Kolumne EUropa
Transnationale Proteste: Stärkung der sozialen ­Demokratie

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Roland Erne war Chemielaborant und GBI-Jugendsekretär. Seit 2017 ist er Professor für Europäische Integration und Arbeitsbeziehungen am University College Dublin. (Montage: work)

Ende der 1990er Jahre lancierten die EU-Länder eine Wirtschafts- und Währungsunion, um Europa zu vereinigen. Damit waren auch die Gewerkschaften gefordert: Damit die Arbeitnehmenden aus verschiedenen Ländern nicht gegeneinander ausgespielt werden können, braucht es mehr grenzüberschreitende Zusammenarbeit. So haben sich von 1997 bis 2020 die transnationalen sozioökonomischen Proteste verdoppelt, wie aus einer Studie von Jörg Nowak und mir hervorgeht.

Abstrakt

Der ökonomische Wettbewerbsdruck beförderte die transnationale Zusammenarbeit der Gewerkschaften kaum. Viel wichtiger waren unsoziale ­Interventionen von EU-Behörden. 115 der insgesamt 360 transnationalen Proteste seit 1997 fanden im Service public statt. Im privaten Sektor, der grösserem Wett­bewerbsdruck ausgesetzt ist, hingegen nur 101. Die Akti­vitäten der Gewerkschaften blieben lokal und national, ungeachtet mehrerer Versuche, Lohnverhandlungen grenzüberschreitend zu koordinieren, um dem Wettbewerbsdruck innerhalb des europäischen Binnenmarkts entgegenzuwirken. Obwohl Waren durch menschliche Arbeit hergestellt werden, scheinen sie ein Eigenleben zu entwickeln, sobald sie auf dem Markt gehandelt werden. Folglich nehmen viele den Wettbewerbsdruck als eine «natürliche» Kraft wahr, die kaum zu beeinflussen ist. Die gesellschaftlichen Mechanismen hinter kapitalistischen Produktionsprozessen zu erkennen ist schwierig. Das erklärt, warum es einfacher war, konkrete Interventionen von EU-Behörden zu politisieren.

Unsozial

Nach der Finanzkrise von 2008 führte die EU ein neues Regime wirtschaftspolitischer Steuerung ein, das den EU-Behörden die Befugnis gibt, Ländern weitreichende sozial- und wirtschafts­politische Massnahmen zu verschreiben. Die Service-pulic-Gewerkschaften konnten aufzeigen, dass viele dieser EU-Interventionen einer unsozialen Stossrichtung folgten. Und deshalb fiel es ihnen auch leicht, transnationale Gegenbewegungen zu organisieren.

Stärkend

Diese Ergebnisse sind auch von grosser Bedeutung für die Zukunft der sozialen Demokratie in Europa. Transnationale soziale Proteste sind wichtig, um die Kämpfe über die künftige Ausrichtung der EU entlang transnationaler Konflikt­linien zu gestalten. Während die Politisierung der EU entlang nationaler Unterschiede Nationalismus und EU-feindliche Stimmungen schürt, können Proteste über Grenzen hinweg zusammenbringen und damit auch die soziale Demokratie in Europa langfristig stärken.

Roland Erne schreibt hier im Turnus mit Regula Rytz, was die europäische Politik bewegt.

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