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Chauffeur Mauricio Borges (45): Ein Job im Büro? Das wäre ihm zu langweilig

Mauricio Borges fährt den ­Güselwagen durch die Stadt ­Zürich. Dabei schätzt er besonders die ­Kollegialität im Betrieb und den Kontakt mit den Menschen auf der Strasse.

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IM ELEMENT: Mauricio Borges (45) sammelt 12 Tonnen Abfall pro Tag. (Foto: Florian Bachmann)

Mauricio Borges kurvt mit dem Kehrichtlastwagen über den Vorplatz zum Bunker – so heisst der Innenraum der Kehrichtverwertungsanlage Hagenholz. Hier parkiert Borges rückwärts ein. Aus dem Innern des Wagens purzeln die blauen Züri-Säcke mit dem Güsel in den stinkenden Abgrund. Insgesamt sind es etwa 12 Tonnen Haushaltskehricht, also etwa 180 Container, die Borges an diesem Morgen zusammen mit seinen beiden Arbeitskollegen aufgeladen hat. Die Anlage wird gerade ausgebaut, so dass noch mehr Abfall aus der wachsenden Stadt Zürich und den umliegenden Gemeinden entsorgt und die Haushalte der Stadt Zürich mit mehr Fernwärme versorgt werden können.

Abwechslung

Borges Arbeitstag beginnt morgens um halb sieben. Dann fahren die 24 Güselwagen los und beginnen ihre Touren durch die Stadt Zürich. Heute war Borges als Lader hinten auf dem Lastwagen unterwegs, weil einer seiner Kollegen ausgefallen war. Normalerweise arbeitet er jedoch als Chauffeur. Mit seinen 22 Jahren Berufserfahrung gehört er heute «zu den Möbeln des Betriebs», wie er sagt. Die Arbeit als Lader sei körperlich anstrengender. Borges schaut auf seine Uhr, sie zeigt ihm jetzt, zum Ende des Arbeitstages um halb vier Uhr nachmittags, 14 000 Schritte an. Aber als Chauffeur sei die geistige Anstrengung grösser, immer konzentriert mit dem Fokus auf die Strasse und den Verkehr. Besonders die Velos und die E-Trottinetts im Stadtverkehr seien unberechenbar und gefährlich, sagt Borges. Als Springerchauffeur hat Borges keine fixe Tour. Das ­gefällt ihm: «Das Schöne an meinem Beruf ist die Abwechslung, ich bin draussen und mit Menschen.»

Unter den Leuten

Jeden Tag gebe es bei seiner Arbeit auch lustige Erlebnisse, besonders im Zürcher Langstrassenquartier. Da werden die Container zwei Mal wöchentlich geleert. Borges sagt:

Wir haben die ganze Bevölkerung um uns.

An der Langstrasse mache ihm die Arbeit besonders Spass, weil es mehr Kontakte mit verschiedenen Leuten gebe: «Die Sexarbeiterinnen kennen uns und machen auch immer wieder mal ein Spässchen.» Weniger schön sei die Arbeit im Winter, vor allem wenn er bei Schnee und Eis die Schneeketten montieren müsse. Auch sei beim Laden die Verletzungsgefahr höher, besonders häufig seien Schulter- oder Knieverletzungen, weil man beim Runterspringen vom Lastwagen ausrutsche oder sich nicht gut am Lastwagen festgehalten habe.

Lohn und Mitsprache

Borges blieb bisher von solchen Verletzungen verschont und ist sehr zufrieden mit seiner Arbeit:

Die Arbeitsbedingungen finde ich super, sonst wäre ich nicht so lange hier.

Auch der Lohn stimmt für ihn: Als langjähriger Chauffeur verdient er um die 7000 Franken brutto pro Monat. Ausserdem könne er auch immer seine Meinung sagen, so beispielsweise bei den ­regelmässigen Treffen mit allen Mitarbeitenden.

Lieber nicht im Büro

Bei Entsorgung und Recycling Zürich (ERZ) arbeiten insgesamt rund 1000 Personen, damit ist es einer der personalintensivsten Betriebe der Stadt Zürich nach dem Schulamt, dem Stadtspital Zürich, den Gesundheitszentren für das Alter, den Verkehrsbetrieben, der Stadtpolizei und dem Elektrizitätswerk der Stadt Zürich. Neben dem Bereich Logistik, wo Borges mit rund 280 anderen Mitarbeitenden angestellt ist, gibt es noch die Kehrichtverwertungsanlage, die Stadtreinigung, Entwässerung und Abwasserreinigungsanlage. Man habe ihm auch schon angeboten, im Büro zu arbeiten und die Disposition der Chauffeure und Lader zu übernehmen. Doch ganz ins Büro möchte er nicht wechseln, das fände er langweilig, dann wäre er noch lieber Lastwagenchauffeur auf der Autobahn.

Es gab auch schon einen Moment, bei dem Borges um seinen Job zittern musste. Das war nach einer Autofahrt in Frankreich, als Borges seinen Führerausweis wegen einer Geschwindigkeitsübertretung sechs Monate abgeben musste. Borges sagt:

Eigentlich wäre ein solcher Ausweis­entzug für einen Chauffeur ein Kündigungsgrund, aber als langjähriger Mit­arbeiter konnte ich trotzdem weiter als ­Lader arbeiten.

Während des halben Jahres habe er weniger verdient, aber seine Stelle als Chauffeur sei ihm erhalten geblieben.


Mauricio BorgesKind von Saisonniers

Mauricio Borges’ Eltern arbeiteten in den 80er Jahren als Saisonniers in der Schweiz. Weil Fami­liennachzug verboten war, wuchsen Borges und seine Schwester mit den Grosseltern im Norden Portugals auf. Erst im Alter von 11 Jahren konnten sie zu ihren Eltern nach Zürich Affoltern ziehen. Nach seiner obligatorischen Schulzeit arbeitete Borges zuerst als Verkäufer in einem Quartierladen.

Mit dem Vater

Bei Entsorgung und Recycling Zürich (ERZ) konnte er vor 22 Jahren auch ohne Lehrabschluss einen Job finden. Zuerst arbeitete er bei der Stadtreinigung als Stras­senwischer, im Winterdienst und in der Graffitireinigung. Sein Vater, der als Gärtner und Fabrik­arbeiter in der Toni-Molkerei gearbeitet hatte, kam einige Jahre vor seiner Pensionierung ebenfalls zu ERZ – sein Sohn hatte ihn davon überzeugt. Heute leben die Eltern wieder in Portugal, wo Borges sie in den Ferien regelmässig besucht.

Shisha

Borges lebt mit seiner Frau und ihrem 18jährigen Sohn weiterhin in Zürich Affoltern. Seine Freunde lädt Borges nach der Arbeit auch gerne mal zu sich nach Hause ein. Dann schauen sie Fussball, Formel 1, oder sie rauchen zusammen eine Shisha. Er geniesse vor allem «das ruhige Leben». Zum Beispiel am frühen Morgen oder abends, wenn Borges seinen Spaziergang mit «Snoopy» macht, dem elfjährigen Mops der Familie.

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