Die körperlichen und psychischen Belastungen bei der Arbeit sind hoch. Die Folge davon sind Unfälle und Krankheit. Dabei wird gerade bei der Gesundheit der Frauen zu wenig genau hingeschaut. Eine alarmierende Situation.

FRAUEN LEIDEN ANDERS: Medizinische Studien werden aber häufig nur mit Männern durchgeführt. (Montage: work)

Erkrankungen des Gehörs, der Atmungssysteme oder des Bewegungsapparats sind anerkannte Berufskrankheiten. Doch ein genauer Blick in die Statistik zeigt: Von Berufskrankheiten betroffen sind 90 Prozent Männer und nur 10 Prozent Frauen. Das zeigt die Statistik des Bundes aus dem Jahr 2022. Ein ähnliches Bild zeichnet sich bei den Unfällen ab: Über 190‘000 Männer erlitten 2022 einen Unfall, bei den Frauen sind es 78‘000 Unfälle. Gesünder sind die Frauen aber nicht. Denn sie fehlten im selben Jahr durchschnittlich 10.2 Tage am Arbeitsplatz, Männer hingegen 8.9 Tage. 

Die Liste der anerkannten Berufskrankheiten von der Suva ist lang. Aber wie aktuell ist sie? Diese Frage stellte 2023 Nationalrätin Barbara Gysi (SP) zurecht dem Bundesrat. Denn die Liste der Krankheiten wurde seit 2018 nicht aktualisiert. Gerade beim Thema Brustkrebs ist die Situation alarmierend. Es ist erwiesen, dass Nachtarbeit bei Frauen brustkrebsfördernd sein kann. Der Interpellation von Gysi folgte eine Antwort des Bundesrats, der eine Aktualisierung der Liste der Berufskrankheiten nicht als nötig erachtet.

Wie lässt sich dieser Unterschied erklären? Christine Michel, Fachsekretärin für Gesundheitsschutz der Gewerkschaft Unia, sagt:

Frauen erleiden weniger klassische Berufsunfälle wie Abstürze. Sie sind stärker von Krankheiten wie Rückenschmerzen betroffen, diese fallen jedoch selten unter die Unfallversicherung. Häufig bleibt zudem unsichtbar, welche konkreten Unterschiede zwischen Frauen und Männern bei der Arbeit vorhanden sind.

Was Michel anspricht, hat die Wissenschaft bestätigt. Es handelt sich um den sogenannten Gender Health Gap, also die Geschlechter-Gesundheits-Lücke. Diese erklärt, dass medizinische Studien häufig nur mit Männern durchgeführt werden, wodurch die Differenzen zwischen den Geschlechtern unsichtbar bleiben. Frauen werden somit gesundheitlich weniger gut versorgt und sind versicherungsmässig schlechter abgedeckt.

Zugeschnitten auf den Mann

Die Folgen davon sind auch bei der Arbeit spürbar. Michel sagt: «Gerade bei der Arbeitssicherheit und dem Gesundheitsschutz werden die Unterschiede zwischen Frau und Mann kaum beachtet.» Dabei nennt sie ganz konkrete Beispiele: Das Werkzeug auf der Baustelle, der Putzwagen in der Reinigung oder die Küchen in Gastronomiebetrieben – alles ist auf den durchschnittlichen, weissen Mann zugeschnitten. Dabei muss klar sein: Frauen sind nicht einfach nur die kleineren Männer.

KRITISIERT DAS SYSTEM: Unia-Frau Christine Michel. (Foto: Thierry Porchet)

Die Unia-Gesundheitsexpertin klärt an einem Beispiel auf, wie bei Frauen biologische Gegebenheiten und schlechte Arbeitsbedingungen sich verstärken können:

Nehmen wir das Beispiel vom Bau: Aufgrund ihres Zyklus reagieren Frauen stärker auf Hitze. Weil aber auf Baustellen die Toiletten für Frauen fehlen, trinken sie weniger, damit sie weniger auf Toilette müssen. Dies verstärkt ihre Gesundheitsrisiken: Die Gefahr der Dehydrierung und von Hitzeerkrankungen steigt.

Klar sei laut Michel, dass in Branchen wie dem Bau, dem Verkauf, der Pflege, dem Gastgewerbe, der Reinigung und vielen mehr die Arbeitslast hoch ist. Hektische Situationen, monoton und schwere Bewegungen sowie der Zeitdruck und der Stress sind schädlich für die Gesundheit aller Arbeiterinnen und Arbeiter. 

Die Gefahr von Stress

Gerade beim Thema Stress sieht Michel enorme Risiken. Stress nimmt immer weiter zu und gerade bei Frauen ist der Anstieg stärker. Jede vierte erwerbstätige Frau erlebt Stress am Arbeitsplatz. Michel erklärt: «Generell nimmt der Stress wegen dem Tempo und der Arbeitsdichte stark zu. Dazu kommt auch oftmals eine Überbelastung durch Personalmangel. Davon sind auch Männer betroffen.» Doch gibt es viele Stresstreiber, die besonders bei Frauen häufiger dazukommen. «Berufe mit Kunden- oder Patientenkontakt können sehr stressig sein und werden oft von Frauen ausgeführt. Ein Stressfaktor kann auch sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz sein», sagt die Unia-Frau.
 
Und dazu kommt die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, welche oft auf die Frau zurückfällt. «So kumuliert sich der Stress immer weiter. Und wer über längere Zeit an Stress und Erschöpfung leidet, ist Burnout-gefährdet», so Michel. 

Die Kämpfe der Gewerkschaften

Geht es um die Gesundheit der Frauen am Arbeitsplatz, konnten die Gewerkschaften bereits einiges erreichen. Darunter die Stillpause. Michel:

Die Stillpause war ein grosser Erfolg, wird aber von vielen Betrieben noch zu wenig umgesetzt und sollte mehr genutzt werden.

Konkret ist im Schweizer Arbeitsrecht geregelt, dass stillende Mütter während der Arbeitszeit Stillpausen einsetzen dürfen. Auch der Mutterschaftsurlaub ist ein gewerkschaftlicher Erfolg. Dieser feiert dieses Jahr sein 20-jähriges Bestehen.
 
Einen neuen gewerkschaftlichen Kampf lancierte kürzlich der Europäische Gewerkschaftsbund EGB. Der Fokus: Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz. Dabei legen sie ein besonderes Augenmerk auf Gewalt, welche von Dritten auskommt. Beispielsweise von der Kundschaft oder von Patienten.

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