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Laura Gonzalez Martinez ist Verkäuferin in Zürich und Gewerkschafterin.

Ich gebe es zu. Ich habe mich gefreut, die schlechten Schlagzeilen über die Migros zu lesen. Vor einigen Jahren, als ich vom Mutterschaftsurlaub wieder in die Arbeitswelt zurückkehrte, dachte ich, die Migros sei ein ­guter Platz für mich. Familienfreundlich halt. Nett zu den Migroskindern: Sie warben am Bewerbungsgespräch mit guten Bedingungen und super Dienstleistungen. Es stellte sich aber heraus, dass alles ein oranges Märchen war. In Wahrheit erwarteten mich irre Präsenzzeiten, ein tiefer Lohn und ein scheusslicher Umgang unter den Mitarbeiterinnen.

Genug!

Ich habe Teilzeit gearbeitet und an diesen Tagen mein kleines Kind nur kurz morgens wach gesehen, wenn überhaupt, je nach Schicht. Das brachte Unruhe in die kleine und noch frische Familie. Ich stand frustriert fast 12 Stunden im Laden, in denen ich aber effektiv nur die üblichen 8,5 Stunden arbeitete. Der Rest der Zeit waren unbezahlte Pausen, und obendrauf wurde ich noch regelmässig angeschrien. Wie sollte ich hier noch irgendwas vom Tag haben, von meiner Familie, geschweige denn Erholungszeit oder irgendein Hobby? Keine Chance. Anfangs verweigerte der Geschäftsführer sogar meine fixen freien Tage, trotz Absprache mit der Personalleitung und dem reservierten Kitaplatz. Ich blieb nicht lange. Nach drei Monaten hatte ich genug davon, ein Migroskind zu sein.

Erkämpft!

Heute verdiene ich deutlich mehr, und wenn ein Elternmorgen ansteht, kann ich mit meiner Chefin reden, das schätze ich sehr. Denn ich weiss, dass das in unserer Branche nicht überall so ist. Die regelmässige Frühschicht habe ich mir erkämpft. In den 9 Stunden pflege ich meine Abteilungen und kann mich 30 Minuten erholen. Das reicht mir momentan. So kann ich nachmittags zu Hause meine Sachen erledigen. Am wichtigsten ist: Ich bin jeden Abend bei meinem Kind. Allein wäre das aber auch für mich nicht möglich: Mittelschichten, das heisst Arbeitszeiten, die den Öffnungszeiten der Kita oder dem Hort angepasst sind, habe ich bisher selten erlebt. Entweder wir starten den Tag im Laden, oder wir beenden ihn dort.

Was machen Alleinerziehende? Beim Austausch mit meinen Kolleginnen erfahre ich, dass sie abhängig von Verwandten sind, die sich um die Betreuung der Kinder ausserhalb der Kita- oder Hortzeiten kümmern. Was, wenn auch das nicht möglich ist?

Fehlanzeige!

Auch wegen der Kinderbetreuung bin ich gegen längere Ladenöffnungszeiten oder mehr Sonntagsverkäufe. Kita am Sonntag? Fehlanzeige. Diejenigen, die längere Öffnungszeiten fordern, ignorieren, dass hinter der Kasse ein Mensch steht, der Teil des Lebens eines anderen Menschen ist.

Illu: Laura Gonzalez Martinez

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