Alte Zeiten und neue Skills: Unia- Rentnerin trifft auf Jungstromer
Kampfgeist kennt kein Alter

Ursula Mattmann Alberto (77) ist Gewerkschaftsveteranin im ­Unruhestand. Vincent Lemaire (20) dagegen hat erst gerade seine Lehre abgeschlossen und zur Unia gefunden. Doch sie vertreten zwei Generationen, die mehr gemeinsam haben, als man denkt.

HABEN DAS HEU AUF DERSELBEN BÜHNE: Ursula Mattmann Alberto und Vincent Lemaire sind beide aus Überzeugung Mitglied in der Unia. (Foto: Nicolas Zonvi)

«Ich bin seit 45 Jahren dabei, wenn man die Vorgängergewerkschaften mitzählt!» Ursula Mattmann Alberto ist sichtlich stolz, wenn sie über ihre Unia-Mitgliedschaft spricht. Beigetreten ist die ehemalige Archivarin des Spitals Uster an einer 1.-Mai-Feier. Damals sprach sie ein Gewerkschafter an. Zufällig kannte dieser ihren Grossvater, der in der Gewerkschaft Bau und Holz (GBH) aktiv war. Und wie! «Mein Grossvater ging mit der roten Fahne an den 1. Mai. Und das als Arbeitgeber zusammen mit seinen Arbeitern», erzählt Mattmann. Er war Schreiner und führte einen eigenen Betrieb. Noch bevor sie geboren war, habe ihr Grossvater gesagt: «Dieses Kind wird einmal eine Löwin – und noch viel kämpferischer, als ich es war.» Für Mattmann war deshalb klar: «Ich muss beitreten. Das ist meine Bestimmung.»

Auch der frisch ausgelernte Elektroplaner Vincent Lemaire aus Winterthur hatte einen Schlüsselmoment, der ihn vor einem Jahr zum Unia-Beitritt brachte. Während seiner Lehre erlebte er schwierige Bedingungen im Betrieb. «Ich habe begonnen, mich zu politisieren, bin der Juso beigetreten, und da war die Unia oft Thema.» 2024, am Ende seiner Lehre, war für ihn klar: «Ich will in die Gewerkschaft – auch wenn es für meine Lehrsituation etwas spät ist. Besser jetzt als nie.»

Erst ausgepfiffen, dann High

In dieser kurzen Zeit hat Lemaire schon einiges mitgemacht, schliesslich ist er aktiv in der IG Jugend und in der Pflegegruppe. Der schönste Moment aber sei seine erste Baudemo gewesen: «Ich komme selbst aus der Bau­branche, einer konservativen Welt. Aber an der Demo sah ich: Es gibt viele, die sich wehren. Das hat mir Mut gemacht und ein starkes Zugehörigkeitsgefühl gegeben.»

Auch Ursula Mattmann hat ein persönliches Highlight: den Unia-Kongress 2008 in Lugano.

Als Frauenpräsidentin habe ich dort die Frauenquote durchgesetzt – 25 Prozent in den Regionen und 33 Prozent in allen anderen Gremien. Das war alles andere als einfach. Es gab viel Gegenwind – primitive Männer gab es auch in der Unia. Einmal wurde ich sogar an einer Delegiertenversammlung ausgepfiffen, nur weil ich mich für Frauenrechte einsetzte.

Doch sie liess sich nicht unterkriegen. «Ich wusste, ich muss die jungen Männer mit ins Boot holen.»

Noch heute ist Mattmann gewerkschaftlich in der IG Rentner aktiv. Die Hilfe der Gewerkschaft habe sie selbst nie gebraucht. «Ich bin aus Überzeugung dabei. Ohne Gewerkschaften wären wir in der Schweiz nie so weit gekommen», sagt Mattmann. Gleichstellung ist ihr Lebensthema. «Viele Themen, die heute auf dem Tisch liegen, wurden früher totgeschwiegen. Man sprach nicht über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz», erinnert sich Mattmann. «Heute reden wir mehr – das ist gut.» Umso mehr ärgert sie, was sie derzeit in der Politik beobachtet: «Bei den Frauenrechten habe ich manchmal das Gefühl, wir machen wieder Rückschritte.»

«Fast schlimmer als früher»

Elektroplaner Lemaires Hauptanliegen ist die Lehre: «Mir ist wichtig, dass die Lehre in der Schweiz attraktiv bleibt – und nicht alle ins Gymi gedrängt werden.» Deshalb unterstütze er auch die SGB-Forderung nach 8 Wochen Ferien für Lernende.

Auch Mattmann hat einst eine Lehre gemacht – am Postschalter. Und dank ihrem langjährigen Engagement in der Unia kennt sie auch die modernen Verhältnisse. Sie sagt: «Lernende werden oft als vollwertige Arbeitskräfte eingesetzt – das ist heute fast schlimmer als früher.» Ausbeutung von Lernenden hat auch Lemaire genug erlebt: «Gerade im Bau spürt man das. Überzeit ist Alltag. Es fehlt an Personal – und die, die da sind, schuften sich kaputt.» Lemaire weiss aber, dass auch andere Branchen betroffen sind. Er engagiert sich in der Unia-Pflegegruppe. «Aus Solidarität», wie er sagt. Ihn berühre, was einige seiner Kollegen erzählten. «Ihre Mütter arbeiten im Pflege-Schichtdienst, sind kaum zu Hause – und der Lohn stimmt nicht. Ich frage mich oft, wie die das schaffen.»

Mehr Schulbesuche und Sport

Für die nächste Generation wünscht sich Mattmann, dass sie sich nicht «unterbuttern» lässt: «Sie soll weitermachen und weiterkämpfen», auch in den neuen Berufen, die gerade entstehen, müssten die Arbeitsbedingungen stimmen. «Ich bin überzeugt, dass die Jungen das schaffen.»

Nach Lemaire sollte der Fokus darauf liegen, die Gewerkschaft in der Lehre wieder populärer zu machen.

Wir brauchen mehr Schulbesuche, mehr persönliche Gespräche. Gerade in der Lehre kann die Gewerkschaft eine wichtige Stütze sein.

Mattmann stimmt Lemaire zu. Und sie hat noch eine Idee: «Auch in die Sportvereine oder an Turnfeste müssten wir mehr gehen und dort mit den Leuten sprechen!» Sie jedenfalls habe damit gute Erfahrungen gemacht. Ihren Eishockeyfreunden habe sie damals gesagt: «Wie soll ich mit euch einen Match schauen kommen, wenn wir so lange arbeiten müssen? Wir brauchen bessere Arbeitsbedingungen!» Da hätten ihr die Hockey-Fans völlig zugestimmt.

Und welchen Tipp hat die Gewerkschaftsveteranin für die Jugend parat? «Nie aufgeben!» Auch wenn es schwierig sei, müsse die Devise immer lauten: ­«Einfach weitermachen.» Und was hat umgekehrt Jungbüezer Lemaire den Boomerinnen und Boomern zu sagen?

Die Gewerkschaft muss sich verändern, wenn sie ­relevant bleiben will!

Konkret sollten Strukturen modernisiert und Social Media besser genutzt werden, findet Lemaire. Die Unia brauche «neue Skills». Aber auch mehr vom Bewährten: «Junge Leute sollten stärker angesprochen werden.» Denn: «Sich gegenseitig stärken, auch unter den Generationen – das wirkt.»

Einblick: Mattmann und Lemaire privat

Ursula Mattmann Alberto (77): Ihr Herz schlägt für den Eishockey Club ­Dübendorf. Seit Jahren ist sie dort ­Funktionärin – früher an der Tür, heute im Fanshop. «Ich verstehe mich ­blendend mit den jungen Spielern – das hält mich jung.

Vincent Lemaire (20):

Liebt Kartenspiele mit Freunden, am liebsten Shithead – ein Kartenspiel, das man mit Jasskarten spielen kann. Dabei geht es weniger ums Gewinnen als darum, gemeinsam Karten clever los zu werden. «Das ist kein Gegeneinander, sondern ein Miteinander.»

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