Pflege macht Pflegende krank – das muss sich ändern!
«Wenn jemand ausfiel, machte der Chef Druck und motzte»

Menschen in Gesundheitsberufen werden besonders oft psychisch krank. Pflegehelferin Salomé Luisier (58) erlitt ein Burnout. Für sie ist klar: Ursache sind die schlechten Arbeitsbedingungen der Branche. 

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PFLEGEHELFERIN SALOMÉ LUISIER BAT UM ETWAS PRIVATLEBEN, DOCH: «Sie sagten mir, das sei nicht möglich, wir arbeiteten halt für Menschen. Und ich als Pflegende? Bin ich kein Mensch, oder was?» (Foto: Florian Bachmann)

Corona war der Schupf, den Salomé Luisier brauchte. Zwar konnte sie von ihrem Job als selbständige Coiffeuse gut leben – aber nach über 30 Jahren habe sie die Leidenschaft etwas verloren, sagt sie work. Deshalb folgte sie in der Pandemie dem Hilferuf nach mehr Pflegenden, machte den Kurs zur Pflegehelferin und nahm voller Elan eine Stelle in einem Altersheim an. 

Der Entscheid habe sich richtig angefühlt, sagt sie: «Die Pflege ist meine Berufung!» Doch die Bedingungen, unter denen Pflegende heute arbeiten, machten Salomé Luisier krank. Im vergangenen Oktober erlitt sie ein Burnout und ist seither krankgeschrieben. Sie sagt:

Ich bin voll eingestiegen und voll gegen die Wand geknallt.

So wie viele in den Care-Berufen. In keiner anderen Branche müssen sich so viele Mitarbeitende wegen psychischer Probleme behandeln lassen.

Nur Zeit für Medis, Essen, Waschen

Salomé Luisier ist bereit, ihre Geschichte öffentlich zu machen. Um andere aufzurütteln, damit sich möglichst viele für bessere Arbeitsbedingungen in den Gesundheitsberufen einsetzen, etwa an der grossen Demo vom 22. November (siehe Box unten). Sie sagt:

Im Altersheim habe ich rasch gemerkt: Was den Leuten am meisten helfen würde, wäre ein Gespräch.

Aber die Zeit habe nur gereicht für Medikamente, Ernährung und ein Minimum an Körperpflege. Zu zweit mussten sie 15 Bewohnerinnen und Bewohner pflegen. «Ehrlich gesagt, wir wurden niemandem auch nur ansatzweise gerecht.»

Zum Frust kam mangelnde Erholung. Wegen Personalmangels sei sie nicht selten nach einem Spätdienst gleich am nächsten Morgen zum Frühdienst eingeteilt gewesen. Auch die freien Tage waren nie sicher: «Wenn jemand ausfiel, machte der Chef Druck und motzte, bis jemand nachgab und einsprang.»

Die Dauerbelastung hat Folgen. Im August 2023 erlitt Luisier einen ersten Zusammenbruch. «Ich habe nur noch geheult», sagt sie. Ihr Hausarzt schrieb sie krank, wegen Erschöpfung. Von Burnout war noch nicht die Rede.

Spitex: Oft gratis gearbeitet

Sie wechselte zu einer privaten Spitex. Weil sie dort immer nur eine Person aufs Mal pflegen muss. Sie hoffte, so arbeiten zu können, wie sie es gelernt hat. Doch es zeigte sich: Wie lange sie sich jemandem widmen kann, das ist auf die Minute genau festgelegt. Und oft zu knapp. Besonders perfid: Lohn gab es nur für diese standardisierte Zeit. «Wenn ich etwas länger brauchte, und das war oft so, arbeitete ich gratis.» Dazu kam: Bei der Spitex gab es nur geteilte Dienste. Arbeitsbeginn war frühmorgens, Feierabend erst abends um acht. Dazwischen eine Pause von mehreren Stunden. Die war nicht bezahlt, die Wegzeiten auch nicht. Und immer gab’s erst am Freitag den Arbeitsplan für die nächste Woche. 

Privatleben? Wann denn?

Für Luisier waren diese Bedingungen unhaltbar als alleinerziehende Mutter einer Tochter im Teenageralter. «Jeder Tag war bis acht Uhr blockiert, dazu jedes zweite Wochenende. Ich hatte kein Privatleben mehr.» Luisier fragte den privaten Betrieb, ob man die Planung so anpassen könne, dass sie nach 15 Uhr keine Einsätze mehr habe. Um Zeit für ihre Tochter und für sich zu haben. Fast zwei Monate lang sei keine Antwort gekommen. Dann eine Absage: «Sie sagten mir, das sei nicht möglich, wir arbeiteten halt für Menschen. Und ich als Pflegende? Bin ich kein Mensch, oder was?»

Das Aha-Erlebnis

Im vergangenen Oktober kam der nächste Zusammenbruch. Diesmal mit der Diagnose Burnout. Sieben Wochen verbrachte sie im Burnout-Zentrum Hasliberg BE. Der Betrieb habe sie beeindruckt. Es seien immer genug Pflegende eingeteilt gewesen, um zu den Patientinnen und Patienten zu schauen. Luisier sagt:

So haben sie auch Zeit für Menschlichkeit. Geteilte Dienste oder ähnlichen Gugus gibt es dort nicht. Das hat mir gezeigt: Es geht! Gute Pflege ist möglich.

Diese Zuversicht schätze sie auch an der Unia, sagt sie. Da treffe sie auf Leute, die nicht nur jammern, sondern Lösungsvorschläge erarbeiten. Etwa mit dem Care-Manifest (work berichtete). Luisier macht in der Fachgruppe Pflege mit, seit kurzem ist sie zudem Co-Präsidentin der Unia Aargau-Nordwestschweiz. Gerade in der schlimmsten Burnout-Zeit sei dieses Engagement «ein guter Anker» gewesen, sagt sie.

Und jetzt?

Sie will weiter Care-Arbeit machen. Aber sicher nicht als Pflegende im aktuellen System, das sie zwingt, Zuwendung zu rationieren. «In der Therapie habe ich gemerkt: Ich kann meine Wertvorstellungen nicht abschalten.» Stattdessen wird sie sich nächstes Jahr zur Sterbe-Doula ausbilden lassen. Das ist eine Art Hebamme fürs Lebensende, erklärt sie. «Du begleitest und unterstützt schwer kranke Menschen und ihre Angehörigen, auf praktischer, sozialer oder emotionaler Ebene.» Sie werde wohl, sagt sie, wieder als Selbständige arbeiten, wie vorher als Coiffeuse. Dass das nicht einfach wird, weiss sie. «Aber so kann ich den Leuten das geben, was sie brauchen, und muss mich nicht verbiegen.»

Pflegedemo: Es ist 5 nach 12

Vier Jahre nach dem deutlichen Ja zur Pflegeinitiative zeigt sich: Der Vorschlag des Bundesrates zur Umsetzung ist lückenhaft. So lässt sich die langsame Zerstörung der Gesundheitsversorgung nicht aufhalten, das Parlament muss nachbessern. Mit der Botschaft «Es ist 5 nach 12» ruft eine breite Allianz der Gesundheitsberufe zu einer gemeinsamen Kundgebung am 22. November in Bern auf. Damit auch die Politik merkt: So kann es nicht weitergehen! Die Unia rechnet mit vielen Teilnehmenden und organisiert deshalb Extrazüge nach Bern.

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