Fussball-Pionierin Franziska Steinemann (56) über Ablehnung, Kampfgeist und Bikini-Hösli
«Das hat mich abartig wütend gemacht und weckte den Kampfgeist»

Schon als junge Frau wehrte sich Franziska Steinemann mit Erfolg gegen Diskriminierung im Fussball. Dass jetzt die Frauen-EM in die Schweiz kommt, ist für sie mehr als ein Grund zur Freude.

FRANZISKA STEINEMANN IST STOLZ: Dass Frauenfussball jetzt in grossen Stadien stattfindet und im TV übertragen wird, ist eine Entwicklung, die sie unglaublich berührt. (Foto: Raja Läubli)

Es sei eine gute Erfahrung gewesen, sagt Franziska Steinemann: «So hinzustehen und zu merken, dass ich gehört werde – das war ziemlich cool.» work spricht mit ihr über den April 1994. Damals ist sie 25 Jahre alt und spielt leidenschaftlich Fussball, beim FC Wettswil-Bonstetten im Zürcher Säuliamt. Bis eines Tages der Vorstand des Clubs das Frauenteam per sofort auflöst. Mit der Begründung, der Verein werde «ausgenützt für das Aus­leben von ‹abnormalen Veranlagungen› (lesbisch)». Die Herren des Vorstands befürchteten eine «Gefährdung» von Junio­rinnen. Der «Blick» wittert einen «Sex­skandal» und druckt ein Foto des Teams auf der Frontseite.

Der Entscheid des männlichen Vorstands, gekoppelt mit einer Unterstellung an die lesbischen Teamkolleginnen: «Das hat mich abartig wütend gemacht», sagt Steinemann. Wenn sie etwas als ­ungerecht empfinde, wecke das in ihr «den totalen Kampfgeist». Das sei in der Schule so gewesen und sei heute, mit 56 Jahren, nicht anders. Das ganze Frauenteam habe sich gewehrt:

Wir sagten: Hey, mit uns nicht.

Die Frauen organisieren eine Pressekonferenz und verschaffen sich Gehör. Im «Zischtigsclub» von SRF wehren sich Steinemann und eine Teamkollegin gegen Männer, die lesbische Liebe als «unnatürlich» bezeichnen und die «aus ästhe­tischen Gründen» dagegen sind, dass Frauen Fussball spielen. Klartext spricht die junge Mutter auch in einem Interview mit dem «Aargauer Tagblatt». Die angebliche Sorge um die Juniorinnen sei «völlig lächerlich», die lesbischen Fuss­ballerinnen hätten ihre Gefühle sogar innerhalb des Teams verstecken müssen. Auf die Frage, wovor die Clubleitung denn Angst gehabt habe, antwortet sie:

Mir scheint, diese Männer können nicht verkraften, dass es Frauen gibt, die für sie nicht verfügbar sind.

Warum ist das so schwierig?

Schon als Mädchen habe sie jede freie Minute mit den Jungs Fussball gespielt, sagt Steinemann. «Je älter ich wurde, desto mehr hat mich die extreme Ungleichheit gestört: Warum ist es für eine Frau so schwierig, einen Verein zu finden?» Doch sie lässt nicht locker und setzt sich durch. Auch weil sie gut spielt. Beim FC Blue Stars in Zürich schafft sie es in die erste Mannschaft und spielt jetzt in der Nationalliga A.

Aber nicht lange. Denn auch ganz oben gibt es für die Spielerinnen keinen Lohn. Im Gegenteil: Die Ausrüstung und die Reise zu den Auswärtsspielen müssen sie aus der eigenen Tasche bezahlen. Steinmann lebt von ihrem KV-Job und sollte jetzt vier- bis fünfmal pro Woche trainieren. Als sie kurz darauf Mutter wird und bald allein die Verantwortung für ihre Tochter trägt, muss sie sich eingestehen: Das geht nicht zusammen. «Um Spitzenfussball zu spielen, hätte ich mein Kind vernachlässigen müssen. Das wollte ich nicht.» Fortan spielt sie in tieferen Ligen.

Frauen auf Sand verbannt

Diskriminierung und Sexismus seien im Sport weit verbreitet, sagt sie. So hätten die Frauenteams oft nur auf einem Sandplatz trainieren können. «Es hiess immer, der Zustand des Rasens sei zu schlecht. Aber die Männer durften natürlich dort trainieren. Auch die Junioren.» Bei Fussballerinnen spiele auch, weit mehr als bei Fussballern, das Aussehen eine wichtige Rolle. Etwa, als es darum ging, Beach-Soccer als Frauensport aufzubauen (siehe Text unten):

Die Männer sagten uns: Wenn ihr mehr Aufmerksamkeit wollt, müsst ihr halt auch so knappe Hösli tragen wie die Beach-Volleyballerinnen. Wir haben dankend abgelehnt.

Für Steinemann kommt noch dazu, dass sie bisexuell lebt. Manchmal kom­­me es ihr vor, sagt sie, als habe die Gesellschaft gleich doppelt keinen Platz für sie vorgesehen: als Frau, die Fussball spielt, und als Frau, die nicht hetero ist. «Da schlägt dir oft Ablehnung entgegen. Hast du die Kommentare über Ramona Bachmann gesehen?» Die Stürmerin, mit 60 Toren einer der Stars der Schweizer Nati, ist kürzlich Mutter eines Sohnes geworden. Sie ist mit einer Frau verheiratet, das Kind wurde mit künstlicher Befruchtung gezeugt. In den Kommentarspalten der Onlinemedien hagelte es Hasskommentare. «Wäre sie hetero, hät­­te sich niemand aufgeregt», sagt Steinemann.

Wir haben noch längst keine Gleichstellung. Im Fussball nicht, aber auch in der Gesellschaft nicht.

«Können sehr viel erreichen»

Und doch: Der Stellenwert des Frauenfussballs sei in den letzten vier, fünf ­Jahren enorm gewachsen. Im November habe sie das Testspiel der Nati im Zürcher Letzigrund mitverfolgt, zusammen mit 17 000 Zuschauerinnen und Zuschau­ern – ein neuer Rekord, «fantastisch!» Am 2. Juli ist Anpfiff zur Fussball-Europa­meisterschaft in der Schweiz, in Bern und Zürich sind die Gruppenspiele bereits ausverkauft. Dass der Frauenfussball jetzt in grossen Stadien stattfindet, mit Tausenden Fans, TV-Übertragung und so weiter – das, sagt Franziska Steine­mann, «berührt mich unglaublich». Die­­se Entwicklung, zu der sie auch beigetragen hat, die zeige vor allem etwas: «Wenn wir uns nicht entmutigen lassen, können wir Frauen sehr viel erreichen.»

Beach-Soccer: «Liebe auf den ersten Kick»

Als Franziska Steinemann ihre erste Partie Beach-Soccer spielt, ist sie schon fast 40 Jahre alt. «Es war Liebe auf den ersten Kick», sagt sie und lacht. Wegen Rückenpro­blemen hat sie vor ein paar Jahren den Fussball auf Rasen aufgeben müssen. Jetzt nimmt ihr die schnelle Variante auf Sand, fünf gegen fünf, sofort den ­Ärmel rein. Sie schwärmt: «Man spielt mit hohen Pässen und Fallrückziehern. Weil das Feld klein ist, gibt es viel mehr Torszenen – für mich attraktiver als Rasenfussball!»

Pionierin

Das Problem: Ende der Nullerjahre ist Beach­-Soccer ein reiner Männersport. ­Zusammen mit einem Nati-Spieler leistet Steinemann ­Pionierarbeit. Gründet eine Frauenmannschaft, baut die Nationalmannschaft auf, gibt Vollgas. Eine Zeitlang habe ­sie in der Clubmannschaft gespielt, diese trainiert, gleich­zeitig die erste Herrenmannschaft des Clubs trainiert und dazu in der Nationalmannschaft gespielt, zählt sie auf und lacht. Die Nati-Spiele seien jeweils der Lohn für all den Einsatz gewesen: «Wenn die Hymne lief, hatte ich immer Tränen in den Augen. Im Beach-Soccer konnte ich doch noch machen, was mir damals auf dem Rasen nicht möglich war.»


Euro 2025 Anpfiff für mehr Lohn-gleichheit

Die Nati-Fussballerinnen ­erhalten an der Euro 2025 gleich hohe ­Erfolgsprämien wie die ­Männer. Im Schweizer Clubfussball herrscht bei den Löhnen jedoch weiterhin massive Ungleichheit.

NATI-CAPTAIN LIA WÄLTI: Sie würde mit einem Büro-Job mehr verdienen. (Foto: Keystone)

Bei den Prämien für die Frauen- und Männer-Nationalteams hat der Schweizerische Fussballverband (SFV) seit 2024 für Geschlechtergerechtigkeit ­gesorgt: Frauen und Männer erhalten gleich hohe Bonuszahlungen bei der Qualifikation für eine EM- oder WM-Endrunde und bei Erfolgen an den Turnieren (work berichtete).

Super League als Nebenjob

Ganz anders ist die Situation in der ­Super League. Dort herrscht trotz stark wachsender Popularität des Frauenfuss­balls weiterhin grosse Ungleichheit. Der Durchschnittsbruttolohn eines Fussballers in der Super League liegt nach Berechnungen des «Sonntagsblicks» bei 13 900 Franken pro Monat. Bei den Frauen ist das Kicken in der Super League dagegen meistens ein Nebenjob. Nur etwa zwanzig Spielerinnen können in der Schweiz vom Fussball leben. Die meisten Schweizer Nati-Spielerinnen sind deshalb bei ausländischen Clubs unter Vertrag. Dort verdienen sie besser als in der Schweiz, aber immer noch deutlich weniger als ihre männlichen Kollegen in der Super League.

Auf dem Platz ein Star …

Nati-Captain Lia Wälti (32) ist seit 2019 beim englischen Club Arsenal Women FC angestellt und gehört damit zu den meistverdienenden Schweizer Spielerinnen. Gegenüber dem Nachrichtenportal Watson sagte die Profispielerin, dass sie mit einem gut bezahlten KV-Job in der Schweiz mehr Geld verdienen wür­­de als mit dem Fussball in der ersten englischen Liga.

… beim Lohn ein Spatz

Naomi Luyet (19) hat dieses Jahr mit YB den Meistertitel geholt und ist zur besten Spielerin der Super League gewählt worden. Über ihren Lohn als Star-Stürmerin für YB sagte sie: «YB bezahlt uns die Unterkunft, und so reicht es, um davon zu leben.» Luyet arbeitet zudem in einem 25-Prozent-Pensum als Büro­­angestellte bei ihrem Club. Auf die nächste Saison wechselt sie in die deutsche Bundeliga zu TSG Hoffenheim, um sich dort voll auf ihre Fussballkarriere fokussieren zu können.

Doch nicht nur bei den Löhnen gibt es noch Nachholbedarf im Schweizer Fussball. Auch bei der Verfügbarkeit von Fussballplätzen und Kabinen bestehen bei vielen Vereinen noch gros­­se Ungleichheiten und Benachteiligungen der Frauenteams. (Iwan Schauwecker)

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