Betreuung im Privathaushalt
Rund um die Uhr verfügbar – das geht jetzt nicht mehr

Freie Tage waren ein seltener Luxus. Als Live-in-Betreuerin war Ionela Roșu fast pausenlos im Einsatz. Neue Regeln im Personalverleih machen jetzt klar: Eine Person kann keine 24-Stunden-Betreuung leisten.

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HAT SCHLECHTE ERFAHRUNGEN ALS LIVE-IN-BETREUERIN GEMACHT: Ionela-Cătălina Roșu. (Montage: work)

Nur in einem einzigen Haushalt sei sie mit Respekt behandelt worden, sagt Ionela-Cătălina Roșu. Das Unia-Mitglied aus Rumänien arbeitete als sogenannte 24-Stunden-Betreuerin für Private. Sie kochte, putzte, ging einkaufen, machte die Wäsche. Sie wohnte im gleichen Haushalt wie die meist älteren und oft pflegebedürftigen Menschen und half ihnen beim Anziehen, beim Essen und Trinken, beim Waschen, fuhr sie zu Arztterminen und so weiter.

Sieben Jahre lang machte sie den Job, in total vielleicht 15 Haushalten. Positiv in Erinnerung hat sie nur gerade einen davon: In Rothrist AG betreute sie eine Frau mit Parkinson. «Schon beim ersten Treffen», so Roșu, «sagte mir ihr Mann: ‹Hier bist du keine Sklavin, sondern die Chefin. Denn nur du weisst, wie alles geht.› Ich war total baff!» In den acht Monaten, in denen sie die Frau betreute, sei sie sich vorgekommen wie ein Teil der Familie. «Das war unglaublich schön. Aber sonst …»

Sonst hiess es arbeiten vom frühen Morgen bis spät am Abend, sieben Tage pro Woche. Geregelte Arbeitszeiten hatte sie nicht. Sie sagt:

Es wurde erwartet, dass ich jederzeit verfügbar war.

Eine Frau, die sie betreute, sei regelmässig schon um 4 oder 5 Uhr morgens aufgewacht. «Dann schrie sie nach mir. Ich musste aufstehen und ihr helfen.» Feierabend war erst, wenn die betreute Person schlief – das war selten vor 21 Uhr. Und all dies zu einem absolut miesen Lohn. Bei ihrer ersten Stelle im Jahr 2015 lag der Lohn bei gerade mal 1100 Franken im Monat. 

Erfolg vor Bundesgericht

2021 entschied das Bundesgericht: So etwas geht nicht. Es gab der Gewerkschaft VPOD recht und urteilte:

Sofern eine Betreuerin über Personalverleih in einem privaten Haushalt arbeitet, gilt für sie das Arbeitsgesetz.

Bereits früher hatte das Bundesgericht festgehalten, dass in solchen Fällen auch der Gesamtarbeitsvertrag (GAV) Personalverleih eingehalten werden muss. Damit haben Betreuerinnen und Betreuer Anrecht auf eine 42-Stunden-Woche, auf 50 Prozent Lohnzuschlag am Sonntag und vieles mehr.

Trotz dem Urteil blieb vieles unklar. Denn arbeitsrechtlich sind die Betreuerinnen ein Spezialfall: Wohn- und Arbeitsort sind identisch. Wenn alles gut ist, können sie sich im Zimmer ausruhen – aber bei Bedarf müssen sie rasch zur Stelle sein. Wie lange ein solcher Bereitschaftsdienst dauern darf und wie er entlöhnt werden muss – darauf hatten vorerst weder das Arbeitsgesetz noch der GAV eine passende Antwort.

Freizeit ist Freizeit!

Jetzt sorgen die Sozialpartner im Personalverleih, darunter die Unia, für Klarheit. Sie haben zum GAV einen Anhang für «Live-in-Betreuende» ausgehandelt, für Arbeitnehmende also, die im Haushalt der betreuten Person wohnen. Und der bringt wichtige Verbesserungen.

So müssen die Arbeitszeiten, der Bereitschaftsdienst und die Freizeit im voraus geplant werden. Nur während des Bereitschaftsdienstes steht die Betreuerin bei Bedarf zur Verfügung, in der Freizeit nicht. Selbstverständlich ist der Personalverleiher, wie andere Arbeitgeber auch, dafür verantwortlich, dass die Betreuerin die tatsächlich geleistete Arbeitszeit erfasst.

Vorgeschrieben ist zudem tagsüber eine zusammenhängende Pause von 60 Minuten. Auch Ionela-Cătălina Roșu hätte sich eine klare Regelung gewünscht. Viele Familien hätten verlangt, dass sie die Pause in ihrem Zimmer verbringe. Sie sagt:

Aber dann hätten sie mich rufen können, das ist keine Erholung. Ich wollte raus, an die frische Luft! Das war immer ein Kampf.

Die Regelung im Arbeitsgesetz ist klar: In den Pausen dürfen Mitarbeitende den Arbeitsplatz verlassen.

24 Stunden: Geht nicht mit einer Person

Parallel zu den GAV-Verhandlungen haben die Sozialpartner, unter Leitung des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco), auch neue Gesetzesbestimmungen ausgehandelt, die nur für Live-ins gelten. Beim Bereitschaftsdienst darf die Branche jetzt von den Regeln des Arbeitsgesetzes abweichen – aber mit klaren Leitplanken: Er darf innerhalb von 4 Wochen an höchstens 20 Tagen eingeplant werden. Pro Tag darf er höchstens 5 Stunden dauern. 

Diese Bestimmungen in der Verordnung zum Arbeitsgesetz hat der Bundesrat auf den 1. Dezember in Kraft gesetzt. In einer Mitteilung dazu schreibt er: «Sie stellen klar, dass eine Einzelperson keine 24-Stunden-Betreuung leisten kann.» 

Auch während Bereitschaft gibt’s Lohn

Der neue Anhang zum GAV Personalverleih tritt erst in Kraft, wenn ihn das Seco für allgemeinverbindlich erklärt. Dann werden auch die neuen Löhne gelten. Live-ins mit einem Lehrabschluss oder einem gleichwertigen ausländischen Abschluss erhalten mindestens 25 Franken pro Stunde, alle anderen 22 Franken 50. Vergütet wird auch der Bereitschaftsdienst, und zwar mit 30 Prozent des Stundenlohnes. Wird die Betreuerin während der Bereitschaft zur Arbeit gerufen, zählt dies als Arbeitszeit und muss voll entlöhnt werden.

Mieser Lohn, miese Lügen

Ionela-Cătălina Roșu arbeitet heute in einem Pflegeheim in der Ostschweiz. Als Live-in-Betreuerin sei ihr Lohn nie höher gewesen als netto 2800 Franken im Monat, sagt sie. Zudem sei sie von den Arbeitgebern oft hintergangen und angelogen worden. Eine Firma habe etwa zugesagt, die Prämien für die Krankenkasse zu übernehmen: «Das stand auch so im Vertrag. Aber plötzlich habe ich von der Kasse eine Rechnung bekommen: über 2000 Franken! Die hatten die Prämien gar nie bezahlt.»

Info-Plattform für Care-Migrantinnen und Privathaushalte mit Unterstützungsbedarf: careinfo.ch

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