Wie sich die Frauen ihren Platz in die Gewerkschaftswelt erkämpften
Die Männerdomäne umgekrempelt

Über ein Jahrhundert ­hinweg waren die Gewerkschaften Männerbastionen. Heute geht es dank beharrlichen Vorkämpferinnen viel diverser zu. Doch es gibt noch einiges zu tun!

HAT DIE BÜEZER IM RÜCKEN: Unia-Präsidentin Vania Alleva an der Demo bei Stahl ­Gerlafingen. (Foto: Manu Friederich)

1,2 Prozent – so «hoch» war der Frauenanteil 1990 in der Gewerkschaft Bau und Holz. Bei der Gründung der Unia waren es bereits 18 Prozent, und heute ist fast jedes dritte Mitglied eine Frau. Seit vier Jahren gibt es in der Unia-Geschäfts­leitung sogar eine Frauenmehrheit. Und mit ­Vania Alleva hat die Unia seit zehn Jahren eine Frau an der Spitze. Das zeigt: Frauen sind endlich ein selbstverständlicher, anerkannter und wichtiger Teil der Gewerkschaft – sei es bei den Mitarbeitenden oder bei den Mitgliedern. Doch diese Ausgangslage steht auf den Schultern von Gigantinnen. Von Frauen, die sich vor Jahrzehn­ten den Weg in die männerdominierte Welt der Gewerkschaften freikämpften. Unia-Präsidentin Vania Alleva erinnert sich noch gut an Versammlungen der GBI, einer der Vorgängergewerkschaften der Unia:

Das waren damals praktisch noch reine Männerversammlungen.

Einer der grössten Durchbrüche der Frau­­en in die männerdominierte Gewerkschaftswelt gelang vor 35 Jahren im Vallée de Joux, ­einem beschaulichen Hochtal im Jura. Dort gärte es unter den Arbeiterinnen der Uhren­industrie schon lange. Frauen hatten damals weder ein Recht auf eine Mutterschaftsversicherung noch auf einen straflosen Schwangerschaftsabbruch. Und wenn eine Arbeiterin schwanger wurde, hatte sie zwar einen Kündigungsschutz, aber keine garantierte Lohnfortzahlung. Zudem verdienten die Frauen ein Vielfaches weniger als die Männer – trotz gleicher Arbeit. Doch dann hatte die Uhrenarbeiterin Liliane Valceschini die zündende Idee!

Der erste Frauenstreik

Zu work sagte sie dazu einmal: «Ich realisierte, dass es bald genau zehn Jahre her sein würde, seitdem am 14. Juni 1981 die Lohngleichheit in der Bundesverfassung festgeschrieben worden war. Zehn Jahre sind ein runder Geburtstag. Und einen solchen feiert man!» Und mit «feiern» meinte Valceschini streiken! Sie traf sich mit Christiane Brunner, der umtriebigen Gewerkschaftssekretärin und künftigen Präsidentin des Smuv. Und dann traten die beiden eine Bewegung los, die bald Geschichte schreiben sollte: den ersten landesweiten Frauenstreik! Vania Alleva ist dankbar dafür, was ihre Vorgängerinnen geleistet haben:

Ohne die langjährigen Kämpfe vieler Frauen wäre die Unia heute nicht das, was sie ist.

Mit der Gründung der Unia schlossen sich vier Gewerkschaften zusammen, wovon drei deutlich männerdominiert waren. Und das lag nicht nur an den Männerbranchen, die diese Gewerkschaften organisierten. Gerade in der Industrie (Smuv), aber auch im Verkauf und Handel (VHTL) hätte es seit eh und je einen hohen Frauenanteil gegeben. Doch die Herren Gewerkschafter blieben lieber unter sich. Sie wurden ­allerdings von immer mehr Vorkämpferinnen herausgefordert, die kräftig an den herrlichen Zuständen rüttelten. Ab 1996 war es dann endlich so weit: Der Smuv und die GBI bauten zusammen die sogenannt kleine Unia auf, eine Gewerkschaft für den Dienstleistungssektor, die speziell auch Frauen ansprechen sollte.

Noch nicht am Ziel

Das müsse man den Unia-Gründern hoch anrechnen, meint dazu Vania Alleva. «Sie erkannten, dass auch die traditionellen Frauenbranchen eine starke Gewerkschaft brauchen.» Heute seien die Anliegen der Arbeitnehmerinnen viel besser vertreten als vor 20 Jahren. Aber nicht wegen gnädiger Männer, betont Alleva. Sondern: «In erster Linie, weil die Frauen sich verstärkt organisieren und in der Gewerkschaft einen Ort erkennen, wo sie gemeinsam für ihre Anliegen einstehen.» Am Ziel sei man mit der Gleichstellung in der Arbeitswelt und in der Gesellschaft aber noch nicht. Alleva:

Damit es vorwärtsgeht, braucht es enormen Druck der Frauen. Es braucht noch mehr Organisation und Mobilisierung. Und das über das ganze Jahr und nicht nur am 14. Juni.


Zukunft der UniaDie Chefin blickt in die Glaskugel!

Geburtstagsfeier gut und recht! Doch wo führt die Reise der ­Gewerkschaft hin?

work: Vania Alleva, was beschäftigt die Unia zurzeit?
Vania Alleva: Wir haben alle Hände voll zu tun! Aktuell werden mehrere sehr wichtige Gesamtarbeitsverträge verhandelt. Darunter der Bau (LMV), das Gastgewerbe (L-GAV) und der GAV mit Coop. Allein von diesen drei Verträgen sind gegen 400’000 Arbeitnehmende in der Schweiz betroffen. Parallel greift die bürgerliche Mehrheit im Parlament die Rechte der Arbeiterinnen und Arbeiter von allen Seiten an. Dagegen müssen wir alle unsere Kräfte bündeln.

Und woher die Kraft für all diese Kämpfe?
Unsere Mitglieder sind unsere Stärke. Gewerkschaftsarbeit ist immer kollektive Arbeit und schöpft Kraft aus der Vielfalt.

Die Mitgliederzahlen schwinden aber, wie schafft die Unia die Trendumkehr?
Indem wir verankert in den Betrieben und stark in der Gesellschaft, indem wir nahe bei den Leuten sind. Dabei müssen wir in den traditionellen Gewerkschaftsbranchen, also dem Bau, dem Gewerbe und der Industrie, weiterhin stark organisiert bleiben. Gleichzeitig müssen wir den Dienstleistungs­bereich weiter voranbringen. Die Arbeitswelt befindet sich im Wandel. Da müssen wir als Gewerkschaft am Ball bleiben.

Welche Branche muss noch ­angepackt werden?
Im Bereich der Langzeitpflege stehen grosse Herausforderungen an. Um hier Verbesserungen der Arbeitsbedingungen zu erreichen, sind Allianzen und die Zusammenarbeit mit weiteren Gewerkschaften entscheidend.

Riecht nach einer neuen Fusion!
Nein, ein solches Projekt steht nicht in unserer Agenda. Aber gemeinsam schaffen wir mehr! Das ist das Erfolgsrezept der Gewerkschaftsarbeit: Es entsteht eine wuchtige Kraft, wenn sich viele Menschen für ein Anliegen zusammentun.

Und noch ein Wort zum Unia-­Geburi, bitte.
Danke allen Büezerinnen und Büezern für euer Engagement! Für und mit euch wollen wir eine immer stärkere Stimme der arbeitenden Menschen in der Schweiz sein.

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