Laura mal laut
Laura ohne Namen

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Laura Gonzalez Martinez ist Verkäuferin in Zürich und Gewerkschafterin.


Unsere Lagerräume dienen hauptsächlich dazu, Ware zu lagern. Aber auch, um laut zu fluchen und zusammen herzlich zu lachen. Was nur wenige wissen: wir nutzen sie auch als Versteck.

Kein Anruf

Es war an einem ruhigen Morgen, als ich dort einer Kundin für kurze Zeit ein Versteck bieten konnte. Warum? Ein unbekannter Mann hat sich bis in den Laden verfolgt. Ich war gerade dabei, die Sandwiches einzuräumen, als ich hörte, wie sie ihm mehrmals sagte, er solle sie in Ruhe lassen. Da habe ich interveniert und sie in einem günstigen Moment in den Warenlift gebeten. Im Lager konnten wir uns nett unterhalten. Bis wir das sichere Gefühl hatten, sie könne durch den Notausgang nach Hause. Ich solle niemanden anrufen, sagte sie, es sei ja nichts passiert. Ihr Einkaufskorb stand noch im Lager und ich dachte mir: Die Frau konnte nicht mal fertig einkaufen!

Kein Einkauf

Als ich dann wieder im Verkaufsraum war, war der Mann immer noch da. Ich forderte ihn auf zu gehen, sein Verhalten werde hier nicht toleriert. Er ging aber nicht. Plötzlich stand ich im Fokus, und das war mir sehr unangenehm. Meine Chefin schaltete sich geschickt ein, und nach ­einigem Hin und Her verliess der Mann den Laden. Ich arbeitete wütend weiter und natürlich auch mit einem unguten Gefühl im Bauch: Der Unbekannte kennt nun meinen Arbeitsplatz. Das war nicht das erste Mal, dass wir unsere Lagerräume so genutzt haben. Schon einmal konnte eine Frau den Einkauf bei uns nicht beenden und hat sich zum Glück an uns gewandt. Auch da sollten wir niemanden anrufen, es sei ja «nichts» passiert. Eine Arbeitskollegin wurde ebenfalls eine Weile von einem Kunden im Laden beobachtet. Auch da ist «nichts passiert», und somit wurde auch nichts gemeldet.

Kein Schildli

Ich habe mein Namensschild schon seit längerer Zeit in der Garderobe parkiert. Ich erlaube mir das aus Selbstschutz und als Akt der Selbstbestimmung. Eigentlich ist es Vorschrift, das «Täfeli» zu tragen. Aber ich finde das völlig unsinnig.

Wir sollten selbst entscheiden können, wie viel wir von uns preisgeben möchten. An diesem Morgen war ich froh, dass der fremde Mann meinen Namen nicht wusste. Aber das ist nur ein Tropfen auf den heissen Stein. Denn eigentlich sollte das gar nicht nötig sein. Solche Situationen müssen unbedingt besprochen und weitererzählt werden. Denn: Nicht einmal unbehelligt einkaufen zu können ist nicht einfach nur «nichts».

Illu: Laura Gonzalez Martinez

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