Franken und zwei Fahrten mit Bolt für total 27,11 Franken. Einschliesslich 5 Franken Trinkgeld macht das pro Stunde 20 Franken. Nach Abzug der Kosten für Fahrzeug, Benzin und Versicherungen bleibt für Taxifahrer Kurun von den Einnahmen dieses Nachmittags fast nichts übrig.

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