Aufruhr im Pharmaprofit-Paradies: Schweizer Bevölkerung soll für US-Zollwahnsinn bluten
So sichern die Basler Multis ihre Milliarden

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In den USA konnten ­Schweizer Pharmakonzerne in den ­letzten Jahren Milliardengewinne ­einstreichen. Doch jetzt ist das Geschäftsmodell mit der Schweiz als Pharmadreh­scheibe wegen Trump in Gefahr

DIE ZAHLEN GEHEN STEIL NACH OBEN: Immer mehr Pharmaprodukte werden aus der Schweiz in die Welt exportiert. (Foto: Dreamstime / Grafik: work)

US-Präsident Trump (79) verlangt von Schweizer Pharmakonzernen bis Ende September eine Zusage zur Senkung der Preise für rezeptpflichtige Medikamente in den USA. Diese Preise sind in den USA bisher kaum staatlich reguliert und im Schnitt drei Mal teurer als in Europa. Trump fordert mit dem «Most-Favored-Nation Drug Pricing» eine Anpassung der Medikamentenpreise nach unten. Damit gerät die weltweit grösste Profitmaschine der Pharmakonzerne unter Druck. 2024 exportierten Novartis, ­Roche & Co. Medikamente im Wert von mehr als 31 Milliarden Franken aus der Schweiz in die USA. Das entspricht fast der Hälfte aller Schweizer Exporte in die USA.

Pharma-Krisengipfel

Trotz diesen Rekordexporten blieb die Schweizer Pharmaindustrie bisher vom 39-Prozent-Zollsatz verschont. Doch die Drohung eines 250-Prozent-Strafzolls und einer staatlich angeordneten Preissenkung in den USA bleibt akut. Gesundheitsministerin Baume-Schneider (61) und Wirtschaftsminister Guy Parmelin (65) organisieren deshalb gemeinsam mit den Pharmakonzernen einen Krisengipfel in Bern. Interpharma, die Lobbyorganisation der Schweizer Pharmaindustrie, fordert «umfangreiche Reformen» und droht mit der Nichteinführung neuer Medikamente. Die tieferen Preise im US-Markt wollen die Pharmakonzerne durch eine Erhöhung der Preise in Europa und der Schweiz kompensieren und die Zulassung von neuen Medikamenten vereinfachen. Die Folgen: noch höhere Medikamentenpreise und noch höhere Krankenkassenprämien.

40 Prozent Gewinnmarge als Ziel

Druck kommt auch von Novartis-Boss Vasant Narasimhan, der bis 2027 eine Betriebsgewinnmarge von 40 Prozent vorgibt und damit weiterhin Rekorddividenden und Millionenboni finanzieren will (work berichtete).

Für die Schweiz brachte diese Strategie in den letzten Jahren einen Abbau von 1400 Stellen. Jeder zehnte Angestellte von Novartis musste gehen. Gleichzeitig hat der Konzern die Zentrale in Haider­abad in Indien gestärkt, wo inzwischen über 8000 Personen für Novartis arbeiten und das Marketing für das US-Geschäft übernehmen. Auch die Produktionsstandorte in Slowenien sind massiv gewachsen. Die Pharmaimporte aus Slowenien in die Schweiz explodierten in den letzten fünf Jahren von 700 Millionen auf 17 Milliarden Franken im Jahr 2024 (siehe Grafik und Text unten).

Pharmahub Schweiz und Slowenien

Goran Trujic (54) arbeitet als Mechaniker im Unterhalt der Produktionsanlagen von Novartis in Stein AG und ist Präsident der Personalkommission Gesamtarbeitsvertrag (GAV) Rheintalwerke. Er sagt: «Die Auslagerung nach Slowenien hat schon vor vielen Jahren begonnen, aber hier in Stein arbeiten immer noch mehr als 1200 Personen und über 200 in Schweizerhalle, wo Novartis Wirkstoffe herstellt.» Der grösste Teil des Pharmahandels zwischen der Schweiz und Slowenien findet firmen­intern bei Novartis und beim Generikahersteller Sandoz statt. Welche Produkte bei Novartis zwischen der Schweiz und Slowenien verschoben werden, will der Pharmakonzern auf Anfrage von work nicht kommentieren. Der Pharmahandel führt dazu, dass Slowenien nach den USA und Deutschland inzwischen der drittwichtigste Handelspartner der Schweiz ist.

Riesig: Schweizer ­Chemie- und Steuer­paradies

Die Chemie- und Pharmaindustrie beschäftigt in der Schweiz etwa 75 000 Personen. Neben Novartis, ­Roche, Lonza, Syngenta und Sandoz haben zahl­reiche internationale Grosskonzerne ihren Hauptsitz aufgrund von Steuervorteilen in die Schweiz verlegt, ­zuletzt das amerikanisch-chinesische Pharmaunternehmen Be One Medicines von den Cayman Islands nach Base

Erneuert. Neben den Grosskonzernen gibt es etwa 1000 kleinere Unternehmen, die vor allem in der ­Forschung und Vermarktung tätig sind. Für die Produktionsbetriebe der Basler Chemie- und Pharma­unternehmen gilt der letztmals im Jahr 2012 erneuerte GAV (work berichtete).


Slowenische Pharmafirma Lek: Von Novartis für 1,2 Milliarden geschlucktVom sozialistischen Vorzeigebetrieb zum Goldesel der Schweizer Pharma

Im Jahr 2002 übernahm ­Novartis die slowenische Pharmafirma Lek. Heute liefern die ­Fabriken aus Slowenien den Stoff für ­Milliardenprofite.

MILLIARDENHANDEL: Die meisten Pharmaprodukte importiert die Schweiz aus Slowenien,
und der grösste Abnehmer der Schweiz sind die USA. (Grafik: work)

Matija Drmota (40) arbeitet als Rechtsberater für den slowenischen Gewerkschaftsbund ZSSS. Er sagt: «Die Phar­maindustrie ist äusserst wichtig für ­Slowenien, denn sie beschäftigt direkt etwa 12 000 Personen, ist international erfolgreich und zahlt auch vergleichsweise gute Löhne.» Der Mindestlohn in Slowenien liegt bei 1277 Euro pro Monat. In den Fabriken der Pharmafirma Lek sind sie deutlich höher. Für die Lek-Mitarbeitenden gilt ein Firmen-GAV mit einer unternehmensnahen Gewerkschaft, die nicht dem ZSSS angehört. Der GAV deckt fast 99 Prozent der 3800 Mitarbeitenden ab. Von ihnen arbeiten mehr als die Hälfte in der Produktion.

Sozialismus und Privatisierung

Gegründet wurde Lek, was auf deutsch «Medikament» heisst, im Jahr 1946. Die Firma war eines der wichtigsten Unternehmen der sozialistischen Republik und produzierte hauptsächlich Medikamente und Kosmetika für die Bevölkerung in ­Jugoslawien. Auf dem Papier gehörte die Firma den Mitarbeitenden. Doch in der Realität sah es anders aus. Nach Slowe­niens Unabhängigkeit wurde Lek 1992 als erste jugoslawische Staatsfirma privatisiert und wurden die Aktien des Unternehmens an der Börse von Ljubljana ­gehandelt. Ab 1993 regelte ein neues Mitbestimmungsgesetz die betriebliche Beteiligung der Mitarbeitenden. Doch finanziell gingen die meisten von ihnen leer aus.

Mit Generika auf den Weltmarkt

In den 1990er Jahren expandierte Lek in Osteuropa und wurde zu einem wichtigen Exporteur von Generika und Antibiotika in die USA. Dieser Erfolg weckte auch das Interesse des Basler Pharmariesen Novartis. Im Jahr 2002 zahlte Novartis 1,2 Mil­liarden Franken und schluckte Lek. Den Namen durfte das slowenische Unternehmen trotz der Übernahme behalten. Nov­artis investierte seither mehr als drei Milliarden Franken in Slowenien und wurde damit zum grössten ausländischen Investor im Land mit 2,1 Millionen Einwohnern und Einwohnerinnen. Novartis eröffnete eine neue Abfüllanlage für Fläschchen, eine Fabrik zur Herstellung von Tabletten und Kapseln, Labors zur Entwicklung von biologischen Medikamenten und eine neue Verpackungsanlage in Lendava.
Seit 2023 gehört dieser Standort zum Basler Generikahersteller Sandoz, der vor zwei Jahren von Novartis abgespalten wurde. In Lendava wird jetzt eine neue Fabrik für Biosimiliars, Nachahmerprodukte von biologischen Medikamenten, gebaut. Sandoz investiert 400 Millionen Euro, und der slowenische Staat beteiligt sich ebenfalls mit 52 Millionen Euro.


Widerstand in der Pharmastadt Basel und Pharma für alle

Die Pharmakonzerne in Basel erhalten vom Kanton neu Hunderte Millionen Franken für Forschung und Entwicklung aus Steuer­geldern. Doch aus gewerkschaftlichen und progressiven Kreisen gibt es Widerstand und politische Initiativen, die eine öffentliche Versorgung mit Arzneimitteln fordern.

TEIL DER STADT: Novartis und Roche investieren viel Geld in die Öffentlichkeitsarbeit in Basel, dazu gehört der für alle zugängliche Novartis-Pavillon. (Foto: PD Novartis)

Viele Jahre war der Novartis-Campus ein abgeschlossener Stadtteil hinter Mauern, exklusiv für die Mitarbeitenden des Basler Pharmakonzerns. Doch heute ist das Areal am Rheinufer öffentlich zugänglich, es gibt Cafés und mit dem Novartis-Pavillon sogar ein fir­meneigenes Museum über Medikamente und Krankheiten. Sozialarbeiter Oliver Bolliger (54) ist im ­Vorstand des Vereins «Pharma für alle», VPOD-Gewerkschafter und Grossrat der linken Partei Basta. Er sagt: «Die Pharma ist eng mit Basel verbunden, gehört sozusagen zur DNA von Basel. Novartis und Roche investieren viel Geld in Öffentlichkeitsarbeit und Sponsoring, so dass für die Bevölkerung auch diese Abhängigkeit sichtbar wird.»

Die Kritik nach dem Chemieunfall

Denn vieles hat sich bei den Pharmariesen in Basel in den letzten Jahrzehnten verändert. Fusionen, Stellenabbau, Globalisierung; weg von der Produktion, hin zu Forschung. Doch die Pharmaindustrie bleibt wichtigste Arbeitgeberin und Steuerzahlerin der Stadt. Bolliger sagt: «Seit dem Grossbrand in Schweizerhalle im Jahr 1986 gibt es hier aber auch immer wieder Kritik an der chemischen Industrie und der Pharma. Heute geht es vor allem um die absurd hohen Ma­nagerlöhne, Pharmapatente und die enormen Konzernprofite.» Das zeigte sich auch beim Referendum zum neuen Standortförderungsgesetz. Ein Bündnis aus progressiven Parteien, Gewerkschaften und der Klimabewegung wollte eine Rückverteilung der Steuergelder an die Pharmafirmen verhindern. Doch die Stimmberechtigten haben das Standortförderungsgesetz mit der Unterstützung der Basler SP im Mai dieses Jahres angenommen.

«Innovative» Medikamente

Bei der Abstimmung ging es um die Verwendung der Mehreinnahmen durch die OECD-Mindeststeuer und jährliche Zahlungen von 150 bis 500 Millionen Franken zugunsten von Basler Pharmakonzernen und Start-ups. 80 Prozent der Mittel sind für den Förderbereich «Innovation» vorgesehen, 20 Prozent für ­«Gesellschaft und Umwelt». Ein Grossteil dieser Steuergelder wird an die zwei grossen Basler Pharmakonzerne Novartis und Roche zurückfliessen und ihr ­Geschäftsmodell mit «innovativen» und auch sehr teuren Medikamenten weiter antreiben. In der Stadtverwaltung mussten in den letzten Wochen neun neue Stellen geschaffen werden. Sie kümmern sich jetzt um die Bearbeitung der Firmengesuche für die Fördergelder.

Sammeln für «Pharma für alle»

Bolliger setzt sich nach dem gescheiterten Referendum weiterhin für eine andere Verwendung der Pharma-Steuergelder ein. Mit der Initiative «Pharma für alle» soll die öffentliche Versorgung gestärkt ­werden. Die Initiative verlangt, dass 2,5 Prozent der baselstädtischen Steuererträge zur gemeinwohlorientierten Versorgung der Bevölkerungen mit Medikamenten im In- und Ausland verwendet werden. Das wären jährlich etwa 70 Millionen Franken. Im November soll die Initiative eingereicht werden. Bolliger ist überzeugt: «Die Initiative wird eine Diskussion anstossen, im Sinne des Service public und auch über die Frage, welche Pharmaindustrie sich hier entwickeln kann und wie wir die Versorgungssicherheit mit lebenswichtigen Medikamenten sicherstellen können.»

SP fordert Public-Pharma-Strategie

Eine andere Pharmaindustrie fordert auch die SP. Im letzten November verabschiedete sie an ihrem Parteitag in Chur ein Positionspapier mit der Forderung nach einer Public-Pharma-Strategie. SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer (37) sagt zu work: «Pharmakonzerne sind in einem Bereich tätig, wo wir verletzlich sind, weil es um unsere Gesundheit geht. Und das nutzen sie aus. Sie können mit horrenden Preisen unanständig hohe Gewinne auf Kosten von uns allen machen.»

Verstaatlichung von Sandoz

Im Positionspapier fordert die SP einen verbesserten Zugang zu bezahlbaren Medikamenten, Kostentransparenz bei der Entwicklung von Medikamenten und eine Forschung, die sich am gesellschaftlichen Nutzen und nicht am Profit orientiert. Lebenswichtige Medikamente sollen auch im globalen Süden verfügbar und bezahlbar sein. Meyer sagt: «Die Pharmakonzerne entscheiden, welche Medikamente produziert und zu welchem Preis sie verkauft werden. Diese Erpressbarkeit und die Preisexplosion müssen ein Ende haben.» Zu diesem Zweck fordert die SP auch die Verstaatlichung von Sandoz, dem börsenkotierten Generikaproduzenten, der bis vor kurzem noch Teil von Novartis war. Sandoz betreibt in Österreich die letzte Produktionsanlage von Penicillin in Europa und ist

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