Susanna Isler (66) und Eset Jashari (61) machen sich Sorgen:
Was, wenn sie selber mal Pflege brauchen?

In der Pflege laufen die ­Fachleute in Scharen davon. Doch wer Pflege braucht, hat keine Wahl. Das beschäftigt auch die über ­Sechzigjährigen. work hat sich mit zwei von ­ihnen zum Tee getroffen.

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MACHEN SICH SORGEN UM DIE PFLEGE IN DER SCHWEIZ: Susanna Isler und Eset Jashari beim
Interview mit work in Lyss. (Foto: Matthias Luggen)

Wie es den Pflegenden derzeit geht, davon konnte sich Logistiker und Unia-Mitglied Eset Jashari selbst ein Bild machen. Nicht freiwillig: Anfang Jahr erlitt der 61jährige einen Herzinfarkt und musste für drei Tage ins Spital. «Ich habe gemerkt: Es gibt zwei Arten von Leuten in der Pflege. Die gestressten und die ungestressten.»

Genau darum soll es heute gehen. Was die Pflegenden stresst – und was es braucht, damit wieder mehr von ihnen im Beruf bleiben.

Stark mit diesem Thema konfrontiert ist die Generation über sechzig. work wollte deshalb von Eset Jashari und der 66jährigen Susanna Isler wissen: Was löst die zunehmende Pflegekrise bei ihnen aus?

Zu wenig Leute, zu wenig Zeit

Isler, pensionierte Verkäuferin, lebt in Thörishaus bei Bern, Jashari in Biel. work trifft sie quasi in der Mitte, in Lyss im Berner Seeland. Im freundlichen Café gleich neben dem Bahnhof wird rasch klar: Auch Isler hat einen direkten Bezug zum Thema. Ihre Schwester ist Pflegefachfrau, ihr Sohn Fachmann Gesundheit. Beide spüren die Auswirkungen des Personal- und ­damit Zeitmangels.
Ihre Schwester, erzählt Isler, ist offiziell seit diesem März pensioniert. Aber auf Bitte des Spitals hin arbeitet sie weiter, wenn auch in einem tieferen Pensum. Der Sohn habe in einem Altersheim gearbeitet. Ihm sei es wichtig gewesen, dass es den Leuten dort nicht nur körperlich gutging, sondern auch emotional – immerhin sei das Heim ihr Zuhause.

Wenn ­jemand Kummer hatte, wollte er sich zumindest einmal zehn Minuten neben die Person setzen und zuhören. Aber dafür blieb fast nie Zeit.

Die Freude verloren

Das liegt am heutigen System der Pflegestufen. Es legt für jede Person fest, wie viel Geld das Heim von Krankenkassen und öffentlicher Hand erhält – abhängig von den benötigten Pflegeleistungen. Tätigkeiten wie zuhören oder für jemanden da sein, die kommen im Leistungskatalog nicht vor (work berichtete). Das habe ihrem Sohn die Freude am Beruf genommen, sagt Susanna Isler. «Er sagte: Ich kann nicht mehr in der Pflege arbeiten, das macht mich kaputt.» Nach einer Weiterbildung sei er heute Spezialist für Wunden und arbeite selbständig.

Eset Jashari, der vor bald 40 Jahren als Saisonnier in die Schweiz kam (work berichtete), nimmt einen Schluck von seinem Früchtetee. In den kommenden Jahren, sagt er, werde es noch mehr Leute in der Pflege brauchen als heute, weil die Menschen immer älter würden. «Bessere Löhne in der Pflege sind einfach ein Muss!» Susanna ­Isler nickt und ergänzt: «Und mehr Wertschätzung!»

Abgefertigt

Dann schildert sie ihre Erfahrungen mit Pflegeheimen. Ihre Schwiegermutter habe es sehr gut getroffen in einem Heim, das einer nicht profit-orientierten Stiftung gehöre. Bei ihrem Vater dagegen habe sie gemerkt, wie die Mitarbeitenden zu wenig Zeit hatten. Er habe vor seinem Tod manchmal an Angstzuständen gelitten und nach der Pflege geklingelt. «Dann kam jemand und sagte: Ja, das geht wieder vorbei – und war schon wieder weg.»

Etwas leiser sagt Susanna Isler: «Mein Vater hat oft gesagt, er möchte heim. Das war hart.»
Und wenn sie eines Tages selber Pflege brauchen? Eset Jashari, Bewegungsmensch und langjähriger Fussball-Schiedsrichter, sagt:

Ich hoffe, dass ich ungefähr bis 70 in unserem Haus leben kann. Und dann? Weiss ich noch nicht.

Susanna Isler dagegen ist daran, sich zu informieren. Zwangsläufig. Ihr Mann braucht seit kurzem einen Rollator. Wie es weitergeht, ist im Moment unklar: Eine behindertengerechte Wohnung? Eine Alterswohnung mit Pflege je nach Bedarf? Das Problem, sagt sie: «Das ist alles enorm teuer.» Eine Zweieinhalbzimmerwohnung mit ein bisschen Unterstützung für ihren Mann, etwa beim Duschen: «Das wäre fast 3000 Franken im Monat! Können wir uns das leisten? Brauchen wir Ergänzungsleistungen? Solche Fragen machen schon Angst.»

Es ist klar: Bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege dürfen nicht zu noch höheren Kosten für Menschen führen, die auf Pflege angewiesen sind. Auch nicht zu noch höheren Prämien der Krankenkassen. Vielmehr muss die Finanzierung politisch ausgehandelt und dann im Gesetz festgeschrieben werden. So lautet eine der Hauptforderungen der Pflegedemo am 22. November (siehe Box unten).

«Ich liebe Demos»

Stehen die beiden dann auch auf dem Bundesplatz? Sie müsse passen, sagt Susanna Isler. Sie habe schon im Sommer ihrem Sohn versprochen, dann den Hund zu hüten. Es wäre ohnehin das erste Mal gewesen, dass sie auf die Strasse gegangen wäre. «Du warst noch nie an einer Demo?» fragt Jashari. «Oh, das musst du unbedingt mal erleben. Eine Demo ist … ein bisschen wie ein Volksfest. Ich liebe Demos.» Keine Frage deshalb: Er ist am 22. November dabei.

Alle zur Pflegedemo!

Vier Jahre nach dem deutlichen Ja zur Pflegeinitiative zeigt sich: Der Vorschlag des Bundesrates zur Umsetzung ist lückenhaft. So lässt sich die langsame ­Zerstörung der Gesundheitsversorgung nicht aufhalten, das ­Parlament muss nachbessern. Mit der ­Botschaft «Es ist 5 nach 12» ruft eine breite Allianz der Gesundheitsberufe zu einer gemeinsamen Kundgebung am 22. November in Bern auf. Damit auch die Politik merkt: So kann es nicht weitergehen!

Mehr Infos hier.

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