Wie hast du es mit dem Kapitalismus?
«Gewerkschaften brauchen immer Snacks»

Die blinkende Werbetafel am Zürcher Theater Spektakel ist nicht zu übersehen: «Capitalism works for me!» Ob der Kapitalismus tatsächlich funktioniert, darüber können die Besucherinnen und Besucher des Theaterfestivals am Zürcher Seeufer diese Woche noch abstimmen. 

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UND, FUNKTIONIERT DER KAPITALISMUS FÜR SIE? Diese Frage können Besucherinnen und Besucher am Zürcher Seeufer beantworten. (Foto: isc)

Der US-amerikanische Künstler Steve Lambert (49) lässt die Leute über den Kapitalismus abstimmen. Mit seiner interaktiven Installation bringt er die Leute ins Gespräch über Jobs, Beziehungen und die Widersprüche in einer kapitalistischen Welt. work hat Steve Lambert am Theaterspektakel getroffen und mit ihm über die Installation, seinen Aktivismus und Gewerkschaftsarbeit gesprochen. 

work: Herr Lambert, wie reagieren die Leute in Zürich auf Ihre Installation?
Steve Lambert: Viele Leute hier am Festival merken, dass es kompliziert ist. Verglichen mit der restlichen Welt geht es ihnen hier ziemlich gut. Aber zu welchem Preis? Sie verstehen, dass es nicht für alle funktioniert. Daher stimmen sie oft auch mit «falsch» ab. Viele Leute sagen auch: Ich will nicht nur zwei Knöpfe «wahr» und «falsch»! Oder: «Das ist die falsche Frage!»

Aber persönlich sehen sie sich doch als Gewinner?
Die meisten verdienen genug, aber viele können kein Geld zur Seite legen. Sie besitzen kein Haus oder Land, können auch niemanden anstellen. Sie haben einfach finanzielle Stabilität. 

Sprechen Sie mit den Leuten häufig über ihre Arbeit?
Natürlich, ob jemand auf einer Bank oder auf dem Bau arbeitet, das macht einen Unterschied. Oder auch, ob jemand selbständig oder angestellt ist. Ich lebe in den USA, da haben wir eine andere Form des Kapitalismus: Wenn du fällst, bist du am Boden. Es gibt kaum soziale Sicherungsnetze.

BRINGT DIE MENSCHEN ZUM NACHDENKEN: Künstler Steve Lambert. (Foto: isc)

Waren die Reaktionen auf die Installation in den USA anders?
Nicht unbedingt. Aber ich zeige die Installation jetzt seit 14 Jahren. In dieser Zeit hat sich einiges verändert, die Leute machen sich mehr Gedanken und sehen natürlich auch die massiven politischen Probleme. Was die Leute überall gerne machen: Sie verdrehen die Frage. Sie sagen zum Beispiel: Mit dem Sozialismus hat es nirgends funktioniert – es gab Diktatur. Und sie sehen Kapitalismus als den Standard, der funktioniert. Dann frage ich nach: Stimmt das wirklich? Funktioniert er für dich? Was verdienst du?

Und welche Rolle spielen die Gewerkschaften im Kapitalismus?
Man kann es auf zwei Arten sehen: Die Gewerkschaften zwingen den Kapitalismus dazu, dass er für die Arbeiterinnen und Arbeiter funktioniert. Oder man könnte auch sagen, wenn es die Gewerkschaft braucht, dann funktioniert der Kapitalismus nicht wirklich. 

Und welchen Tipp haben Sie als aktivistischer Künstler und Gewerkschaftsmitglied für die Gewerkschaften?
Gewerkschaften müssen neue Mitglieder gewinnen, Mitglieder aktivieren und sie weiterbilden, ohne das gehen sie zugrunde. Aus der Kunst lässt sich für die Gewerkschaften einiges lernen. Es geht um Emotionen! Es braucht eine Traumvorstellung: Die Arbeiterinnen und Arbeiter haben gute Jobs, verdienen mehr als genug und haben auch Freude an dem, was sie tagtäglich tun. Dieses Ziel und die Vorstellung kann man auf die Gewerkschaftsarbeit übertragen: Auch die Treffen der Gewerkschaft sollten Freude bereiten. 

Und wie schafft man das?
Es braucht zum Beispiel immer Snacks und genügend Zeit für persönliche Gespräche. Die Treffen sollten Freude machen und erfüllend sein. Wenn sich die Sitzungen eher nach Pflicht anfühlen, wenn es hierarchisch ist und nur diejenigen bestimmen, die am längsten bleiben und am härtesten arbeiten, stimmt etwas nicht. Daher braucht es immer auch eine klare Zeit für das Ende der Sitzungen, so dass die Leute auch noch genügend Zeit für ihre Familien und Hobbies haben.  

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