Unfalltod von Unia-Baubüezer Djavid Veliu (1969 – 2025)
«Als sie Papa fanden, hielt er noch den Hammer in der Hand!»

Noch fünf Jahre wollte Djavid Veliu als Bauarbeiter durchhalten – trotz immer mehr Druck, Gebrechen und Samstagsarbeit. Jetzt hat ihn ein Kranunfall frühzeitig aus dem Leben gerissen. Was dann passiert, schockiert seine Angehörigen gleich doppelt.

BÜEZER, VATER UND EHEMANN: Die Gedenkstätte für den verstorbenen Djavid Veliu wurde spurlos entfernt. (Foto: zvg)

Weisse Kerzen, Blumen, ein gerahmtes Erinnerungsfoto und ein Kärtchen mit der Überschrift «In stiller Trauer» – all das hatten Angehörige von Djavid Veliu (†55) am Absperrgitter der Grossbaustelle San Siro in Ostermundigen BE niedergelegt. Dort sollen schon im nächsten Frühjahr 136 neue Wohnungen bezugsbereit sein. Doch noch befinden sich die sechs Wohnblocks erst im Rohbau. Gefragt ist also Tempo – und nicht Innehalten für einen verstorbenen Kollegen. Jedenfalls wurde die Gedenkstätte für Djavid Veliu vor wenigen Tagen spurlos entfernt. Von wem, wissen seine Hinterbliebenen nicht. Doch es scheint ganz, als ob nichts daran erinnern sollte, was hier am 26. März geschehen ist.

Umso grösser ist das Bedürfnis der Angehörigen, sich öffentlich zu äussern. Zumal sie von den bisherigen Medienberichten enttäuscht sind. «Ein Mann verletzte sich bei einem Sturz schwer. Er verstarb im Spital», rapportierte etwa «20 Minuten». Arbresha Veliu (31) kommen die Tränen, wenn sie diesen Satz erneut liest. Die Tochter des Verstorbenen sagt:

So müssen die Leute doch denken, mein Vater sei selbst verschuldet gestürzt!

«So müssen die Leute doch denken, mein Vater sei selbst verschuldet gestürzt!» Zwar kenne auch sie den genauen Unfallhergang noch nicht. Die Staatsanwaltschaft ermittle noch. Doch auf der Baustelle kursiere jedenfalls eine ganz andere Version als in den Medien.

Kran touchiert Kran

Nämlich folgende: Kurz vor 8.15 Uhr touchiert ein Kran mit seiner Ladung einen zweiten Kran. Dessen Ladung wiederum schwenkt in der Folge Richtung Djavid Veliu. Dieser sieht die Gefahr nicht kommen, sondern wird rücklings getroffen und von der 3,5 Meter hohen Brüstung geschleudert. Tochter Arbresha sagt: «Als sie Papa auf dem Betonboden gefunden haben, hielt er noch seinen Hammer in der Hand.» Das passe zur Einschätzung der behandelnden Ärztin. «Sie sagte uns, dass Djavid schon beim Schlag durch die Kranladung das Bewusstsein verloren haben müsse.» 

Die Diagnose: schweres Schädel-Hirn-Trauma und diverse Brüche am ganzen Körper. Djavid Veliu wird im Inselspital in ein künstliches Koma versetzt, doch die Verletzungen sind zu schwer, elf Tage später stirbt er. Er hinterlässt eine Frau, drei Kinder und vier Grosskinder. Für Arbresha bricht eine Welt zusammen. Auf den Schock folgt tiefe Trauer. Aber auch Wut. Denn die Firma ihres Vaters meldet sich erst, als dieser bereits tot ist. Genesungswünsche oder Unterstützungsangebote während der Spitalzeit hielt der Arbeitgeber offenbar für unwichtig.

GROSSBAUSTELLE SAN SIRO: Hier kam es zum tragischen Unfall, der Büezer Djavid Veliu das Leben kostete. (Foto: Screenshot)

Dann schleichen sich bei Arbresha auch noch Schuldgefühle ein. Sie erklärt: «Mein Vater war sich für nichts zu schade und hat immer alles gegeben. Nur damit wir Kinder es einmal besser haben als er. Jetzt hat er dafür sogar sein Leben gelassen.»

Schon als Kind gearbeitet

Auch Kendim Mehmeti (36), der Mann von Arbresha Veliu, ist gezeichnet vom Todesfall. Er half der Familie mit der Organisation der Trauerfeier und setzte sich mit der Unia in Verbindung, um sich über die Rechte und Pflichten bei Arbeitsunfällen zu informieren. 

Kollarë ist ein kleines Dorf in Nordmazedonien. Als aber Djavid Veliu dort beigesetzt wird, kommt es zum Grossauflauf, drei Tage lang. Auch Persönlichkeiten aus Politik und Kultur erweisen ihm die letzte Ehre. Mehmeti erklärt: «Djavid war sehr respektiert, auch weil er sich für die Rechte der albanischen Minderheit in Mazedonien engagiert hat.» Dabei sei neben der Arbeit eigentlich kaum Zeit für Politik geblieben. Tochter Arbresha sagt:

Um die Familie zu unterstützen, musste Papa schon als Kind arbeiten gehen.

Später wird er Elektroingenieur. Doch dann zerfällt Jugoslawien. Noch bevor der Krieg ausbricht, geht Veliu nach Italien und arbeitet als Maurer und gründet bald sogar sein eigenes Baugeschäft. Parallel dazu wird er Vater; doch die drei Kinder und seine Frau müssen in Mazedonien bleiben. «Am Anfang sahen wir uns nur in den Ferien», erzählt Arbresha. 1998 ist endlich Schluss damit.

«Er sagte nie Nein»

Djavid Veliu, mittlerweile Italiener, holt die ganze Familie zu sich nach Rom. Doch auf dem Stiefel kriselt’s, Korruption und Schwarzarbeit grassieren. Veliu zieht weiter in die Schweiz. Zunächst hat er kein Glück hier. Ein Berner Meister betrügt ihn und macht sich dann durch Konkurs aus dem Staub. Auch seine Familie muss Veliu abermals zurücklassen. Erst 2015 gelingt erneut die Vereinigung. Endlich läuft’s auch beruflich. Veliu tritt der Unia bei, kommt in einem familiären Baugeschäft unter und brennt für die Firma, als wäre es seine eigene. Tochter Arbresha sagt: «Er sagte nie Nein, sondern arbeitete oft auch samstags.» Mehmeti ergänzt: «Als sie den Zuschlag für das Grossprojekt in Ostermundigen erhielten, freute er sich extrem.» Zugleich scheint Veliu eine böse Vorahnung zu haben.

Arzt hat gewarnt

Fünf Jahre vor der geplanten Frühpensionierung tut er nämlich, was er noch kaum je getan hat: Er geht zum Arzt. Für diesen sei der Fall klar gewesen, erzählt Arbresha: «Er sagte meinem Vater, sein Körper brauche dringend eine Pause.» Der Arzt habe ihn sogar drei Monate krankschreiben wollen. Doch das kommt für Veliu nicht in Frage. Er chrampft weiter. Doch kurz darauf reisst ihn ein Albtraum aus dem Schlaf. Tochter Abresha sagt: «Er träumte, dass er geschlagen wird.» Zwei Tage später wird er von der Kranladung erfasst.

Hochrisikozone Bau: Fast zwei Tote pro Monat

Schweizer Baustellen sind nach wie vor Hochrisikozonen. Laut dem Baumeisterverband verunfallt jeder vierte Arbeiter im Lauf eines Jahres. Die Suva zählt über 50’000 Baustellenunfälle pro Jahr. Rund 20 davon enden tödlich. Heisst: Alle zweieinhalb Wochen stirbt ein Büezer oder eine Büezerin auf einer Schweizer Baustelle. Und noch ein Fakt: Die Bauleute tragen das zweithöchste Berufsunfallrisiko aller Branchen. Noch höher ist das Risiko nur im Profisport. 

Steigender Druck

Das zeigt die Unfallstatistik der Suva. Besonders alarmierend: Die Wahrscheinlichkeit, einen schweren Unfall zu erleiden (mindestens drei Monate Arbeitsunfähigkeit), ist in den letzten zehn Jahren massiv gestiegen – und zwar im Hochbau, im Tiefbau wie auch im Ausbaugewerbe. Für Chris Kelley, Co-Leiter Bau der Unia, steht diese Entwicklung in direktem Zusammenhang mit dem steigenden Druck und den langen Arbeitstagen. Kelley fordert daher für den neuen LMV:

Es braucht endlich kürzere Arbeitstage, und die Belastung auf den Baustellen muss reduziert werden. Das ist nicht nur wichtig für das Familienleben der Bauleute, sondern auch für ihre Arbeitssicherheit.

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