Wütende Bauarbeiter legen Zürich lahm

Nach Genf, Bern, Basel und Co. jetzt auch in Zürich: Tausende Baubüezer tauschen ihren Schaufeln durch Protestfahnen – sie wollen endlich einen besseren Landesmantelvertrag!

PER STIMMKARTE BEKRÄFTIGT: Wenn bis Ende Jahr kein neuer LMV zustande kommt dann wollen die Baubüezer weiterkämpfen – und zwar mit einem nationalen Branchenstreik. (Foto: Manu Friederich)

Zürich, Boom-Stadt: Abriss, Neubau, als gäbe es kein Morgen. Grösser, höher und vor allem schneller soll’s gehen auf den rund 300 Baustellen der Stadt. Doch heute Freitag war alles anders. Statt Baulärm hörte man zur Abwechslung die Vögel zwitschern. Der Grund: Die Gewerkschaften Unia und Syna hatten zum Protesttag gerufen. Es war der sechste und Teil einer nationalen Bewegung für einen besseren Landesmantelvertrag fürs Bauhauptgewerbe (LMV). Und entweder haben die Gewerkschafts-Teams einen sehr guten Job gemacht oder die sie rannten offene Türen ein. Oder beides.

Jedenfalls drehte in der Limmatstadt heute kein einziger Kran.

Jedenfalls drehte in der Limmatstadt heute kein einziger Kran. Das zeigt eine ausgedehnte Rundfahrt durch die Quartiere. Die stadtweit praktisch ausnahmslose Arbeitsniederlegung hat sich aber schon in den letzten Tagen abgezeichnet. Ein junger Maurer aus Schwamendingen sagt zu work: «Bei uns in der Bude hiess es immer, am 14en wird gearbeitet. Doch gestern machten die Chefs dann ein 180-Grad-Wende.» Die Firma habe die strikte Weisung erlassen, ihre Baustellen auf dem Stadtgebiet gar nicht erst zu öffnen.

Von vernünftigen Bauherren…

Aber längst nicht alle Baumeister handelten so vernünftig. Einige zitierten ihre Arbeiter auf die Baustelle, obwohl der Protesttag von den Belegschaften längst beschlossen und angekündigt worden war. So geschehen etwa am Hönggerberg, wo die ETH ein riesiges neues Physiklabor baut. Dort brauchte es die Überzeugungsarbeit von einem guten Dutzend Unia-Leute. Nicht wegen der aufgebotenen Maurer – sie wussten genau, worum es ging –, sondern wegen der Bauleitung, die heute extra etwas früher kam. Und wegen der Bauherren, die ebenfalls vorbeischauten. Doch auch diese beiden Parteien äusserten letztlich viel Verständnis für die Anliegen der Arbeiter. Und beschlossen dann ebenfalls, die Baustelle für einen Tag komplett geschlossen zu halten. In den meisten Fällen hatten die Chefs ohnehin nicht mehr viel zu sagen. Dazu Sheqir Berisha, Bau-Chef der Unia Zürich-Schaffhausen: «Etwa 120 Zürcher Bau-Equipen haben uns schon im Vorhinein zugesichert, dass sie heute auf keinen Fall arbeiten werden.» Die Arbeitsniederlegung erstreckte sich zuletzt bis an den Flughafen Kloten, die Zürcher Vororte sowie an die Gold- und Pfnüselküste. Aber auch in der Ostschweiz, in Graubünden und in der Zentralschweiz legten Hunderte Bauleute einen Protesttag ein. In mehreren Cars fuhren sie im Verlauf des Morgens am Kanzleiareal im Kreis 4 vor. Dieses war da schon längst in Baubüezerhand.

.. und Tricksern und Hetzern

Im proppenvollen Kanzlei-Club und im ebenso vollen Festzelt nebenan hingen dicke Rauchschwaden. Kaffee und Gipfel begleiteten die regen Diskussionen der Büezerinnen und Büezer. Ein häufiges Thema: Die Tricks der «Schlaumeier» unter den Bauchefs. Ein Arbeiter aus Rapperswil SG erzählt: «In meiner Firma haben die Chefs den Gewerkschaftern gesagt, dass wir heute nicht arbeiten müssen. In Tat und Wahrheit haben sie uns einfach erst auf nach dem Znüni bestellt.» Doch bei solchen Buebetrickli blieb es nicht. Ein Maurer aus Uster ZH sagt:

In meiner Bude hat der Chef unverhohlen gedroht: Wer demonstriert, fliegt raus!

Er habe daher einfach freigenommen, müsse jetzt aber darauf achten, dass er auf den Bildern nicht erkannt werde. Ein weiteres Diskussionsthema: Die mediale Schlammschlacht im Zuge des Basler Bauarbeiterprotests vom 7. November. Was konnte man da nicht alles lesen: Von einer «ausgearteten Demo» war die Rede, von «Krawalltouristen» aus dem «Schwarzen Block», von «mit Baseballschläger bewaffneten» Unia-Leuten, von einer «neuen Dimension der Radikalisierung» der Baubüezer. Und, und, und. Ein älterer Schaler aus Italien schüttelt auf dem Kanzleiareal nur den Kopf. Er habe die Zeitungen sehr wohl gelesen, sagt er. «Völliger Nonsens» sei das. Denn erstens sei es früher sehr viel ruppiger zu und hergegangen. Und zweitens?

Machen sie aus einer Mücke einen Elefanten!

«Machen sie aus einer Mücke einen Elefanten!» Tatsächlich hatte es in Basel ein Gerangel und einige Sachbeschädigungen gegeben – notabene auf einer Baustelle, auf der ein aggressiver Polier zuvor seine gesamte Mannschaft in einen Pausencontainer eingesperrt hatte! Die Unia hat beides klar verurteilt.

Geduld zu Ende

In Zürich war die Stimmung jedenfalls den ganzen Tag über heiter – aber durchaus auch geladen. Das zeigte sich ganz besonders an der Weinbergstrasse im Universitätsviertel. Dort hat der Schweizerische Baumeisterverband seinen Hauptsitz – und dorthin zog die 2500köpfige Bau-Demo. Unia-Bau-Chef Nico Lutz sprach zur Menge:

Die Baumeisterspitze verweigert auch nach sechs Verhandlungsrunden die dringend nötigen Verbesserungen.

Pfiffe, Buh-Rufe, Lärm! «Im Gegenteil wollen sie euch noch länger arbeiten lassen – und das für weniger Geld.» Noch mehr Lärm! «Und die älteren unter euch wollen sie einfacher entlassen können.» Jetzt bricht Höllenlärm aus! Die herumstehenden Polizeikräfte ziehen düstere Mienen. Doch die Baubüezer haben genug gesehen. Für heute zumindest. Denn sie haben per Stimmkarte auch bekräftigt: Wenn bis Ende Jahr kein neuer LMV zustande kommt, und also zum ersten mal seit einem Jahrzehnt ein vertragloser Zustand herrscht, dann wollen sie weiterkämpfen – und zwar mit einem nationalen Branchenstreik. Ob es soweit kommt, wird sich bald weisen. Am Montag gehen die Verhandlungen weiter.

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