Dokfilm «Nathalie»
Einblick in die Welt der Armen in der reichen Schweiz

Nathalie zeigt im gleichnamigen Film als armutsbetroffene Bielerin schonungslos ihr Leben, ihre Probleme, ihre Kämpfe. Nathalies Strategie: mutig und humorvoll bleiben.

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SCHONUNGSLOS EHRLICH: Nathalie gibt Einblick in ihre Welt, in der das Geld an allen Ecken und Enden fehlt. (Foto: PD)

Die ungeöffneten Couverts stapeln sich auf Nathalies Wohnzimmertisch. Schon wieder eine Mahnung. Schon wieder eine Rechnung, die sie nicht bezahlen kann. «Du arbeitest und arbeitest, aber bezahlen kannst du trotzdem nichts», sagt die Bielerin vor der Kamera. Im neuen, nach ihr benannten Dokumentarfilm zeigt sie das ungeschminkte Leben einer armutsbetroffenen und alleinerziehenden Mutter. Der Regisseurin und Produzentin Tamara Milosević ist es gelungen, Nathalie in ihrer Echtheit auf die Kinoleinwand zu bringen. Denn Nathalie ist trotz ihrer harten Lebensumstände eine witzige, schlagfertige und kluge Frau. 

Die Probleme, denen Nathalie ausgesetzt ist, sind in der Schweiz allgegenwärtig – bleiben aber meist im Verborgenen. Nathalie ist verschuldet, über 200'000 Franken haben sich angehäuft. In die Schulden getrieben haben sie unbezahlte Steuerrechnungen. Damit ist sie nicht allein. In der Schweiz haben rund zehn Prozent der Bevölkerung Steuerschulden. Ihre Perspektive, aus der Schuldenfalle rauszukommen, ist fast aussichtslos. 

Mamabär

In der 78minütigen Filmspieldauer zeigt sich Nathalie in etlichen Jobs: Sie putzt verwahrloste Wohnungen blitzblank, schneidet Hecken zurecht und gibt einem pflegebedürftigen Patienten eine Pédicure. Fast jeden Job, der ihr in die Finger kommt, macht sie. Ausser im Verkauf, da will sie niemals arbeiten! Das sei ihr zu langweilig. Sie will mit Menschen im Kontakt sein, einen Schwatz führen und dabei etwas lernen. Mit Biegen und Brechen kommt Nathalie monatlich auf ein Einkommen zwischen 2500 und 3000 Franken. Das reicht vorne und hinten nicht aus.

Denn sie lebt nicht allein. Ihre Kinder, beide 20 Jahre alt, sind weiterhin von der Mutter finanziell abhängig. Gerade ihr Sohn bereitet Nathalie grosser Sorgen: Mit 14 Jahren wurde er von der Schule geschmissen und sitzt seither zu Hause rum. Das Ziel der Mutter: Der Sohn soll endlich eine Lehrstelle finden. Als ein Sozialarbeiter die finanzielle Situation von Nathalie studiert, rät er ihr, dass die Kinder jetzt selbst Verantwortung übernehmen müssten. Dazu sagt sie: «Meinen Sohn auf die Strasse stellen? Niemals!» 

EIN TEAM: Nathalie und ihr 14jähriger Sohn. (Foto: PD)

Zwischen Witz und brutaler Realität

Das Aussergewöhnliche am Film: Das Kamerateam filmt Nathalie in sehr persönlichen Momenten, sie lässt viel Nähe zu, und dem Zuschauer scheint es fast so, als würde er Nathalie kennen. Sie spricht nicht gerne über ihre Vergangenheit. Doch bei Kindheitserzählungen oder der Trennung von ihrem Ex-Mann, bei der sie ins Frauenhaus flüchten musste, kullern die Tränen. 

Eine weinende Nathalie ist trotz der harten Vergangenheit sowie Gegenwart eine Seltenheit. Sie bestreitet das Leben kämpferisch, mutig und mit erhobenem Haupt. Doch die Schicksalsschläge häufen sich. Sie bricht sich einen Finger, und eine Operation wäre notwendig, aber diese kann sie nicht bezahlen. Denn seit Jahren bezahlt sie weder für sich noch für ihre Kinder Prämien. Zu hoch sind die Kosten.

FINGER GEBROCHEN: Bei Nathalie häufen sich die Schicksalsschläge. (Foto: PD)

Auch bei der Miete verzögern sich die Zahlungen von Nathalie, sie verschuldet sich auch bei ihrem Vermieter. Irgendwann stellt er die Familie auf die Strasse. Nathalie: «Ich verstehe das. Wer will schon eine Mieterin, die nicht rechtzeitig bezahlt.» Am Ende des Filmes kommt noch eine Krankheitsdiagnose von ihrem Sohn ans Tageslicht. Tapfer spricht sie in die Kamera:

Ich kämpfe mich durch – bis zum Schluss!

Die neue Doku von Filmemacherin Milosević schenkt dem ganzen Kinosaal Mut. Denn Nathalie stellt sich den Schulden und dem her-ausfordenden Leben auf ihre ganze eigene Art und Weise: Sie blickt nicht zurück, nur nach vorne. Ein gelungener Film, der Einblick gewährt in eine verborgene Welt: die Welt der Armen in der reichen Schweiz.

Am 4. September ist der Film «Nathalie» in den Deutschschweizer Kinos gestartet. Alle Spielzeiten und den Trailer finden Sie unter diesem Link.

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