Schicht im Schacht
Gotthard-Mineure legen Arbeit nieder!

Explosive Stimmung in Airolo und Göschenen – aber nicht wegen des Sprengvortriebs für die zweite Röhre, sondern weil die Tunnelbauer für bessere Arbeitsbedingungen protestieren.

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RAUS AUS DEM TUNNEL: Die Mineure in Airolo verlassen die Baustelle. (Foto: Jakob Ineichen)

Der Bau der zweiten Gotthardröhre stockt. Denn am Südportal steckt die Tunnelbohrmaschine fest, verschüttet unter Tonnen von Granit. Jetzt ist deshalb Sprengvortrieb angesagt. Doch am Dienstagmorgen gab’s für einmal kein Wumms. Der Grund: die schweizweite Bau-Protestwelle ist auch am «Berg der Nation» angekommen – und work schon frühmorgens mit dabei.

Bei eisigen Temperaturen stapft plötzlich eine Gruppe Mineure aus dem Loch. Es ist die Nacht-Equipe, die jetzt Schichtende hat. Doch ihre Ablösung, eine Zehnergruppe Italiener, will einfach nicht nachkommen. Sondern bleibt im Mannschaftsbus sitzen. Für sie ist klar: Jetzt braucht es ein starkes Zeichen für bessere Arbeitsbedingungen – darum ist heute Schicht im Schacht. Zusammen mit der Nacht-Equipe brausen sie davon. Ihr Ziel: Die Unia-Protestversammlung in der grossen Käserei von Airolo. Doch nicht alle sind in bei guter Laune.

Chef ohne Sprengstoff

Am Südportal fährt ein weiterer Mannschaftsbus heran. Heraus steigt ein Mann, dessen Gesichtsausdruck nichts Gutes verheisst. Schon stösst er nicht zitierbare Flüche aus. Es ist ein älterer Polier. Ganz allein stiert er durch die Unia-Leute hindurch. Seine Arbeiter, noch immer im Auto, schütteln bloss den Kopf. Und entschuldigen sich sogar für ihren Capo. Doch der Zornige kommt bald zurück, jetzt mit Bürolisten von der Bauleitung im Schlepptau. Selbst der Projektleiter des Baukonzerns ist plötzlich auf Platz. Diesem Druck halten die Kollegen irgendwann nicht mehr stand. Mit gesenktem Blick folgt einer nach dem anderen dem Chef. Viel ausrichten können sie trotzdem nicht. Denn erstens fährt kein Bus in den kilometerlangen Stollen. Und auch der Sprengstoff fehlt! Der ist spurlos verschwunden.

In der Käserei von Airolo treffen immer mehr Mineure ein. Italiener, Österreicher, Slowaken, Portugiesen, auch ein paar Schweizer. Besonders viele sind vom Nordportal in Göschenen angereist. Denn auch dort wird heute höchstens auf Sparflamme geschafft. Umso voller ist der Saal der Käserei. Und ans Rednerpult tritt Giangiorgio Gargantini von der Tessiner Unia.

Pfiffe und wüste Flüche

Er berichtet vom neusten Verhandlungsstand zum Landesmantelvertrag (LMV): «Auch nach Monaten verweigern die Meister jede noch so kleine Verbesserung!» Zwar habe sich der Baumeisterverband in manchen Punkten etwas bewegt, doch wenn man genau hinschaue, erweise sich alles als schlechter Witz. Gargantini gibt ein Beispiel:

Noch vor ein paar Wochen wollten sie den Kündigungsschutz für Arbeiter ab 55 streichen. Dann haben sie gemerkt, dass sie damit niemals durchkommen bei uns. Doch was machen sie jetzt? Sie bieten einen Kündigungsschutz ab 60 an!

SPRICHT ZU DEN BÜEZERN: Unia-Mann Giangiorgio Gargantini. (Foto: Jakob Ineichen)

Das Publikum reagiert mit Pfiffen und wüsten Flüchen. Kein Wunder! Denn für Bauarbeiter beginnt mit 60 das Rentenalter, ein Kündigungsschutz bringt dann nichts mehr. Der LMV ist aber gleich doppelt zentral für die Tunnelbauer. Denn er regelt im Anhang 12 «Untertagbau» die ganz spezifischen Arbeitsbedingungen im Stollen. Und dort haperts seit langem.

Für familienfreundliche Schichtmodelle

Die Zuschläge für Spezialarbeiten im Untertagbau wurden seit 2012 nicht mehr erhöht. Die Zuschläge für andauernde Nachtarbeit wurden sogar letztmals vor rund 50 Jahren erhöht! Von 1 auf 2 Franken – und das bei einer vielfachen Preissteigerung seither. Alle Berufsleute, die schon ein paar Jahre dabei sind, bestätigen daher: Heute hat man real deutlich weniger im Sack als früher.

Zusätzlich nagt das geltende Schichten-Regime an den Leuten. Früher waren 10-Tages-Schichten möglich, was mit einem viertägigen Wochenende honoriert wurde. Das Modell war beliebt, da die meisten Arbeiter von weit herkommen und viele Stunden reisen müssen, um ihre Familien wiederzusehen. Doch seit 2017 bewilligt der Bund nur noch maximal 7-Tages-Schichten. Entsprechend kürzer wird das Wochenende, Heimreisen lohnen sich kaum mehr. Ein Mineur aus Kärnten sagt:

Heute verbringst du mehr Zeit auf der Strasse als Zuhause, wenn du heimfährst. Ein Familienleben ist kaum mehr möglich.

Drei Kollegen, allesamt junge Väter aus der Slowakei, bestätigen. Einer meint sogar, er habe seine Kinder letztmals im August gesehen. Und erst im Dezember liege eine Heimreise wieder drin. An diesen Zuständen sind bundesbürokratische Paragrafenreiter schuld, das ist in Airolo allen klar. Doch wenn jetzt die Baumeister auch noch längst überfällige Verbesserungen verweigern, dann ist das Mass voll. Sind die Gotthard-Mineure streikbereit? Fragt man die drei jungen Slowaken, gewiss: «Wir haben ja bereits angefangen, jetzt müssen wir das Ding auch zu Ende schaukeln!»

Massiv! 7000 an Doppel-Protesttagen in der Romandie

Die Protestwelle hat auch die Romandie erreicht. Gestern gab es dezentrale Mobilisierungen in Lausanne, Genf, La Chaux-de-Fonds und Freiburg. Insgesamt gingen 7000 Bauleute auf die Strasse, am meisten davon in der Waadt. Und auch heute versammelten sich die Bauarbeiter aus allen Westschweizer Kantonen inklusive dem Wallis zu einer Grossdemo in Lausanne.

Um die Zukunft ihrer Branche sicherzustellen, fordern die Bauarbeiter:

  • Schluss mit unbezahlter Reisezeit zur Baustelle! Heute wird die Reisezeit vom Betrieb zur Baustelle entgegen dem Gesetz erst nach 30 Minuten entschädigt und zählt nicht zur Arbeitszeit.
  • Bezahlte Znüni-Pause: in anderen Berufen längst Standard.
  • Kürzere Arbeitstage: Acht Stunden harte Arbeit sind genug.
  • Garantierter Teuerungsausgleich zur Sicherung der Kaufkraft.

Anstatt auf die berechtigten Forderungen der Bauarbeiter einzugehen, provoziert die Baumeisterspitze mit Vorschlägen für noch längere Arbeitstage, einfachere Entlassungen älterer Bauarbeiter und Lohnkürzungen.

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